In der schepp Schachtel finden sonst eher bedeutungsschwangere Veranstaltungen wie das Symposium der Fußpilzforscher:innen oder der Kongress der südwestdeutschen mineralwasserabfüllenden Betriebe statt. Seit Januar bekommt man hier im Darmstadtium den geilen Scheiß: Biontech, Astrazeneca (zeitweise und dann nicht alle … we know the struggle) und Moderna.
Die Sonne scheint, ich bin beschwingt, voller Vorfreude und habe das Gefühl, dass mir alle auf der Straße ansehen, wohin ich gehe. Ich stehe bei der geilsten Party der Stadt auf der Gästeliste, gleich werde ich geimpft. Ich prüfe zum 24. Mal, ob ich alle Dokumente dabei habe. Mutti wäre stolz, denn ich habe alles in eine Klarsichthülle gepackt. Zur Feier des Tages trage ich ein leichtes Augen-Make-up, meine pinke FFP2-Maske und habe mich für ein lockeres Shirt entschieden, bei dem man leicht an den Oberarm kommt. Seit dem Vorabend habe ich überlegt, was ich anziehen soll. Keine Jogginghose, schließlich ist das ein wichtiger Tag.
„Haben Sie einen Termin?“, fragt der nette Herr von der Security und ich möchte ihm am liebsten um den Hals fallen und laut „JA!“ schreien. Ich darf rein, habe die härteste Tür der Stadt passiert. Zunächst zumindest. Am Eingang werden meine Unterlagen zum ersten Mal geprüft, jede Seite wird genau angeschaut. Ich plappere drauf los, was der Mitarbeiter eh lesen kann … „Da ist der Anamnesebogen, hier der Termin, ich habe zwei Impfpässe, weiß aber nicht, welchen wir nehmen können … hihi.“ „Oh Gott, Isa, das ist echt peinlich, halt Dich jetzt mal zurück, Du bist nicht die Erste, die geimpft wird, der Mann weiß schon, was er sich anschaut.“ Habe ich das laut gesagt? Ich weiß es nicht genau, die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Ich kriege nun einen Aufkleber auf meine Unterlagen, dessen Farbe meinen Impfstoff verrät.
Jetzt erst mal Fiebermessen. Mir ist warm, aber das ist zum Glück nur die Aufregung. Vor der Registrierung werden meine Dokumente noch mal angeschaut, bevor Sie bei der Registrierung selbst erneut genau geprüft werden. Dann darf ich im Wartebereich Platz nehmen. Nach einigen Minuten muss ich weiter zur – richtig – erneuten Prüfung meiner Dokumente. Mittlerweile bin ich routiniert, wenn etwas falsch wäre, hätte das ja bereits auffallen müssen. Ich erkläre trotzdem weiterhin jedes Blatt, sicher ist sicher. Außerdem habe ich für die gute Vorbereitung meiner Unterlagen bereits zwei Mal ein Lob bekommen und, na ja, Lob ist mein Gemüse, oder so ähnlich.
Finale Prüfung meiner Dokumente, zum fünften und letzten Mal bekomme ich ein Lob. Ob ich deswegen in Impfkabine 1 darf? Highperformerinnen wie ich? Egal, ich bin drin, mache meinen Oberarm frei und endlich kommt eine nette Ärztin rein. Ich erkläre ihr, natürlich ungefragt, wie froh ich bin. Obwohl ich Spritzen hasse, genieße ich den Moment des Impfens. Me-Time mit Nadel-Wellness. Ich fühle mich der Ärztin plötzlich sehr nah, spürt sie auch, dass diese Begegnung mein Leben verändert? Oder bin ich nur eine unter vielen? Ich habe mir noch nicht mal ihren Namen gemerkt, vermutlich sehen wir uns nie wieder, das macht mich traurig.
Ich muss noch 15 Minuten warten. Ist das Kribbeln im Bauch Biontech oder mein Mittagessen? Ich beobachte die anderen im Wartebereich. Ich finde, wir hätten zumindest kurz mit den Füßen abklatschen können, wir spielen ja jetzt in einem Team. Ein bisschen mehr Enthusiasmus, bitte. Oder Konfetti. Vielleicht Musik. Als ich das Darmstadtium nach einer Stunde verlasse, fühle ich mich wie nach einer guten Party im Schlosskeller (die Älteren werden den Laden noch kennen): Ein bisschen schwitzig, draußen ist es sehr hell und es gab Shots, deren Zusammensetzung ich nur rudimentär kenne.
Liebe Leute, lasst Euch impfen, wenn Ihr könnt. Wir sind auf der Zielgeraden und können schon bald wieder in der hässlichsten Innenstadt Hessens shoppen gehen. Und ins Stadion, ins Restaurant und in die Schule. Und wenn Euch das nicht überzeugt: Das Schlossgrabenfest 2022 muss stattfinden, denn was eignet sich besser für so eine Kolumne als diese komische Veranstaltung?
Du bist fies? Ich bin Fiesa!
Ich bin Isa, 33, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.