HipHop in Darmstadt ohne Flo Hierer wäre wie die Bayern ohne Hoeneß, Mathildenhöhe ohne Ralf Beil oder Toast Hawaii ohne Toast. Er legt das Fundament, ohne direkt im Rampenlicht zu stehen. Er ist der Russell Simmons Darmstadts, der als „Def Jam“-Labelchef Run DMC, Beastie Boys, LL Cool J und Kayne West groß gemacht hat. Hierers Label nennt sich „Kehlkopf Aufnahmen“ und seine Künstler sind: Manges, Mädness, Baggefudda, Nomis & Doell, El Ray, Böse Zungen, Kollege Schnürschuh. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums seines Labels bat das P um eine Audienz in Flos Küche. Intensives Name-Dropping blieb da nicht aus. Aber wir sprachen auch über Uppercut, Battle of Trash, die Popakademie und Bayern München.
Du bist als Heiner Fan der Bayern?
Flo: Mehr noch. Eingetragenes Mitglied. Erwähn das aber lieber nicht.
Im Gegenteil. Das kommt als Disse an den Anfang. Ist im HipHop ja so üblich. Also gleich beim Thema. „10 Jahre Kehlkopf“ – wie ging es los?
In den Neunzigern gab es die Kehlkopf-Mafia, eine Gruppe von Darmstädter Rappern rund um Manges, Santana und die Baggefuddas. Darauf baut der Name auf. Für mich als Fan ging HipHop richtig los mit „Die Klasse von 95“ [Sampler mit Der Tobi & Das Bo, Massive Töne, Fettes Brot, Main Concept, MC Rene, Stieber Twins]. Wir fuhren dann immer gemeinsam nach Heidelberg zu Jams mit Acts wie Advanced Chemistry, Too Strong, No Remorze, Cora E. oder den Absoluten Beginnern, als sie noch ganz klein und niedlich waren.
Aber erst 2002 startete das eigene Label.
Es gab viele Partys und Konzerte, aber es passierte nix wirklich, keine Aufnahmen, keine Struktur. Das war mir irgendwann zu blöd. Und wenn ich was mache, mache ich es richtig: Gewerbe, Labelcode, Produktion et cetera. Am Anfang waren wir zu dritt: Jan Ethner, Markos Koderisch [Manges] und ich. Später waren noch kurz dabei: Michael Stockum, heute beim Fanta4-Label Four Music, und Jonas Weber, heute bei Universal in Berlin … [schmunzelt] … die haben den Absprung also geschafft. Los ging es damals 2002 mit der ersten EP von Baggefudda. Als wir das erste Mal zu Lolo Blümler ins Ironbar Studio gingen, war das völlig desaströs. Die hatten gerade mal einen halben Track parat. [schüttelt den Kopf] Ich hab dann mit Lolo zwei Stunden gefrühstückt, bis die ihre Sachen zusammen hatten. Extrem unprofessionell.
Mit den ersten Platten von Manges hattet Ihr dann auch bundesweit Erfolg.
Genau, 2003 mit der zweiten Platte von Manges [„Regenzeit in der Wüste“]. Olli Schulz [DJ Sonix & Phunk Mob] und Gerd Janson [Journalist, DJ & Labelbetreiber „Running Back“] verschafften uns damals einen Vertriebsdeal mit Groove Attack, dem größten HipHop-Vertrieb hierzulande. Da wurde die Presse auf uns aufmerksam. Die haben Manges ziemlich abgefeiert. Wir waren kurz davor, einen Major-Vertrag für ihn zu kriegen. Der Manager von Sony/EMI meinte damals, von der Musik verkaufen wir glatt 100.000 Einheiten. Uff. Das ist dann leider an … diversen Umständen gescheitert. War echt unglücklich.
Du hast an der Popakademie in Mannheim studiert. Wegen des Labels?
[etwas kleinlaut] Erst hatte ich erfolgreich Informatik nicht studiert. Mit Elmar Compes organisierte ich damals schon Partys unter dem Namen Uppercut im ehemaligen Exstasis. Für mich gab es damals nur Musik, Musik, Musik. Für meine Labelarbeit hatte ich damals aber Kurse für Band-Management und so besucht. Auch beim bekannten Musikdozenten Udo Dahmen, der gerade die Popakademie in Mannheim startete. Da studierte ich dann drei Jahre auf Bachelor. Das hat mir viel gebracht, vor allem Kontakte. Ich weiß jetzt, wie die Industrie funktioniert, weiß alles über Themen wie die Gema, über die so viel diskutiert wird.
Und wie stehst Du zur Gema?
