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„Elf Freunde müsst Ihr sein.“ So heißt es gerne, wenn der Erfolg im Fußball auf einer verschworenen Gemeinschaft basiert. Dass der Spruch deutlich zu kurz greift, zeigt ein Blick auf die Statistik. Setzte der FC Bayern München bei seiner Meisterschaft 1969 nur zwölf Feldspieler ein, so waren es in der abgelaufenen Saison 25. Für den SV Darmstadt 98 liefen in der vergangenen Spielzeit gar 26 Feldspieler auf. Ein Fußballteam besteht heute demnach aus weit mehr als nur den Spielern, die am Spielbeginn auf dem Platz stehen. Das zeigt, wie wichtig es ist, nicht nur einen breiten Kader, sondern auch starke Einwechselspieler zu haben.

Wer den Kader der 98er auf der Lilien-Homepage aufruft, dem blicken 28 Profikicker entgegen. Rechnet man die beiden Nachwuchsspieler Tim Arnold und Max Pfister sowie die drei Torhüter heraus, dann kann Chefcoach Florian Kohfeldt seinen Spieltagskader aus 23 Feldspielern zusammenstellen. Natürlich fallen in der Regel einige davon verletzungs- oder krankheitsbedingt aus. Auch Sperren kommen im Laufe einer Saison hinzu. Dennoch ist der Kader des SVD derart gut bestückt, dass es so manch ein Profi nicht in den Spieltagskader schaffen wird. Und diejenigen, die zunächst auf der Bank Platz nehmen müssen, die wollen im Laufe der Partie zeigen, dass sie in die Startelf gehören.

Geballte Profierfahrung von der Bank

Dennoch genießen just die Spieler, die von der Bank kommen, nicht bei allen Fans am Bölle die größte Wertschätzung. Für sie kann jemand, der kein Stammspieler ist, kaum als gleichwertiger Ersatz angesehen werden. Und sollte er gar mal von Beginn an ran dürfen, dann versteht das so manch einer umgehend als Downgrade des eigenen Teams. Die Geisteshaltung dahinter zeigt sich an einem spöttischen Gesang, der gegnerischen Ersatzspielern entgegenschallt, die sich im Laufe der Partie hinter der Seitenauslinie aufwärmen: „Aus-wech-sel-spie-ler, Ihr seid nur Aus-wech-sel-spie-ler.“ Genau genommen ist das Quatsch. Denn sie sind ja potenzielle Ein-wech-sel-spie-ler. Der Subtext des Gesangs lautet jedenfalls: „Ihr packt’s nicht. Ihr seid nicht gut genug.“ Dabei hat sich das Leistungsniveau in sämtlichen Spieltagskadern inzwischen nachhaltig geändert. Selbst bei den Lilien nehmen heute gestandene Profis auf der Ersatzbank Platz, die mitunter über 100 Profieinsätze haben. Sie sollten also auf jeden Fall imstande sein, das Spielniveau zu halten, im besten Fall sogar zu heben.

