Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Es gibt Abende, an denen es höchst interessant ist, einen DJ-Kollegen zu hören und zu beobachten. Fremdschämen, die Identifikation mit dem DJ und den Hang sich in seine/ihre Lage hineinzuversetzen, ist bei mir sehr stark ausgeprägt.

Du sollst da oben nicht „voltigieren’“ – auflegen reicht, denke ich häufig. Um ein Beispiel zu nennen: Einmal erlebte ich einen DJ, der in einer Tour und mit sehr viel rhythmischem Elan – neben vielen weiteren Reglern am Mischpult – einen bestimmten Knopf am CD-Player immerzu drückte. Nach einer Weile weckte dieser scheinbar magische Knopf mein Interesse, schließlich ist mir das technische Gerät selbst lange genug vertraut und mir schien bisher diese unglaubliche Einstellungsmöglichkeit entgangen zu sein. Nach genauerem Hinsehen erkannte ich ihn wieder. Das Knöpfchen dient dazu die Zeit des laufenden Tracks entweder rückwärts oder vorwärts ablaufend anzuzeigen. Sensationell! Natürlich extrem wichtig, diesen alle zehn Sekunden sehr geschäftig und mit ausladenden Bewegungen zu betätigen. Ist klar!

Fremdschämen als Berufskrankheit

Diese Art der frechen Fakerei bewirkt ein ausgeprägtes Fremdschäm-Gefühl und Ärgernis bei mir. An solchen Abenden rauche ich leider sehr viel, weil ich ständig dem Gefühl nachgebe, den Raum verlassen zu müssen. Drinnen kann ich es einfach nicht abstellen, die Leute und vor allem die DJs zu beobachten. Berufskrankheit – basierend auf einem unvoreingenommenen Interesse am Handwerk.

Doch auch außerhalb der Disco bleibe ich nicht vom Fremdschämen verschont. Oftmals reichen schon Poster oder aufgepimpte Supervideos, um mir die Schamesröte ins Gesicht zu treiben. Eingebildet und dekadent werden Szenen purer Euphorie aneinandergeschnitten, verschwitzte Teenies angefeuert, für die Aufnahme der Videokamera nochmal alles zu geben. Menschenmassen erliegen völliger Ekstase und dem Rausch der Nacht, die DJs – narzisstisch und aufgeplustert – werden hochstilisiert zu besseren Wesen.

Falscher Schein oder Marketing?

Wer wirklich am Abend des Video-Drehs in dem Club war, weiß allerdings, dass es nicht mal halbvoll und die Stimmung eigentlich wie immer war. Die Vermarktung und Darstellung einer nicht vorhandenen, irrealen Welt. Ich nenne es: Der falsche Schein des Mittelklasse-DJs, andere nennen es wohl Marketing. Zum Glück ist dieser unerträgliche Trend mittlerweile schon etwas abgeebbt.

Häufig begegnet man Exemplaren, die null Gespür, null Empathie beweisen und einfach immer „auf die Fresse“ auflegen: sein eigenes „Ding durchziehen“, zum Beobachten der Publikums-Reaktionen der Kopf zu schwer, zu voll mit DJ-Eitelkeiten und Narzismus. Den zugepillten 18-Jährigen verkaufen sie ihren Stil am leichtesten. Die Musik, um die es eigentlich mal gehen sollte, rückt immer mehr in den Hintergrund und spielt neben dem Kasperle-Theater hinterm Pult nur noch eine zweitrangige Rolle. Image und dicke Eier sind wichtiger. Es gilt: Je härter der Song, desto dicker die Eier – besonders auffällig bei den oben beschriebenen DJ-Exemplaren.

Musik auflegen oder telefonieren

Andere machen im wahrsten Sinne wieder etwas weniger Show und legen ganz puristisch mit ihrem – Achtung! – Tablet auf. Jesus! Das kann ich beim besten Willen nicht unkommentiert so stehen lassen. Geht’s noch? Demnächst schließen wir noch die Smartphones an den Mixer an, wenn so ein Checkertyp sich David Guetta wünscht, oder wie?! Oder warum nicht gleich mit Spotify oder Youtube auflegen? Ehrlich, reißt Euch mal zusammen: Entweder man legt Musik auf oder man telefoniert. Wenn ein Gerät beides kann, sollte man stutzig werden – und ich kann nur jedem raten, das Smartphone nicht als „DJ“ in einer Disco vor Publikum vorzuführen.

Ihr lest den Montagsgedanken: Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de nieder. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch im P.

www.facebook.com/DontCanDJ