Illustration: Daniel Wiesen

Anschnallen, wir reisen in die Zukunft und denken Darmstadt nachhaltiger, sozialer und kreativer. Das P zeigt, was geht und vor allem: dass es geht! Denn was in Darmstadt noch Zukunftsmusik ist, ist andernorts längst Gegenwart.

I) Der erwartete Paukenschlag

Als am 13. Oktober 1953 die Kaufhof-Filiale am Weißen Turm eröffnet wurde, erlebte Darmstadt einen Massenauflauf. Von Luisen- bis Friedensplatz, so zeigen es historische Aufnahmen, drängten sich die Menschen dicht an dicht. Wirtschaft! Wunder! Warenhaus! 

Mehr als 70 Jahre später, am 31. Januar 2024, ist nun Schluss. Dass die Darmstädter Kaufhof-Filiale eine der 47 Filialen ist, die der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof aufgibt, sorgte zurecht für Bestürzung bei Belegschaft und Politik – aber keineswegs für Verwunderung. 

Die Entscheidung, den Standort am Weißen Turm zu schließen, sei zwar bedauerlich, angesichts der zwei Galeria-Standorte in Darmstadt dennoch „zu erwarten“ gewesen, wird Noch-Oberbürgermeister Jochen Partsch in den Medien zitiert.

Doch während die Schließung beschlossene Sache bleibt, ist die Frage der Nachnutzung völlig offen. 15.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, 22.000 Quadratmeter Gesamtfläche in allerbester Innenstadtlage – das ist viel Platz zum Träumen. Doch bevor sich das P möglichen Zukünften für das Darmstädter Kaufhof-Gebäude, das einem US-amerikanischen Immobilieninvestor gehört, widmet, wollen wir schauen, was in anderen Städten aus alten Kaufhäusern wurde und wird.

II) Der Warenhaus-Wandel

Für umgenutzte Kaufhäuser gibt es viele Beispiele. Weit über 200 sind in den letzten 25 Jahren geschlossen worden, und für die Mehrheit davon haben kreative Stadtmacher:innen eine Nachnutzung gefunden.

Plötzlich großes Interesse an ehemaligen Warenhäusern hat ein Unternehmen, das bislang kaum in Innenstädten präsent war: Ikea. Der Möbelgigant hat erkannt: Immer mehr Menschen in Städten verzichten auf ein eigenes Auto. Und wer kein eigenes Auto hat, fährt seltener zu den großen Ikea-Märkten an den Autobahnabfahrten. Wenn die Menschen nicht zu Ikea kommen, kommt Ikea eben zu den Menschen. Das „Ikea Planning Studio“ im ehemaligen „C&A“ im Zentrum Potsdams war eines der ersten in Deutschland. Hier kann man sich inspirieren lassen, Küche oder Kleiderschrank planen und anschließend bequem nach Hause liefern lassen. Weitere Planning Studios sollen folgen – zumindest in den Metropolen.

Doch immer seltener heißt Nachnutzung auch Handel. In Neuss wurde ein ehemaliges Kaufhaus zum Theater. In Chemnitz zum Museum für Archäologie.

In Oldenburg wurde das „CORE“, eine umgebaute Hertie-Filiale, zum angesagten Treffpunkt der Stadtgesellschaft. Nach jahrelangem Leerstand entstanden auf knapp 2.500 Quadratmetern eine Markthalle mit Bar und Streetfood-Ständen im Erdgeschoss sowie multifunktional nutzbare Flächen für Coworking und Events im Obergeschoss.

Die Stadt Offenbach, die sich bei der Innenstadtentwicklung – wie Darmstadt – von der Hamburger Agentur Urbanista beraten lässt, hat im März dieses Jahres beschlossen, den ehemaligen Kaufhof zur „Station Mitte“ zu machen. Das Konzept: Einzelhandel im Erdgeschoss, Stadtbibliothek und Theater darüber. Eröffnung? Frühestens im Jahr 2026.

Was die Beispiele zeigen: Die Zukunft liegt in der flexiblen Mischnutzung der Gebäude. Meist mit Einzelhandel im Erdgeschoss und Gastronomie, Büro, Wohnen oder öffentlichen Nutzungskonzepten auf den weiteren Etagen. Fachleute raten zu „Multiple Mixed Use“ oder „Reusable Spaces“ – also zu Gebäuden, die so konzipiert sind, dass sich Nutzungskonzepte schnell und unkompliziert ändern lassen.

Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC untersuchte im Jahr 2020 die Nachnutzung von 52 geschlossenen Kaufhäusern. Dabei zeigte sich, dass reine Einzelhandelskonzepte meist scheitern. Mischkonzepte hingegen überleben und bereichern Innenstädte. Wohnen, arbeiten, sich bilden, kreativ sein und, ja, auch einkaufen. Alles, was Menschen – und vor allem junge Menschen – zurück in die Innenstadt bringt, ist gut.

III) Die Perspektiven

An Vorbildern für kreative Nachnutzungen mangelt es also nicht. Auch in Darmstadt gibt es mehr Ideen, als in diesen Artikel passen.

Der Darmstädter Architekt Ernst Friedrich Krieger hat die Vision eines „bürgerfreundlichen Rathauses“. Schluss mit dem Auslagern der Verwaltung in die Peripherie. „Der Standort ist geradezu ideal. Perfekt angeschlossen an den ÖPNV, gut erreichbar zu Fuß, mit dem Rad und auch mit dem Auto und obendrein noch unterirdisch angedient – besser geht’s doch nicht!“ Krieger träumt von einem umfassenden Umbau mit drei Atrien, Stadtfoyer, Bürgerforum und Verkaufsflächen im Erd- und Untergeschoss, neuen Arbeitsräumen für die Verwaltung auf den Zwischengeschossen und einem grünen Park auf dem Dach mit Skybar und Kinderspielplatz.