Zählbares durch Joker

Was den Wert eines Ersatzspielers zuletzt zweifelsohne erhöht hat, ist die Anzahl der möglichen Einwechselungen. Mittlerweile sind bis zu fünf davon pro Partie erlaubt. Das bedeutet, dass ein Trainer heute im Laufe einer Begegnung jeden zweiten Feldspieler ersetzen kann. Damit können die Coaches deutlicher auf die Spielstatik Einfluss nehmen denn je. Diese Joker, sie können spielentscheidend werden. Nachgewiesen hat das etwa Killian Corredor am zweiten Spieltag dieser Saison, als er gegen Nürnberg von der Bank kommend den Siegtreffer in der Nachspielzeit erzielte. Auch Ersatzspieler Bartosz Bialek hatte wenig später gegen die Hertha den Siegtreffer auf dem Fuß. Sein strammer Schuss strich allerdings knapp über das gegnerische Gehäuse. Wiederum einen Spieltag später erhielten dann allerdings all diejenigen Lilienfans Wasser auf ihre Mühlen, bei denen Einwechselspieler nicht sonderlich hoch im Kurs stehen. Und es stimmt ja auch. Nachdem in Kaiserslautern der wiedergenesene Sergio López und Angreifer Serhat Semih Güler eine Viertelstunde vor Spielende für Luca Marseiler und Isac Lidberg in die Partie kamen, kippte das Spiel. Beide wirkten jedenfalls nicht stabilisierend. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Lidberg trotz seines Führungstreffers keine sonderlich auffällige Partie darbot, während Güler in der vergangenen Spielzeit für Viktoria Köln neun Tore als Joker erzielte. Das Spiel in Lautern zeigte dennoch, wie sehr Einwechselspieler eine Partie positiv beeinflussen können, nur diesmal eben auf der aus Liliensicht falschen Seite. Denn für Kaiserslautern erzielten ausnahmslos Joker die drei späten Treffer, die ihnen den Sieg bescherten.

Große Namen kamen anfänglich von der Bank

Was ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf: Selbst bei den Lilien standen nicht alle Kicker, die heute einen guten Ruf genießen, sofort in der Startelf. Marvin Mehlem und Tim Skarke kamen beim SVD immer wieder erst im Laufe eines Spiels von der Bank. Bei Skarke waren sein Pressing, seine Laufstärke und seine Physis wichtige Pluspunkte, um bereits müde werdende Kontrahenten zu nerven. In der letzten Saison überzeugte Außenverteidiger Guille Bueno nach seinen Hereinnahmen durch offensive Akzente. Auch im aktuellen Kader hat jeder Ersatzspieler seine Qualitäten. Sollte Luca Marseiller nicht von Beginn an spielen, kann er von der Bank kommend seinen Speed und seine Technik nutzen, um Gegner über den Flügel zu stressen. Merveille Papela kann dem Mittelfeld durch seine Laufstärke und Zweikampfführung gepaart mit gutem Passspiel als Absicherung gegen aufkommende Kontrahenten dienen. Gleiches ließe sich über Fabi Holland sagen. Und Güler hat nun mal – wenngleich „nur“ in der 3. Liga – bewiesen, dass er als Einwechselspieler keine lange Anlaufzeit braucht, um zu „funktionieren“. Matej Maglica gibt wiederum der Defensive die Option, auf Dreierkette umzustellen.

Leistungsträger als Kern, Einwechselspieler als Spezialkräfte

Letztlich ist ein breiter Kader dazu da, auf verschiedene Spielsituationen und Zwischenstände reagieren zu können. Jeder neue Spieler soll seine Qualitäten einbringen, um den Gegner vor neue Aufgaben und im besten Fall vor Probleme zu stellen. Die Zeit der Stammelf, sie ist im Grunde genommen lange vorbei. Eine Mannschaft umfasst heute zwei Dutzend Spieler, von denen jeder genug Qualität mitbringen sollte, um die ihm zugedachte Rolle auszufüllen. Klar ist aber auch: Eine feste Achse von Leistungsträgern benötigt jedes Team, um erfolgreich zu sein. Steht diese, dann sind Einwechselspieler ganz gewiss kein Manko, sondern wertvolle Spezialkräfte, die in jeder Partie den Unterschied ausmachen können.

 

Schalke-Doppelpack Ende Oktober

Sa, 4.10., 13 Uhr: Holstein Kiel – SV Darmstadt 98

So, 19.10., 13.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – 1. FC Magdeburg

Fr, 24.10., 18.30 Uhr: Schalke 04 – SV Darmstadt 98

Mi, 29.10., 20.45 Uhr (DFB-Pokal, 2. Runde): SV Darmstadt 98 – Schalke 04

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Zudem führt er seit einigen Jahren Interviews für den „Lilienkurier“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog