Foto: Nouki

Für die Kulturaktivisti, die das Temporäre zur Tugend gemacht haben, scheint das Vagabundenleben nach 20 Jahren endlich ein Ende zu nehmen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kulturvereins „das blumen“ ist ein langfristiger Mietvertrag unterzeichnet worden. Und schwuppdiwupp finden sich die aktuell 13 aktiven Blumenmitglieder mal wieder in ihrem natürlichen Habitat: eine leer stehende Location von Grund auf neu zu gestalten. Diesmal an der Reihe: ein 70 Quadratmeter großer ehemaliger Erotikshop – mit einem Schaufenster, das Erinnerungen an kreative Inszenierungen und rauschende Partys Ende der Nullerjahre aufleben lässt. Damals in einem ehemaligen Blumengeschäft an der Nieder-Ramstädter Straße, das namensgebend war für den Verein. Aber was genau wird in den neuen Räumen laufen? Das P traf die Blumen-Mitglieder Lena Roeder (28) und Jannes Schmid (26) vor Ort, um zusammen Revue passieren zu lassen und über die neue Location sowie die kurz bevorstehende Eröffnung zu quatschen.

In der Saalbaustraße 37, im ehemaligen Sexshop „Welt der Erotik“, wird das neue Kapitel des „blumen e. V.“ aufgeschlagen. 2016 war der Verein eine Straßenecke weiter in eine alte Schlosserei an der Hügelstraße 77 gezogen. Von der Terrasse der alten Location aus – die bereits vor fast zehn Jahren abgerissen worden ist – könnte man heute die neue Location sehr gut erkennen. Denn der Hinterhof ist derselbe. Ein bisschen nach dem Motto „back to the roots“ also, obwohl die Blumen-Macher:innen sich nie wirklich von ihren Wurzeln entfernt haben. Vereinsziel ist weiterhin, Darmstadts Kulturszene zu beleben, mithilfe eigens inszenierter Projekte oder durch Kooperationen mit anderen Darmstädter Kulturinstitutionen. Durch jahrelanges Engagement ist man längst zu einem wichtigen Pfeiler der lokalen Kreativszene geworden. Hier und da scheint „das blumen“ zwar von so manchem Nörgler als trendig-exklusives Architekt:innenkollektiv Gleichgesinnter abgestempelt zu werden, doch der Schein trügt, meine Lieben.

Neue Impulse willkommen!

Inzwischen haben nämlich vier Generationen den Fortbestand des Kollektivs sichern können, „das blumen e. V.“ hat sich dabei mit den Jahren immer interdisziplinärer aufgestellt. Mittlerweile engagieren sich Studierende aus Fächern wie Biologie, Psychologie, Soziologie, Industrie- und Kommunikationsdesign, Umweltingenieurwesen, Wirtschaftspsychologie oder Eventmanagement. Die andere Hälfte der Mitglieder steckt bereits im Arbeitsleben. Insbesondere seit Beginn des Projekts in der Annastraße, wo man 2023 temporär eine ehemalige Pizzeria kulturell bespielte, kam es zu einer „natürlichen Fluktuation“, erklärt Lena, die seit 2018 im Verein und aktuell erste Schriftführerin ist. Neue Leute mit neuen Sichtweisen und Perspektiven sind dazugekommen, langjährige Mitglieder haben den Verein verlassen. Insgesamt werde „das blumen“ aber älter, so Lena, weshalb das Kollektiv auch immer wieder Nachwuchs brauche. „Wer möchte, kann bei uns seine oder ihre Ideen einbringen, einfach melden“, ergänzt Jannes, der sich seit 2023 in der Gruppe engagiert.

It’s a match!