Die Gema bringt schon was, wenn man viel Airplay und Konzerte hat. Dann ist das für die Urheber ein verdienter Lebensunterhalt. Über die Platten kommt nix mehr rein. Ich bin allgemein ein Fan davon, dass Kultur auch bezahlt werden soll. Und da ist die Gema eigentlich ein gutes Instrument. Aber in der Praxis verhält sie sich oft wie ein alter „MuffPuff“, wie diese neuen Club-Vergütungssätze zeigen. Die Haltung bei Youtube finde ich aber konsequent. Youtube verdient Milliarden und wird oft als Opfer dargestellt.
Zurück zu „Kehlkopf“. Nach Manges war es vor allem Mädness, der kurz bundesweit wahrgenommen wurde. Was ist daraus geworden?
Mädness ist der klassische Fall. Ein super Rapper und mittlerweile auch sehr professionell. Bei ihm hat einfach das Quäntchen Glück gefehlt. Vor zwei Jahren trat er beim Splash-Festival direkt vor Public Enemy auf. Wenn die Majors damals einen Slot frei gehabt hätten, säße der heute wo ganz anders. Ähnlich auch beim Phonk D [Kollege Schnürschuh] … am Anfang wollte der nur Musik machen, rumhängen und Bier trinken. Jetzt ist der als Produzent sehr diszipliniert. Jeder erfolgreiche Künstler muss a) krass hart arbeiten und b) braucht dann unglaublich viel Glück. Wenn ich jetzt erfolgreiche Rapper wie Cro oder Casper anschaue, die sind eigentlich ein Abklatsch von Manges. Wir waren da auch als Label zu zögerlich, dachten, das läuft von alleine. Die Musikindustrie ist echt ein großes Haifischbecken. Mal sehen, was jetzt mit Nomis & Doell geht. Die haben das nötige Talent und die Energie.
Wie geht es weiter?
Das Label ist da und ich finde die Vorstellung, mit Fünfzig noch HipHop-Platten rauszubringen, nicht verkehrt. Vielleicht werden es ja auch Jazz-Alben in zehn Jahren. Aber ich bin jetzt Vater und das Kind muss erst mal vier, fünf Jahre auf Spur gebracht werden. Ich hab in zehn Jahren sicher um die 10.000 Euro versenkt. Das war lange Zeit okay, geht jetzt aber nicht mehr. Ein Label baut den Künstler auf, bezahlt die Promotion und Produktion, aber heute verdienst du nur noch mit Live-Konzerten und Merchandise wirklich Geld. Das muss besser abgedeckt und das Label an anderen Sektoren beteiligt sein [„360 Grad-Verträge“]. Sonst macht das keinen Sinn mehr.
Wer sind eigentlich Deine HipHop-Helden?
So was wie Gang Starr, A Tribe Called Quest, Jeru The Damaja, Talib Kweli, The Roots, Mos Def. Wir haben aber auch Größen wie Notorious BIG, Dr. Dre, Ice Cube oder Snoop Dog gefeiert. Derzeit höre ich eher Grime und Bass-Kram aus London wie Dizzee Rascal. Auf den Notting Hill Carnival dort freue ich mich das ganze Jahr. Das sind unglaubliche Partys. Zwischendurch brauche ich aber auch mal eine Dosis Deep House.
Du bist auch Teil der Uppercut-Crew [„Reggae Allstar Yard“, „Uff de Gass“ & „10 Jahre, 10 DJs“] und des „Battle of Trash“-DJ Teams.
Uppercut hat sich als Marke verselbstständig. Das startete mit Arne Cornelius [nicht mehr dabei], Elmar und mir. Später kam Dirk Bretträger [Phonk D] dazu. Mal machen wir was zu dritt, mal separat. Das ist immer anders. Und „Battle of Trash“ läuft sensationell [grinst]. Wir haben da 2004 ein ekelhaftes Monster geschaffen. Am Anfang war das ein Gag, am Ende einer Nacht beschissene Lieder zu spielen. Und die Leute haben das voll getickt. Eigentlich will das doch jeder: Im Vollsuff Lieder hören, die man nicht mögen darf, aber heimlich in der Dusche trällert. Zusammen mit den Milchclub Boys können Elmar, Dirk und ich da richtig primitiv die Sau rauslassen. Wir sind mittlerweile Wochen vorher ausverkauft.
Und Darmstadt sonst?
Ich finde es super, dass mit IDC wieder ein richtig gutes Label mit Events am Start ist. Die Jungs sind fit. Besonders ihr Herrngarten Jam ist der Hammer. Ansonsten bin ich rundum Heiner – „born & raised & gonna die here“. Ich lass nix auf Darmstadt kommen. Ich kann verstehen, dass jemand nach Darmstadt kommt und es langweilig findet. Wenn man hier nicht aufgewachsen ist, wirkt es vielleicht so. Ich glaube aber, dass hier mehr geht also anderswo. Von mir gibt es keinen Darmstadt-Diss.
Das P sagt: HipHop Hooray!