DJ Chromo vor seinem Laden Musik als Hilfe | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Plattenläden waren lange Zeit Schatzkammern der Unterhaltung und des Eskapismus, in denen man Teile der Jugend verbrachte. Dann kamen Versandhandel und Streaming. Die Gattung Plattenladen ist daher vom Aussterben bedroht, aber drei dieser Kleinode befinden sich noch in unserer Stadt. Wir stellen sie vor – und legen sie Euch ans Herz.

 

Musik als Hilfe

2013 eröffnete Gerald Wrede seinen Laden mit dem prägnanten Namen in der Pallaswiesenstraße. Seit Jahrzehnten treibt er sich als kauziger DJ (DJ Chromo), Musiker (The Dass Sägebett, Bormuth) und P-Autor (Wrede und Antwort) in der Darmstädter Subkultur herum, verdiente sein Geld aber als Stagehand. „Das war damals nicht mehr praktikabel wegen des Risikos der Scheinselbstständigkeit. Als ich an der leeren Ladenzeile vorbeilief, kam mir dann die spontane Idee … und ich bereue es trotz errechnetem Stundenlohn von 3,17 Euro bisher nicht“, erzählt Wrede. Sein Sortiment umfasst mehr als 10.000 Platten (zumeist Second Hand) aus unterschiedlichsten Segmenten, darunter viele skurrile Sachen – eine Art Spezialgebiet von ihm. Er kauft natürlich auch noch Sammlungen an, ist da aber sehr rigide in der Auswahl. „Mit Klassik, Schlager oder Volksmusik bitte gar nicht erst kommen. Da habe ich keine Käufer für. CDs übrigens auch nicht – da ist der Markt nahezu tot“, erklärt der Ladenchef. Keine großen Höhen, aber dank einer treuen Kundschaft auch keine wirklichen Tiefen hätte es gegeben, Corona knabbere aber doch sehr an der Existenz: früher normal 20 verkaufte Platten am Tag, derzeit durchschnittlich zwei. Sobald es Corona zulässt, will er auch wieder kleine Konzerte, Filme und Ausstellungen in seinem Laden veranstalten. Sein lustiges Zusatzangebot, bei Auftrag innerhalb von 30 Minuten einen selbst komponierten Song im angrenzenden kleinen Studio zu produzieren, gibt es auch weiterhin. „Für Geburtstage, den oder die Liebste oder sonst was – ich habe die Bausteine hier und ich oder die Person selbst kann sofort einen Text singen“, schmunzelt der ebenso begabte wie skurrile Musiker. Über 50 Auftragssongs habe er schon verkauft. „Musik als Hilfe“ gilt also auch wörtlich. Der Plattenverkauf bleibt aber sein Standbein – und sollte Corona noch länger dauern, geht Stöbern auch online auf discogs.com/user/wredi/collection.

dj-chromo.de

 

Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Come Back

Nach einem London-Besuch beschlossen drei Freunde der Punk-Musik einen Underground-Plattenladen zu eröffnen. Das war in Mannheim, ihrer Heimatstadt. Es folgten weitere Läden in Heidelberg, Kaiserslautern und Darmstadt. Die in Heidelberg und Kaiserslautern schlossen Mitte der 1990er, der in Darmstadt zog dagegen 2005 von der Elisabethenstraße in ein größeres und (vom Cityring) gut sichtbares Domizil in der Luisenstraße am Fuße der Fußgängerzone Richtung Luisenplatz. „Darmstadt war immer ein gutes Pflaster für uns. Hier gibt es viele Studenten, Akademiker und eine gute Subkultur. Alles passende Faktoren“, erzählt Markus Brehm, einer der drei Inhaber, die sich – oh Wunder – nach so langer Zeit nie zerstritten haben. „Unsere Steuerberaterin wundert sich auch“, schmunzelt Brehm. Es gibt immer noch viele CDs, aber die Ausrichtung verschiebt sich marktgerecht langsam mehr Richtung Vinyl – gerade beim Ankauf. Um die 14.000 Tonträger (Neuware und Second Hand) befinden sich im Laden – dazu noch mal zirka 18.000 in Mannheim. Stilistisch ist nahezu alles vorhanden. Darüber hinaus gibt es aber auch DVDs, Comics, Videospiele, Konsolen und Zubehör (fast aller Anbieter), Poster und T-Shirts. Ware in gutem Zustand darf man gerne vorbeibringen – am besten vorher anmelden und Details nennen, damit man nicht enttäuscht wird – und zur sorgfältigen Prüfung dalassen. Corona hat natürlich Spuren hinterlassen, aber man habe auf Ebay und Discogs ein bisschen was auffangen können, sagt Brehm. Außerdem habe der Eigentümer zwischenzeitlich nur noch die halbe Pacht verlangt, was vorbildhaft und eine riesengroße Hilfe gewesen sei. Brehm prognostiziert abschließend: „Wir verstehen die Maßnahmen der Regierung und halten uns daran, sind aber optimistisch, dass es bald aufwärts geht. Auch mit der Besuchsfrequenz in unserem Laden.“

come-back-online.de

 

Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

CD Bessungen

Der Plattenverkäufer Georg Kruse hat eine bewegte Berufsgeschichte hinter sich. Nach seinem Abitur 1982 landete er erst als Einzelhandelskaufmann bei Radio Wilms in Eberstadt, dann Stationen bei Spielwaren Nitzsche, AV Markt, Charlys Schallplatten und in der Frankfurter B-Ebene bei City Music (übrigens der erste Plattenladen weltweit, der Mitte der 1980er das Segment „Techno“ einführte). Schließlich landete der Musikliebhaber 1993 bei City CD im Luisencenter – neben dem legendären Uli’s Musicland der damals meist frequentierte Plattenladen der Stadt, weil wirkliche Kenner wie eben Kruse oder der damalige DJ Kemal beratend zur Seite standen. Nach der Schließung des City CD wagte Kruse 2008 den Schritt zum eigenen Laden: die CD Lounge in der Wilhelminenstraße. Das ging bis 2015 gut, dann folgte aber die Insolvenz („wegen dreistelliger Miete pro Quadratmeter“). Eine Opernliebhaberin und treue Kundin von damals, Petra Kalbfuss, war entsetzt, dass ihr Lieblingsladen schließen musste. „Ich wollte meine CDs nicht online kaufen und kam dann auf die Idee, Herrn Kruse anzubieten, einen Teil meines Blumenladens in Bessungen künftig als Plattenladen mit zu nutzen“, erzählt Kalbfuss rückblickend. Eine einmalige Chance und ein Glücksfall, denn seit der Umgestaltung des Blumenladens und der Teileröffnung der CD-Abteilung können seit September 2016 Synergien blühen. Kruse, der nun Angestellter des Gesamtladens ist, fährt zum Beispiel Blumen aus oder hilft an anderen Stellen. Außerdem können Kunden nun eben von einem erweiterten Angebot aus Blumen, Musik und – seit Herbst 2019 – einem Takeaway-Cafè profitieren. Beatles-Liebhaber Kruse (über die Fab Four weiß er nahezu alles) konzentriert sich in seinem Sortiment von zirka 4.000 CDs und ein paar Hundert Vinyl auf Neuware, die für ihn im Verkauf Sinn ergibt. „Das sind Sachen wie Jonas Kaufmann oder Neu-Auflagen von James Taylor oder den Doobie Brothers, also Klassik, Jazz und Rock/Pop mit Niveau“, beschreibt Kruse das Sortiment. Wegen Corona fielen mobile Verkaufsstände bei Konzerten oder Hochzeiten weg. Das wirkte sich sehr negativ aus, aber da Blumenläden geöffnet bleiben durften, sei das Minus verkraftbar gewesen. Kalbfuss und Kruse hoffen jetzt auf bessere Zeiten, für ihren Laden und für ihre Kunden.

blumen-studio-kalbfuss.de