Die Geschichte des Gebäudes reicht zurück bis ins Jahr 1888 und begann als „Centralstation für elektrische Beleuchtung“ – das erste Elektrizitätswerk in Darmstadt, das dritte weltweit. Es sollten mehr als hundert Jahre unterschiedlicher Nutzung und des Leerstandes vergehen, ehe die Stadtoberen sich entschlossen, der Kultur einen großflächigeren Standort mitten in der Stadt zuzubilligen. Im Frühjahr 1999 öffnete die Centralstation unter der Ägide von Michael Bode-Böckenhauer (45) und Alex-ander Marschall (47). Die beiden hatten als Betreiber des legendären Clubs „Kesselhaus“ in den 1990er Jahren reichlich Erfahrung in der freien Szene gesammelt. Der Schritt in die größere Dimension eines Kulturbetriebes war ein Wagnis mit hohen Risiken und Kritik von manchen Seiten. Zwölf Jahre später wechseln bei ihnen Ernüchterung und Begeisterung – ein Gespräch über Kesselhaus, Kreativwirtschaft, Subventionen und „Sommerperlen“.
P-Magazin: Wie habt Ihr Euch kennengelernt?
Alexander: Ich stamme eigentlich aus München und kam für ein Architekturstudium nach Darmstadt. Michi habe ich erst beim Renovieren des Kesselhauses im Jahr 1989 kennengelernt. Er stieß damals zum Team, das meist aus Studenten bestand.
Michael: Hauptsächlich aus Architekten. Ich war als Student der Sozialpädagogik eher die Ausnahme. Da ich aus einem Dorf namens Gensingen bei Bad Kreuznach kam, war für mich das Stadtleben sehr ungewohnt. Das Kesselhaus war mein eigentliches Ankommen in der Stadt. Wir waren absolute Autodidakten, was den Kulturbetrieb anging. Wir wussten vor der ersten Party nicht mal, wie man richtig Bier zapft. Da kam immer nur Schaum.
A: Aber wenn man aus 22 Jahren Entfernung zurückschaut, war das im Prinzip genau die Vorgehensweise, wie man strukturschwache Stadtgebiete mit kulturellen Impfungen neu beleben kann. Das Kesselhaus lag ja in einem brachliegenden Industriegelände am Hauptbahnhof. Rund um das Kesselhaus hatten sich damals sehr schnell Kreative und Freiberufler mit ihren Büros und Galerien angesiedelt. Innerstädtische Belebung gilt auch als Grundidee für die Centralstation.
Viele trauern dem Kesselhaus noch heute nach, weil das subkulturelle Programm für Darmstadt wegweisend war.
M: Für uns war die Centralstation einfach ein neues Projekt und ein neuer Lebensabschnitt. Heute gibt es in Darmstadt außerdem wieder Clubs, die die Nische des Kesselhauses besetzen. Eigentlich sollte es damals 1999 unter einem anderen Betreiber weiterlaufen, was aber letztlich nicht klappte. Anders als bei unseren anderen damaligen Projekten Weststadtcafé und Hillstreet-Club, bei denen der Übergang gut gelang und die bis heute existieren.
Wie kamt Ihr zur Chance, die Leitung der Centralstation zu übernehmen?
M: Eigentlich sollte Johnny Klinke vom Tigerpalast aus Frankfurt die damals sogenannte Heag-Halle B übernehmen. Der war aber abgesprungen. Da geriet die Stadt wegen der bereits getätigten hohen Investitionen unter Druck, schnell eine andere Lösung zu finden. Wir gaben ein Konzept mit Schwerpunkt Musik ab, das aber auch schon bürgernahe Aspekte enthielt, die heute umso wichtiger sind. Und bekamen den Zuschlag.
A: Unsere Idee sah auch vor, mit spezieller Innenarchitektur und Layout-Grafik nach außen hin ein „Branding“, also eine Art Marke zu kreieren. Und wir wollten ein Zwischending aus etablierter Kultur und freier Szene schaffen.
Ihr wart immer auf Subventionen von Seiten der Stadt angewiesen. Im Jahr 2010 lagen die bei 475.000 Euro. Das wird Euch von Kritikern und der Konkurrenz vorgehalten. Sind so hohe Subventionen heute noch vertretbar, wenn sie an anderer Stelle im Kultursektor permanent gekürzt werden?
