Foto: Jan Ehlers

Vor ziemlich genau sechs Jahren, am 11. Januar 2013, begann beim SV Darmstadt 98 eine Ära. Die Lilien überwinterten in der 3. Liga gerade auf dem letzten Tabellenplatz und der neue Coach Dirk Schuster musste der löchrigen Defensive mehr Stabilität verleihen. Er wurde fündig: beim Sportclub Rheindorf Altach, in der zweiten österreichischen Liga. Der Name des Neuen: Sulu, Aytaç Sulu!

Den Innenverteidiger dürften damals nur Hardcorefans gekannt haben. Vor seiner Episode in Österreich war Sulu vor allem beim VfR Aalen aufgefallen und hatte ein sportlich enttäuschendes Jahr bei Gençlerbirliĝi Ankara verbracht. Als Schuster bei ihm anklopfte, musste er nicht lange überlegen. Sulu war zwar Stammspieler in Altach, fühlte sich dort aber nicht sonderlich wohl. Die Option, mit seiner jungen Familie in die Nähe seiner alten Heimat Heidelberg zu wechseln, machte es für ihn noch attraktiver. „Wir freuen uns, dass wir mit Aytaç Sulu einen erfahrenen Abwehrspieler verpflichten konnten, der auch Führungsqualitäten besitzt. Er kann ein wichtiger Bestandteil werden, um mit uns das gemeinsame Ziel Klassenerhalt zu erreichen.“ So Schuster am Tag der Verpflichtung auf der Lilien-Homepage. Er sollte Recht behalten. Dass der Klassenerhalt letztlich nicht sportlich errungen werden konnte, war dem Abwehrspezialisten am allerwenigsten anzukreiden. Der grüne Tisch regelte das dann zugunsten des SVD.

Schon Runjaic führte Gespräche mit Sulu

Sulu war oft genug das personifizierte Stoppschild für die Angriffsbemühungen der Gegner. In der 3. Liga fingen die 98er mit ihm nur noch halb so viele Gegentreffer. In jedem zweiten Spiel blieben die Rivalen ohne Torerfolg. Ein halbes Jahr nach seiner Ankunft machte Schuster den Abwehrchef zum Mannschaftskapitän. Aufgrund seiner Leistungen und seiner Präsenz auf dem Platz absolut nachvollziehbar. Finanziert worden war er übrigens durch Einnahmen, die die Lilien aus Duisburg für Ex-Coach Kosta Runjaic erhalten hatten. Just für jenen Runjaic, der zu Lilienzeiten mit Sulu Gespräche über einen Wechsel geführt hatte.

Auf dem Platz ist die Nummer 4 bis heute kein Kind von Traurigkeit, ohne allerdings zu überziehen. Schließlich steht für ihn in all den Jahren nur ein Platzverweis zu Buche. Seine Mitspieler dirigiert er immer noch lautstark und auch gegenüber den Schiris ist er nach wie vor sehr kommunikativ. Natürlich darf auch der gepflegte Trashtalk mit den Kontrahenten nicht fehlen. Was zudem auffällt: Sulu fällt so gut wie nie aus. Und wenn doch, dann steckt da mehr dahinter. So wie seine Gesichtsfrakturen, als er 2014 in das Knie seines Keepers Christian Mathenia rauschte. Einen Monat später war er wieder zurück, nur um sich eine Platzwunde zuzuziehen, sodass er die Partie mit Gesichtsmaske und Turban beendete. Als ihn wenig später auf St. Pauli sein Gegenspieler im Gesicht traf, lockerte sich eine Brücke, die er auf dem Feld kurzerhand selbst entfernte. Aus solchem Holz sind Spieler geschnitzt, die den Nerv der Lilienfans treffen. Ein Gefühl, das sich noch verstärkte, als er später im DFB-Pokal pöbelnden Bayernfans den längsten aller Finger entgegen reckte.

Unvergessliche Tore

Inzwischen kommt Captain Sulu auf über 200 Liga- und DFB-Pokaleinsätze für die 98er. Dabei erzielte er 22 Tore. Insbesondere die Treffer in der Bundesliga haben sich ins Gedächtnis eingebrannt: Mit einem Kopfballtor ebnete er dem SVD den ersten Bundesligasieg nach 33 Jahren (in Leverkusen), er sicherte den Lilien vor 80.000 Zuschauern einen Last-Minute-Punkt in Dortmund (per Fuß!) und er köpfte sie zum Erfolg bei der Eintracht (Derbysieger!!). Alles Mosaiksteinchen auf dem Weg zum Klassenerhalt. Am Ende der Spielzeit wurde gar spekuliert, ob er für das türkische Nationalteam zur EURO nach Frankreich fährt. Eine Krönung, die ihm letztlich verwehrt blieb.

