Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Ich glaube, es fing mit dem Schalwedeln an, oder war es doch der Bau der Südtribüne? Nun, der Bau der Südtribüne war, nach der Aufgabe der Sportanlage durch das Lahmlegen der Aschenbahn, sicherlich der größte Strich durch meine Rechnung. Da konnte auch keiner ahnen, dass es irgendwann kein Pfungstädter mehr in der Lilienschänke geben würde.

Als Kind stand ich mit meinem großen Bruder auf der Gegengerade, vor uns ein älterer Mann, von den Umstehenden „Schweinehirt“ genannt. Der machte akustisch seinem Namen alle Ehre, und es wäre vermessen, ihm nicht einen Teil meiner Stadionsozialisation zuzuschreiben. Nur war ich später lauter! Ich habe Hutwelker gleich bei mehreren Vereinen beschimpft (warum hatte ich mich eigentlich so auf den eingeschossen?), „Wie sieht er aus?“ statt „Wiesinger raus“ gerufen, und Karius daran erinnert, dass er ohne Baktus nichts wert sei. „Münster bei Dieburg“ war auch immer schön gegen Preußen. So verstand ich Stadion. Ich habe keine Sekunde für den Verein gelebt, aber jahrzehntelang mit ihm tief in mir. Und einfach so den Stadionbesuch genossen, wie ich ihn mir vorstellte. Spaßiges ausgehen mit Freunden. Darum war mein Idealbild immer das von einigen Tausend ausgelassenen Fans, welche auf den Verein was halten, gerne auch den Gegner auf dem Feld sowie im Gästeblock verhöhnen, selbst aber auch Hohngesänge ertragen können, ohne gleich konspirativ wegzuschleichen, um einen Blocksturm anzuzetteln. Da man sich eh nicht schlägt, schlägt man auch keine gegnerischen Fans.

Ich wurde per Anreise aus Traisa über die Traisaer Straße direkt auf die Gegengerade an den Verein herangeführt, verbrachte dank persönlicher Freundschaft zum Sohn des damaligen Schatzmeisters einige Spiele aus dem runden Fenster des Geräteraumes am Marathontor heraus betrachtend, geriet wieder auf die Gegengerade, dann Ende der 80er eine Weile auf die Haupttribüne, erneut auf die Gegengerade, um schließlich meine Heimstatt in der obersten Ecke der Südkurve zu finden, laut Nachforschungen von Herrn Dillmann „Bierstandszene“ genannt. Dort habe ich mich pudelwohl gefühlt. Dann kamen die Aufstiege, somit für mich auch blödere Anstoßzeiten und Unmengen mehr an Zuschauern, aber auch Fritsch und der OB und schließlich die Bagger. Dann die Veränderung der Fankultur. Einzelne Menschen bekamen Lautsprecher, um den anderen zu sagen, was sie zu singen haben. Und bitte, es müsse noch lauter gehen. Schließlich sollte ich sogar kurzfristig unter irgendwelchen Planen verschwinden oder Dinge hochhalten, als bekennender Individualist war mir das alles zuwider. Dann kam Corona und ich ging. Obwohl Herr Lieberknecht ein prima Kerl ist. Obwohl Kempe noch einen Vertrag bis 2023 hat. Obwohl der Verein der beste der Welt ist.

Was sollte mich halten? Schlechtes Bier? Unsäglich viel mehr Komfort für verwöhnte Gästespieler und deren ebensolche Entourage? Eine Gegengerade für Schuhgrößen bis maximal 45? Das Vorhaben, die Dugena-Uhr würdevoll zu platzieren, was der Verein versprach, als Modell basteln ließ, aber offensichtlich nicht einzuhalten gedenkt? Am Fuße dieser Uhr, in meiner Südkurve, da wäre mein Platz! Trotz des ganzen angesagten Geheiopeie. Doch da wird sich wohl nix mehr tun. Fuck!