Während die einen von der Stadtverwaltung unter einem Dach träumen, träumen andere von Stadt und Stadtgesellschaft in einem Haus. „Aus dem Kaufhaus von gestern einen Ort für morgen machen“, heißt es im Konzept zu „Mittendrin“, entstanden bei der „Creator’s Night“ im Rahmen des Innenstadtentwicklungskonzepts, an dem – kleiner Disclaimer – die Autor:innen dieses Texts nicht ganz unbeteiligt waren. Die Idee: Nicht „Gegenüber“, nicht „Obendrüber“ sondern „Mittendrin“ soll ein Ort für alle entstehen, die in Darmstadt Zukunft gestalten. Das „Mittendrin“ bietet Platz für Coworking, Start-ups, Kreativwirtschaft und Ehrenamt. Hier könnten flexible Event-, Verkaufs- und Ausstellungsflächen entstehen sowie Raum für städtische Projekte wie das „Stadtlabor“ oder „Schlaues Wasser“. Freiraum für Konsum und konsumfreier Raum.

Auch die Stadt selbst hat große Ideen. Könnte am Weißen Turm eine neue Stadtbibliothek entstehen? Oder hier, in unmittelbarer Nähe zum Landesmuseum, ein Museum der Wissenschaft, in dem ESA, Fraunhofer, TU, h_da, GSI, Merck und all die anderen Aushängeschilder der Wissenschaftsstadt Darmstadt ihre Arbeit und Forschung für Alt und Jung erlebbar machen?

Egal, ob es eines dieser Szenarien, ein ganz anderes oder ein wilder Mix aus allem wird – dass das Kaufhaus am Friedensplatz Geschichte ist, ist für Darmstadt eine historische Chance, die Innenstadt neu zu denken. 

Was es braucht, um sie zu ergreifen, sind Geduld und Geld. „Es wird unterstellt, dass Warenhausobjekte spätestens nach 54 Monaten einer Anschlussnutzung zugeführt werden können“, heißt es im Insolvenzplan von Galeria Kaufhof. Das wären mehr als vier Jahre. Geht es schneller, bleiben die Kosten. Mischnutzung geht nicht ohne aufwändigen Umbau und der koste bei einer solchen Immobilie ohne Grundstücks- und Baunebenkosten meist 3.500 Euro pro Quadratmeter, bei größeren Maßnahmen auch mehr, wird ein Immobilienexperte im Handelsblatt zitiert.

Die Stadt, so heißt es in einer Pressemeldung vom März dieses Jahres, sei in konstruktiven Gesprächen mit dem Immobilieneigentümer. Kaufen oder mieten? Mittendrin oder Museum? Stadthaus oder Stadtbibliothek? Erst mal Zwischennutzung? Hauptsache, was wagen. Mut tut Darmstadt gut! Dann gibt’s auch wieder Gedränge.

 

Vom Kaufhof zum „aufhof“

Kreative, temporäre Zwischennutzung in Hannover: Ab Juni wird dort der Kaufhof zum „aufhof“. Auf rund 5.000 Quadratmetern entsteht ein Forum für Stadtentwicklung und Baukultur, für innovative und greifbare Wissenschaft und für einen kreativen Umgang mit den zukünftigen Herausforderungen der Stadt, gemeinschaftlich betrieben und bespielt von Hannovers Hochschulen, Verwaltung und Wirtschaftsförderung. Geplant sind Veranstaltungs- und Beteiligungsformate mit den Schwerpunkten Innovation und Transformation. Teile der Fläche sollen mit Kunst, Kultur und E-Sports bespielt werden. 2024 beginnt der Neubau. Bis dahin überlässt die Eigentümerin der Immobilie den Projektpartner:innen das Objekt gegen Zahlung der Betriebskosten.

 

Wer hat neue Jobs für Darmstädter Galeria-Kaufhof-Mitarbeitende?

Ihr habt ein Job-Angebot für die Darmstädter Galeria-Kaufhof-Mitarbeitenden, deren Filiale am Weißen Turm am 31. Januar 2024 schließen wird? Oder Ihr kennt jemanden, der jemanden kennt …? Dann geht online auf darmstadt-citymarketing.de und ladet Euch das dortige, angenehm kompakte Stellenausschreibungsformular herunter. Druckt es und füllt es aus (Firmenname, Branche, Art der Beschäftigung, Kontakt) und mailt es anschließend an citymarketing@darmstadt.de. „Alle eingehenden Stellenangebote werden geprüft und im Anschluss an Galeria weitergeleitet, um dort vor Ort am Schwarzen Brett ausgehängt zu werden“, wird versprochen. Schöne Aktion, die Hoffnung macht und Wertschätzung vermittelt.

darmstadt-citymarketing.de

 

Architects for Future

Interessiert an nachhaltiger Stadtentwicklung? Die Darmstädter Ortsgruppe der Architects for Future trifft sich alle zwei Wochen und organisiert spannende Aktionen und Veranstaltungen zum Thema. Einfach melden unter instagram.com/architects4future_da

 

Anna und Tobi haben Lust auf Stadt mit Zukunft!

Wir sind Anna Groos und Tobias Reitz. Einst schrieben wir im P Magazin über unsere Küchenexperimente („Iss was!“). Heute experimentieren wir beruflich wie privat mit der Zukunft von Leben und Arbeit. Eines dieser Experimente führte uns 2021 ins nordhessische Homberg (Efze), wo wir mit 20 anderen Klein- und Großstädter:innen Co-Living und Co-Working auf dem Land testeten. Jetzt sind wir zurück in Darmstadt und haben richtig Lust auf Stadt mit Zukunft.