Illustration: André Liegl

Liebe Leser, liebe Darmstädter,

„Moppel! Ich habe ganz viele Nahrungsergänzungsmittel gekauft, damit wir nie wieder Obst essen müssen!“

Ich lebe seit meiner Scheidung in einer WG mit zwei Männern. Wir gehen unterschiedlichen Tagesaufgaben nach und treffen uns daher morgens eher selten in der gemeinsamen Küche. Aber wenn, dann richtig.

„Okay“, antworte ich mehr oder minder fragend. Ich bin verklatscht – es ist acht Uhr am Morgen – ich trage meine Bembel-Jogginghose und ein „Keine Macht für Niemand“-Shirt, bin gerade auf dem Weg zum Espresso-Kocher und ohne Kaffee definitiv für derart komplexe Kommunikation noch nicht bereit. Erst mal auf Betriebstemperatur kommen.

„Wann“, frage ich, während ich nach dem Tagesstartheilmittel suche, „haben wir jemals Obst in diesen Räumlichkeiten gehabt?“ Er ist aufgekratzt, wippt herum und starrt mich schulterzuckend an. „Ja, keine Ahnung. Aber wir müssen uns darum jetzt keine Gedanken mehr machen.“ „Okay, das ist schon mal gut zu wissen“, gebe ich zurück, während ich versuche, die verdammten Elemente des Kaffeekochgeräts auseinander zu schrauben.

„Und das Tollste daran ist, dass das Tabletten sind, die man einfach in Wasser auflösen kann“, redet er ungefragt weiter, „Du sagst doch immer, dass das Leitungswasser in Deutschland von allerbester Qualität ist. Und jetzt können wir das auch noch mit Geschmack pimpen! Orange. Maracuja. Dings. Und gesund ist das auch noch. Vitamine, Calcium, noch mehr Vitamine!“ Ich ergänze: „Magnesium.“ „Wie, Magnesium?“ „Magnesium. Das ist wichtig, damit die Synapsenverbindungen im Kopf zünden und neue Informationen gespeichert werden können. Hast Du auch Magnesium gekauft?“ „Öhm …“ Er mustert die Plastikröhrchen, die er im Regal deponiert hat. „Nee, Magnesium ist nicht dabei. Aber Mulitvitamin.“ „Jo, dann denk mal drüber nach.“ Die Stimmung kippt innerhalb von Sekundenbruchteilen merklich. „Warum Magnesium?“ „Weiß ich nicht, hab ich gelesen.“ Der Kaffee beginnt langsam zu kochen.

Wir haben seit einigen Wochen sowohl die Süddeutsche Zeitung als auch die „Zeit“ im Abonnement. Zu dritt kann man sich die Probe-Abos gut aufteilen, Informationen sammeln und wiedergeben. Aus einem mir nicht bekannten Grund finde ich mich urplötzlich in einer Diskussion um die Identitäre Bewegung, Pegida und AfD wieder. Der Espresso-Kocher gibt blubbernde Geräusche von sich und fordert augenblicklich meine vollste Aufmerksamkeit ein. Versunken in Gedanken und freudiger Erwartung, gleich ein wunderbares Heißgetränk die Kehle entlang schicken zu können, hantiere ich am Herd herum.

„Warum schäumst Du die Milch auf?“ „Das ist keine Milch!“, höre ich mich fauchen. „Und außerdem leben wir in einem gutbürgerlichen Stadtteil, da gehört es zum guten Ton, dass man etwas Aufgeschäumtes in seinen Kaffee tut.“ „Aber das sieht außer uns doch niemand …“

Ich drehe mich langsam um und schaue auf die Uhr, die über dem Türrahmen hängt und Homer Simpson zeigt, wie er sich am Grill verbrannt hat. Dann drehe ich ebenso langsam meinen Kopf und schaue meinen Mitbewohner sowohl strafend als auch mahnend an. Er versteht die Situation und schweigt. Der Grat zwischen Unterhopfung und Unterkoffeinierung ist schmal. Sehr schmal. Bevor die Situation allerdings in einem Warum-so-viel-Kommunikation-vor-dem-ersten-Kaffee-Drama gipfeln kann, tanzt Mitbewohner Zwei durch die Tür herein und trällert ein „Guten Morgen, allerseits!“ in die Runde.

„Wir haben jetzt viele Nahrungsergänzungsmittel, damit wir nie wieder Obst essen müssen. Aber kein Magnesium für den Kopf …“, begrüße ich ihn wenig charmant, während ich endlich an meinem Kaffee nippe. „Das ist gut zu wissen“, gibt er zurück. „Für den Kopf mache ich ja das Bier.“ Schweigend nicken wir anerkennend. In seiner Freizeit braut er Bier, das er uns regelmäßig verkosten lässt.

„Ja, na ja, gut. Nun muss ich aber auch mal los! Schön, dass wir uns auch mal morgens gesehen haben“, schließe ich, greife meinen Lieblingsstoffbeutel, entschwinde in den Tag und verfluche beim Verlassen der Wohnung schon einmal vorsorglich die Deutsche Bahn. Vielleicht, und das hellt meine Stimmung sogleich merklich auf, sehe ich die Jungs ja am Abend zu einer gemeinsamen Bierprobe.

In diesem Sinne, liebe Leser und Darmstädter: Ein herzliches „Prost! am Tisch“, wünscht Euch,

Eure Moppel

 

Wer ist diese Moppel?

Moppel Wehnemann hat in Frankfurt für das „Caricatura – Museum für Komische Kunst“ gearbeitet und ist aktuell als Fotografin und Bloggerin aktiv. Der Pop-Redakteur Linus Volkmann nennt sie „eine beliebte und prominente Akteurin aus der Titanic-Clique.“ Ihre Hobbys: Bier, American Football, Postkarten und Satire. Außerdem ist Moppel Initiatorin der erfolgreichen Open-Air-Reihe „Bier trinken und Joggern gute Tipps zurufen“. Seit Sommer 2017 bereichert Moppel unseren Kolumnisten-Pool mit ihren Beobachtungen des Alltagswahnsinns.

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