M: Man muss die Höhe in Relation zur Größe und zur Aufgabe des Hauses sehen. Und sie werden auch bei uns permanent gekürzt. 2001 lagen sie noch bei um die 725.000 Euro. Diese Zuschüsse umfassen im Schnitt der letzten Jahre etwa 17 Prozent unserer ansonsten selbst erwirtschafteten Einnahmen. Wir befinden uns im Wettbewerb mit großen Kulturhallen wie Mouson-turm Frankfurt, Karlstorbahnhof Heidelberg, Frankfurter Hof Mainz und Schlachthof Wiesbaden. Die sind alle aufgrund ihrer Größe förderungsabhängig. Um die Vielfalt des Programmes zu gewährleisten, kulturell wie sozial, brauchen wir Zuschüsse. Um den Zuschuss senken zu können, müsste man das Konzept komplett umschreiben, weg von der Vielfalt hin zum reinen Pop-/Rock-Schuppen beispielsweise.
A: Ohne die klare Unterstützung vieler Verantwortlicher hätten wir es niemals durchgehalten, uns gegen die immer gleichen Vorwürfe von Missmanagement, die vereinzelt auch von städtischer Seite kamen, zu behaupten. Die benötigten Zuschüsse wurden in den letzten zehn Jahren klar kommuniziert. Wir haben in der Vergangenheit oftmals eine beständigere Wertschätzung unserer geleisteten Arbeit vermisst. Außerhalb Darmstadts finden wir überall Anerkennung und andere Kulturbetriebe wundern sich, dass wir unser Konzept mit vergleichsweise geringen Subventionen aufrechterhalten können. Wir kämpfen für diese Qualität, aber es kostet viel Kraft und Nerven. Jetzt schauen wir hoffnungsvoll und gespannt in die Zukunft.
M: Die Centralstation beschäftigt über 80 Menschen und ist ein wichtiger Faktor für die Innenstadtbelebung. Wir sind ja nicht persönlich beteiligt an irgendwelchen Gewinnen. Wir sehen uns eher als städtische Angestellte denn als private Unternehmer. Die Finanzen werden vom städtischen Aufsichtsrat überwacht und wir teilen uns mittlerweile nur eine Geschäftsführerstelle mit festem Gehalt. Wir haben uns daher weitere Standbeine aufgebaut [„Die Kulturwirtschaft GmbH“, daran angegliedert der Online-Ticketanbieter Ztix, sowie Vinocentral Feinkost, Anm. d. Red.].
An den Wochenenden gibt es ja mittlerweile auch eher „schlichtere“ Tanzveranstaltungen.
M: Ja, weil das die wenigen Veranstaltungen sind, die gering an Aufwand sind und notwendige Deckungsbeiträge bringen. Je geringer unsere Zuschüsse, desto mehr dieser Veranstaltungen sind nötig.
A: Wir wollen damit keinen anderen Clubs in Darmstadt das Wasser abgraben. Die freie Szene ist uns wichtig, wir haben ja auch so angefangen und haben immer einen Blick darauf. Aber zum Beispiel hochwertige Jazzkonzerte sind oft nur so querfinanzierbar.
In den Monaten Juli und August starten in der Centralstation wieder die „Sommerperlen“, eine Veranstaltungsreihe mit besonderen Highlights.
M: Die Idee zu den „Sommerperlen“ stammt eigentlich noch aus der Anfangszeit der Centralstation und hat damals verschiedene Kulturorte in Rhein-Main verbunden. Wir haben den Namen dann vor drei Jahren reaktiviert. Es ist für uns eine Art Indoor-Festival verteilt über zwei Monate. Wir haben hier mit Hilfe unseres Sponsors Merck die Möglichkeit, größere Acts nach Darmstadt zu holen, als es sonst möglich wäre. Und wir achten dabei auf eine Vielfalt an Genres und eine Mischung aus etablierten und jungen Künstlern.
Durch weniger Kulturetat der Stadt wird Sponsoring durch lokale Firmen immer wichtiger. Fluch oder Segen?
M: Für uns ganz klar ein Segen. Ohne diese Unterstützung wäre vieles nicht möglich. Etwa 6 Prozent unserer Einnahmen generieren wir durch Sponsoren. Wichtigster Partner ist dabei die HSE als Hauptsponsor. Ausgewählte Jazzkonzerte werden durch die Darmstädter Privatbrauerei unterstützt. Aktuell versuchen wir, den Sponsorenanteil an den Einnahmen zu erhöhen und sind massiv auf der Suche nach einem Co-Sponsor.
Wie seht Ihr die Zukunft und gibt es irgendwelche Wünsche?
M: Wir wollen die kulturelle Vielfalt, die die Centralstation in allen Facetten bietet, aufrechterhalten.
A: In diesem Zusammenhang begrüßen wir den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Übergang in eine stadtnahe Gesellschaft sehr [Grüne und CDU bekennen wörtlich: „Wir werden die Centralstation in die HEAG überführen zur Sicherung des dauerhaften Betriebs dieser Kultureinrichtung.“, Anm. d. Red.]. Das wird die Position der Centralstation nachhaltig absichern.
Vielen Dank für das Gespräch.