Früher Frischwasser-Lieferant für den täglichen Bedarf, dann zur Kloake verkommen und schließlich unter die Erde verbannt: der Darmbach. Immer wieder wird über seine Freilegung diskutiert, neue Pläne werden verabschiedet, dann wird das Projekt für (politisch) tot erklärt. Geschehen ist bis jetzt auf jeden Fall: wenig. Warum eigentlich?
Für die Vorsitzende des Darmbach e. V., Jutta Habermann, ist die Sachlage eindeutig. Der Verein setzt sich seit 2008 dafür ein, den Darmbach aus der Kanalisation heraus in den Stadtraum zu holen. „Wir stoßen immer wieder auf das gleiche Problem: Es gibt unglaublich viel Fehlwissen!“, erklärt sie und nennt direkt den häufigsten Kritikpunkt am ganzen Projekt: die immertrockene Rinne am Darmstadtium. Genau hier könne Mensch doch sehen, dass der Bach nicht genug Wasser führe! So das Lamento der Kritiker:innen. Jutta Habermann entgegnet, dass der Lauf vor dem Darmstadtium tatsächlich nie an den Darmbach angeschlossen wurde und momentan nur situativ mit Trinkwasser geflutet werde.
Mangelnde Mittel?
Natürlich trocknen Flüsse in unseren heutigen, oft sehr heißen Sommern manchmal aus. Im Hochsommer. Aber in allen anderen Monaten? Was, wenn die Natur ein bisschen mehr zurück ins Stadtleben findet? In Form von Brutstätten, Wasserspielplätzen und kühlender Verdunstung? So ähnlich sah es auch das Projekt „Schlaues Wasser“ vor, das acht Ideen zum bewussteren Umgang mit Wasser in Darmstadt realisieren wollte. Es sollte bis 2027 laufen und zum Beispiel auch ein stadtweites Netz an Trinkwasserbrunnen einführen. Dafür stellte der Bund mehrere Millionen Euro zur Verfügung. Doch dieses Geld alleine scheint nicht auszureichen, die Stadt Darmstadt müsste Geld dazuschießen – deshalb wurde das Projekt kürzlich in Gänze wieder gestrichen.
Die Offenlegung des Darmbachs ab Rudolf-Mueller-Anlage bis in den Herrngartenteich war zwar nicht Teil von „Schlaues Wasser“, sie wurde (und wird) aber als wichtiger Bestandteil des städtischen Klimaschutzkonzepts genannt und könnte auch Teil des Innenstadt-Klima-Verbesserungskonzepts werden. Doch auch hier stellt sich die Finanzierungsfrage.
Wieso passiert in Darmstadt nichts?
Denn Sparen ist angesagt in Darmstadt, an allen nur möglichen Ecken und Enden. Doch ob es sich in diesem Fall wirklich lohnt, angesichts der immer heißer werdenden Sommermonate? Welchen Unterschied selbst ein kleines Gewässer machen kann, zeigen die Städte Aachen, Bielefeld und Villingen-Schwenningen. Letztere ist in Sachen natürliches Gewässer vergleichbar mit Darmstadt: Dort wurde ein knapp vier Kilometer langes Stück des Neckars lange Zeit in die Abwasserkanalisation eingeleitet und erst in den letzten Jahren Zug um Zug wieder offengelegt. Hierbei achtete die Stadt besonders auf ein renaturiertes Flussbett, um Mensch und Tier eine ganz ursprüngliche Erfahrung zu geben. Das wird in Darmstadt nicht (überall) möglich sein, doch mindestens im Herrngarten. Das klingt alles ganz wunderbar. Warum also passiert in Darmstadt nichts?
Es liegt, wie schon gesagt, am Geld. Davon ist nämlich einfach zu wenig da – beziehungsweise: Das vorhandene wird lieber woanders investiert. Dabei könnte sich das Projekt Darmbachoffenlegung in ein paar Jahren praktisch schon selbst tragen, unter anderem weil die Abwassergebühren aus dem städtischen Haushalt für die Einleitung von jährlich einer Million Kubikmeter Bachwasser wegfielen und der Herrngartenteich nicht mehr mit Trinkwasser befüllt und regelmäßig gereinigt werden müsste. Allein Letzteres koste die Stadt 30.000 Euro, zuletzt alle anderthalb Jahre, so Habermann. Von dieser Summe könnte eine Dreiviertelstelle beim EAD eingerichtet werden, schwärmt die Darmbach-Aktivistin, für einen Menschen, der sich das ganze Jahr um nichts anderes als die Instandhaltung des Flussbetts kümmert.