Im Spätsommer 2023, direkt nach Closing des Projekts in der Annastraße, stellten sich erst mal Fragen: Ob sich all die investierte Arbeit, die in das Projekt Annastraße floss, gelohnt hat? Und wie schwer wird es fallen, nach nur knapp einem Jahr die Zelte wieder neu irgendwo anders aufzuschlagen? „Ich glaube, es lohnt sich immer“, bleibt Lena optimistisch. Es habe sich für eigentlich alle „auch gut angefühlt, das Ganze abzuschließen“. Viel Zeit, um in der Zwischenzeit Projekte umzusetzen, hatte das Kollektiv „nach der Annastraße“ nicht. Die Suche nach einer neuen Location begann. Der ehemalige Erotikshop in der Saalbaustraße passt zu den Vorstellungen des „blumen e. V.“: „It’s a match!“, freut sich Lena und führt aus: „Das ist auf jeden Fall ein Upgrade, wir haben einen Mietvertrag unterschrieben und können hier tendenziell sicher länger bleiben.“ Diese Sicherheit helfe dem Verein „natürlich auch enorm, unser Projekt und unsere Ziele auch im kulturellen Sinn umzusetzen.“ Dazu braucht es auch den schnöden Mammon: Um zukünftig auch finanziell unabhängig zu sein, hatte das Kollektiv letzten Herbst auf Startnext die Aktion „fund for fun – support your local Verein“ gestartet. Via Crowdfunding und verkaufter Supporter-Goodies kamen innerhalb von sechs Wochen 7.500 Euro zusammen. Das Geld soll dem Verein helfen, verschiedene Umbaumaßnahmen in der Saalbaustraße zu realisieren, Mietkosten zu decken und – als Kulturverein zunehmend wichtig geworden – ein finanzielles Pölsterchen anzusparen.

2009 – 2013: Nieder-Ramstädter Straße | Foto: Das Blumen e.V.
2014: „Ernstfall Kultur“ | Foto: Das Blumen e.V.

Heizung = Mega-Win

Mitte Februar ist in der Saalbaustraße 37 von außen noch herzlich wenig vom Umbau zu erkennen. Das Schaufenster wird noch mithilfe einer Plastikplane provisorisch verdeckt. Hinter den Kulissen ist seit Einzug im Mai 2024 aber schon jede Menge passiert: Alte Tapeten wurden herausgerissen, Wände neu verputzt und gestrichen, ein schallisolierter Boden wurde verlegt, Trennwände wurden hochgezogen, woraus ein Lagerraum entstanden ist. Direkt daneben befindet sich die Bar mit langer Theke. Aktuell wird die Elektronik verkleidet, der Innenausbau vorangetrieben und ein passendes Farbkonzept ausbaldowert. Materialien werden größtenteils recycelt, vieles ist vom Auszug der letzten Location übriggeblieben und schlummert derzeit noch im Lager am Oberfeld. Im Rahmen eines „Stegreif“-Projekts, das vom Architektur-Fachgebiet Entwerfen und Nachhaltiges Bauen an der TU Darmstadt veranstaltet wird, werden mobile Möbelkonzepte passend zum Raum von Architekturstudent:innen entworfen. Das „blumen“-Kollektiv möchte die Möglichkeiten der knapp 70 Quadratmeter großen Location optimal nutzen und möglichst wenig Platz verschwenden. „Da haben wir schon ein paar Ideen vorgegeben, für was die Möbel geeignet sein sollten“, verrät Jannes.

Viel Zeit und Nerven haben aber nicht nur Baumaßnahmen in Anspruch genommen, der Bauantrag zur Umnutzung zur Kulturstätte war im Nachhinein ein „riesiges Projekt“, stönt Lena und dankt „blumen“-Mitglied Viola Frick, die sich aufopferungsvoll gekümmert hat. Aktuell liegt der Antrag den Papierkriegern der Bauaufsichtsbehörde vor und wartet auf Bearbeitung.

2023: Ausstellung in der Annastraße | Foto: Das Blumen e.V.
2020: „Not A Not B“ @ Earlstreet | Foto: Das Blumen e.V.