Etwa 180-mal trug Sulu bis heute die Kapitänsbinde, damit dürfte ihm unter allen Spielführern in der 120-jährigen Klubhistorie ein Platz ganz weit vorne sicher sein. Ihn in einem Atemzug mit Größen wie Walter Bechtold, Thomas Schmidt und Oliver Posniak zu nennen, ist jedenfalls nicht übertrieben. Auch zu Beginn seines siebten Jahres bei den 98ern ist er ein wichtiger Faktor. Er mag nicht mehr an seine stärksten Tage herankommen. Seine Geschwindigkeitsdefizite macht er aber oft mit gutem Stellungsspiel wett. Den Ball spielt er schnörkellos und seine Torgefährlichkeit nach Standards hat er auch in dieser Saison wieder bewiesen. Zudem weiß er so gut wie kaum ein Zweiter, Fouls zu ziehen und so gefährliche Situationen in der Defensive gar nicht erst entstehen zu lassen.

Eine gewisse Vorahnung


Wie es sich für einen großen Lilienspieler gehört, steht auch ein Titel in seiner Bölle-Vita: der Hessenpokal aus dem Jahr 2013. Der Erfolg bescherte ein DFB-Pokalduell gegen Borussia Mönchengladbach. Ausgerechnet Sulus Lieblingsverein. Und der seinerzeit frischgekürte Kapitän? Schweißte den Ball im siegreichen Elfmeterschießen derart humorlos ins Kreuzeck, dass ein Marc André Ter Stegen nur sparsam dreingucken konnte. Wenig später mehrten sich die Gerüchte über Angebote von höherklassigen Teams. Doch der Kapitän ging nicht von Bord. Er verlängerte um drei Jahre. Warum? „Ich habe im Laufe meiner Karriere schon in mehreren Vereinen gespielt und ich schätze hier die sehr familiäre Atmosphäre. Ich fühle mich wohl und sehe, dass der Verein einen Weg eingeschlagen hat, den ich gerne mitgehen möchte. In unserem Team bildet sich gerade eine Achse heraus, zu der ich meinen Teil beitragen will. Ein Aufstieg mit Darmstadt ist in den nächsten Jahren nicht unmöglich und wäre ein tolles Erlebnis. Hier in Darmstadt entsteht gerade etwas.“ Und damit hatte er im Januar 2014 verdammt recht. Danke, Aytaç!

 

Punkte-Polster oder Drama-Rückrunde?

Sa, 01.12.2018, 13 Uhr: Union Berlin – Darmstadt 98

Sa, 08.12.2018, 13 Uhr: Darmstadt 98 – FC Ingolstadt 04

So, 16.12.2018, 13.30 Uhr: Erzgebirge Aue – Darmstadt 98

So, 23.12.2018, 13.30 Uhr: SC Paderborn – Darmstadt 98

Di, 29.01.2019, 20.30 Uhr: Darmstadt 98 – FC St. Pauli

Fr, 01.02.2019, 18.30 Uhr: MSV Duisburg – Darmstadt 98

www.sv98.de

 

Goodbye, Gegengerade!

Beim letzten Heimspiel vor der Winterpause, am Samstag, 08. Dezember, um 13 Uhr gegen Ingolstadt, verabschieden die Lilienfans ihre über Jahrzehnte liebgewonnene Gegengerade. Wie sellemols wird die gesamte Gegengerade – Ausnahme leider: der doofe Pufferblock – fest in Lilien-Hand sein, Gäste-Fanblock inklusive.

Am Tag darauf, am Sonntag, 09. Dezember, wandern Teile der Gegengerade als Erinnerungsstücke in die Häuser und Gärten der Lilienfans: Gegenstände wie Bruchstücke der Stufen, Regenabflussgitter, Teile des Zaunes oder kleine Ringe aus zersägten Wellenbrechern werden verkauft. Der Erlös wird in „fanspezifische Maßnahmen“ im umgebauten Stadion investiert, garantiert die Fan- und Förderabteilung des SV Darmstadt 98.

Aktuelle Infos unter: www.fufa-sv98.de/gegengerade-lebt-weiter

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

www.kickschuh.blog

www.hochundweit.wordpress.com