Pro Kopf 7,56 Euro im Jahr?!
Aber zurück zum Grundproblem: Um den Darmbach an die Oberfläche zu holen, braucht es erst mal eine Stange Geld, wohl mehrere Millionen Euro. Straßen müssen geöffnet, Rohre verlegt, Rinnen gegraben werden. Und wenn die ganze Sache dann fertig ist, kostet es darüber hinaus die Bürger:innen voraussichtlich noch mehr. Denn die Fixkosten der Kläranlage bleiben gleich. Und je kleiner die zu reinigende Wassermenge ist, desto höher wird der Preis pro Kubikmeter. Der BUND hat das mal ausgerechnet und kommt auf eine Erhöhung der Abwassergebühr um 14 Cent je Kubikmeter; bei einem durchschnittlichen Wasserverbrauch der Darmstädter:innen (53.290 Liter) sind das 7,56 Euro im Jahr.
Abgesehen davon, dass niemand von Baustellen oder einer Erhöhung der Gebühren begeistert ist, nennen Kritiker:innen als Gründe gegen die Offenlegung: Angst vor Überflutungen auf der einen und Angst vor Wasserknappheit im Woog auf der anderen Seite. Auch mit dieser Kritik ist Jutta Habermann bestens vertraut: „Der Woog, das ist nicht nur ein Badesee, sondern auch ein Stausee, der für Starkregenereignisse bis dorthin ausgerüstet ist.“ Und auch die Wasserknappheit sollte kein Problem sein, sagt die Expertin weiter. „Wir wollen auch einen Wiederanschluss des Meiereibachs, der niemals trockenfällt, an den Woog. Dadurch wären sowohl der See als auch der Bach immer bestens gespeist. Außerdem hat der Darmbach tatsächlich fünf kleine Zuflüsse im Bereich der Fischerhütte, im letzen Jahr kamen wir so auf eine Menge von 430.000 Kubikmetern Wasser.“ Und grundsätzlich: „Alles ist besser, als dass das saubere Wasser in der Kanalisation landet, das ist doch absurd!“
Kritik aus der Kommunalpolitik
Kritik kommt, neben den Bürger:innen, auch aus der Kommunalpolitik: So sagte Oberbürgermeister Hanno Benz bei seiner diesjährigen Neujahrsansprache, um zu sparen, solle nicht die Kultur der Stadt als Erstes auf die Streichliste gesetzt werden, sondern lieber Projekte wie die Darmbachoffenlegung, die den Bürger:innen wenig nütze. Auch wenn es schön ist, dass an der Kultur nicht gespart werden soll – und so auch hoffentlich ein Plätzchen für zum Beispiel die Zukunft des Osthangs oder die fehlenden Proberäume gefunden werden wird – ist die Frage nach der Nützlichkeit eines fließenden Gewässers in der Stadt so einfach eher nicht beantwortet.
Fakt ist, dass das Projekt Darmbachoffenlegung erst mal auf Eis zu liegen scheint (oder zumindest in den Amtsstübchen eine Schublade weiter nach unten gelegt wurde). Auf unsere Bitte um Herstellung eines Kontakts zum städtischen Klärwerk und Tiefbauamt für Hintergrundfragen antwortete Frank Horneff, der Pressesprecher der Wissenschaftsstadt Darmstadt, nur knapp: „Aufgrund der haushälterischen Situation der Stadt Darmstadt [wird] das Projekt ,Freilegung des Darmbachs‘ von Seiten der Stadt Darmstadt nicht weiterverfolgt.“ Aber, wie heißt es doch so schön: Totgesagte leben länger. Vielleicht gilt das ja auch für die Freilegung des Darmbachs.
Interaktive Aktion: „#freedarmbach“
Unter dem Motto „#freedarmbach“ hat der Darmbach e. V. eine interaktive Aktion gestartet. Auf quer über die Stadt verteilten Postkarten sind GPS-Koordinaten angegeben, die zu verschiedenen Stellen führen, an denen der Darmbach offen fließen könnte. Zudem wurden acht „#freedarmbach“-Schilder aufgestellt – von der Fischerhütte bis zum Herrngarten. Und wer im Frühling mit offenen Augen durch den Herrngarten geht, sieht eine Linie an Krokussen, die zeigen, wo vielleicht irgendwann mal ein Bach fließen könnte.
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