Neues Raumkonzept

Neu wird in der Saalbaustraße das Raumkonzept sein: „Wir haben jetzt nicht mehr zwei separate Räume [in der Annastraße: ein Raum für intern, zur Planung, zum Treffen et cetera plus ein Veranstaltungsraum]. Die Saalbaustraße ist beides in einem“, erklärt Lena. Mindestens ebenso wichtig: „Wir haben eine Heizung, das ist schon auch ein Mega-Win.“ Und Jannes hat bereits „das Gefühl, dass man sich mit dem Ort hier mittlerweile ein Stück weit assoziiert und dass es ein bisschen ein Wohnzimmer wird“. Zu den Nachbarn pflege man auch schon ein gutes Verhältnis: „Die Personen, die obendrüber wohnen, sind superlieb und wir sehen uns schon relativ häufig, weil wir ja oft hier in der Location sind.“ Zwei Häuser weiter freue sich auch P2-Besitzer Arndt Jahraus, dass schon bald kulturelles Leben einzieht. „Wir freuen uns einfach, wenn viele zu Besuch kommen aus der Nachbarschaft“, resümiert Lena.

Kontakt pflegt „das blumen e. V.“ auch zur Stadt Darmstadt: „Wir sind mit der Stadt eigentlich schon immer gut verknüpft, finanziell werden wir aktuell aber nicht unterstützt“, erklärt Lena. Derzeitige Diskussionen um andere Kulturinitiativen lassen sie nicht kalt: „Wir würden uns sehr freuen, wenn der Osthang Unterstützung erfährt. Wir glauben, dass es eine sehr gute Initiative ist, die aus Darmstadt nicht mehr wegzudenken ist. Es wäre schon sehr schön, wenn es irgendwie bestehen bleibt und sie einen neuen Ort finden“, erklärt sie solidarisch.

2015 – 2017: Hügelstraße 77 | Foto: Das Blumen e.V.
Konzert in der Hügelstraße | Foto: Das Blumen e.V.
2017: Georg-Büchner-Platz | Foto: Das Blumen e.V.

„Es wird ein recht breites Programm.“

Doch auf welche Arten von Veranstaltungen dürfen wir uns im neuen „blumen“ in der Saalbaustraße freuen? Lena und Jannes spielen sich die Antworten wie Ping-Pong-Bälle hin und her: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es wieder entspannte Barabende geben, wir haben aber auch Bock, Lesungen zu machen, vielleicht mal Filme zu zeigen und …“ – „… Ausstellungen“, betont Lena – „genau, Ausstellungen oder mal so Café-Nachmittage“ – „und Workshops“. Hier scheint noch einiges im Fluss zu sein, nur eines ist sicher: „Es wird ein recht breites Programm.“

Bis das neue „blumen“ seine Pforten öffnen wird, kann es aber noch ein Weilchen dauern. Im Raum steht „eine Eröffnung im Frühjahr“, was „schon im April oder erst Richtung Mai“ bedeutet. Aber Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude: „Wir haben richtig Bock darauf, das neue ‚blumen‘ den Darmstädter:innen präsentieren zu dürfen“, verabschiedet sich Lena fröhlich.

2018: Carree Open | Foto: Das Blumen e.V.

Kurze Historie des Kulturmotors „das blumen“

2006 aus einem Projekt der Hochschule Darmstadt (h_da) entstanden, einen ehemaligen Blumenladen an der Nieder-Ramstädter Straße umzugestalten +++ 2008: offizielle Gründung des Kulturvereins „das blumen e. V.“ +++ 2013 dann aus dem ehemaligen Blumenladen hinausgentrifiziert worden, kurz nach dem Aufsehen erregenden Kulturprojekt „Bunker Karolinenplatz“ +++ 2016: Umzug in eine ehemalige Schlosserei in der Hügelstraße, Räumung der Location bereits ein Jahr später, nach etlichen erfolgreich veranstalteten Projekten (Georg-Büchner-Platz, „Carree Open“, „Not A Not B“ in der Earlstreet, „Frameworks“ und „Martin macht Platz“) +++ 2023, nach sechs Jahren Herumvagabundieren: ein kurzes Intermezzo in der Annastraße +++ 2024 nun der womöglich finale Umzug in die Saalbaustraße 37 – wer weiß?!

Infos zu aktuellen Events des „blumen e. V.“ findet Ihr auf Partyamt.de und auf instagram.com/dasblumen