Bölle-Retro-Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Was das Privatfernsehen seit rund 20 Jahren in die Wohnzimmer der Republik hinausposaunt, das scheint sich in dieser Spielzeit zu bewahrheiten: Wir haben die beste 2. Liga aller Zeiten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass einige Dickschiffe des deutschen Fußballs unvermittelt in Zweitligagewässern kreuzen. In diesen fühlen sich die Lilien schon länger wieder heimisch. Dennoch werden sie landauf, landab übergangen, wenn die Liga abgefeiert wird. Warum nur?

Dass der Hamburger SV die 2. Bundesliga beehrt, daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Dass nun mit Werder Bremen und dem FC Schalke 04 zwei Klubs hinzukamen, die man lange Zeit in der Champions League bestaunen durfte, das ist allerdings ziemlich spektakulär. Und beinahe hätte sich mit dem 1. FC Köln ein weiterer Großklub eingereiht, wenn, ja wenn er in der Relegation gegen Kiel die Segel hätte streichen müssen.

 

Der Bundesliga kommt etwas abhanden

Nun sorgte der Aderlass an traditionsreichen Großklubs in der 1. Liga nicht unbedingt für Freude. Der benachbarten Eintracht ist etwa aufgegangen, dass sich ein Produkt im Ausland weniger gut verkauft, wenn altbekannte Vereine mit großen Stadien und vielen Fans nicht mehr am Start sind. Das Hausieren um TV-Gelder und Werbedeals in Fernost, Arabien und Übersee würde jedenfalls schwerer fallen. Im Frühjahr folgte die spektakulär gescheiterte Super League einer ganz ähnlichen Logik. Lieber einen geschlossenen Kreis der europäischen Spitzenklubs unter sich spielen lassen, als sportliche Unwägbarkeiten riskieren. Nun ist das aber der Wesenskern des europäischen Fußballs: Dass Klubs sich für die Teilnahme am europäischen Wettbewerb oder für den Klassenerhalt sportlich qualifizieren müssen.

Doch zurück zur Bundesliga. Dort haben sich zum einen mit Mainz, Augsburg und Freiburg Klubs aus der zweiten Reihe etabliert. Zum anderen zählen inzwischen Vereine wie Hoffenheim, Wolfsburg und Leipzig dank potenter Geldgeber zum erlauchten Kreis. Damit bleibt für ehemalige Spitzenklubs wie Schalke, Hamburg und Bremen fürs Erste kein Platz im Oberhaus. Dieser bemerkenswerte Sachverhalt schlug sich diesen Sommer in der immer gleichen Auflistung namhafter Zweitligaklubs nieder: Neben den Genannten waren dies noch der Club aus Nürnberg, Hannover 96 und Fortuna Düsseldorf sowie Hansa Rostock und Dynamo Dresden. Die restlichen Teams fielen durchs Raster. Ganz so, als ob sie dankbar sein müssten, Teil einer illustren Gesellschaft zu sein. Doch das wird den vermeintlichen No Names nun wirklich nicht gerecht. Etwa den Lilien. Sie dürfen mit einigem Recht behaupten, dass die 1974 eingeführte 2. Bundesliga zu ihrem Revier zählt. In der ewigen Zweitligatabelle rangieren die 98er auf Platz 9, sowohl bei den absolvierten Spielen wie auch bei der Punktausbeute. Von den aktuellen Kontrahenten liegen lediglich St. Pauli, Hannover und Karlsruhe in beiden Kategorien vor Darmstadt 98.

 

Unter dem Radar

Warum aber werden die Lilien hartnäckig unterschlagen, wenn medial die so namhafte 2. Liga abgefeiert wird? Das lässt sich mit ihrem Dornröschenschlaf zwischen 1993 und 2014 erklären. In dieser Phase war der SVD in Fußball-Deutschland außen vor. Just zu einem Zeitpunkt, als der Fußball zu einem familienfreundlichen Werbeprodukt hochgejazzt wurde. In puncto medialer Berichterstattung liegen Welten zwischen den frühen 1990ern und dem zurückliegenden Jahrzehnt. Legte damals das Privatfernsehen den Grundstein für eine neue Art des Entertainments, so krempelte das Internet die bestehende Ordnung endgültig um. Die Dauerbeschallung der Fußballinteressierten ist die Folge. Was am Vormittag berichtet wird, ist am Nachmittag schon kalter Kaffee. Fußball 24/7, dank sozialer Medien und Streaming-Angeboten. Die Lilien waren bei dieser Entwicklung lange kein Faktor. Als die benachbarten 05er aus Mainz mit Kloppo in die 1. Liga einzogen und Sympathien einheimsten, da spielten die Lilien gegen Wald-Michelbach. Und als sich Dortmund und Bayern in London um die Champions-League-Krone duellierten, da waren die 98er gerade sportlich aus der 3. Liga abgestiegen.

Ein weiterer Faktor kommt hinzu, wenn es um das Übersehen der Lilien geht. Klubs wie Hoffenheim, Leipzig und Wolfsburg waren keine normalen Erstligaaufsteiger. Sie waren gekommen, um zu bleiben. Das musste auf Kosten angestammter Klubs gehen. Dass es dabei irgendwann große Namen treffen würde, war nur eine Frage der Zeit. Umso mehr, als die erwähnten Mainzer, Freiburger, Augsburger und auch Union Berlin offenbar besser wirtschaften als Bremen oder Schalke. So wird die 2. Liga vermutlich immer wieder große Namen willkommen heißen, die über eine große Strahlkraft verfügen. Schien die 3. Liga eine Zeit lang zu einem Auffangbecken für Ostklubs zu werden, so könnte die 2. Liga das Gleiche für immer mehr ehemalige Europapokalteilnehmer werden. Insofern würde die Bundesliga Aufmerksamkeit an die 2. Liga abgeben.

 

Das Salz in der Suppe

Was die Außenwahrnehmung anbetrifft, können die 98er gegen eine solche Prominenz nur wenig ausrichten. Sicher, das Wunder von Bielefeld und der Durchmarsch in die Bundesliga, samt sensationellem Klassenerhalt, boten für eine gewisse Zeit Charme-Potenzial. Doch inzwischen sind die Lilien eben seit fünf Jahren einer von 18 Zweitligisten und deutschlandweit betrachtet nicht der Klub mit dem größten Sexappeal. Das muss er auch gar nicht sein. Denn seine natürliche Fanbasis liegt nun mal in Südhessen und erschöpft sich jenseits davon recht schnell. Dennoch ist das kein Grund, den Klub so mir nichts dir nichts zu übergehen. Schließlich können aktuell nur Sandhausen (das Meppen der Neuzeit), Aue, St. Pauli und Heidenheim auf eine längere ununterbrochene Verweildauer im Unterhaus zurückblicken. Und auch, wenn man eine Zweitligatabelle der letzten zehn Jahre betrachtet, wären die 98er unter den besten 18 Teams und damit absolut zurecht im Unterhaus am Start. Klubs wie die Lilien sind so etwas wie das Salz in der Suppe. Und sie können den großen Namen der besten 2. Liga aller Zeiten mal so gehörig die Suppe versalzen. Das wissen sie beim HSV inzwischen nur zu gut.

 

Wir feiern den Lilien-Teamspirit!

So, 12.09., 13.30 Uhr: FC Hansa Rostock – SV Darmstadt 98

So, 19.09., 13.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – Dynamo Dresden

Fr, 24.09., 18.30 Uhr: 1. FC Heidenheim – SV Darmstadt 98

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog