Artikel-Illu: Pauline Wernig

Als ordentliche Kolumnistin schreibe ich meine Texte natürlich Flat White schlürfend (Hafermilch, please!) auf Seidenpapier in den hiesigen Cafés unserer wunderbaren Stadt. Mein Füllfederhalter kratzt beim Schreiben leise über das Papier und ich arrangiere die Blumen auf dem Tisch neu, sodass ich sie perfekt in meinen zwei bis drei Insta-Stories inszenieren kann. Ich muss ja fühlen, was die Heiner:innen so bewegt, das journalistische Ohr immer am Fünffingerturm.

Was mir dabei in den letzten Wochen immer öfter auffällt: Corona ist vorbei. Darmstadt ist befreit. Von Masken und Tristesse, Abstandsregelungen und Testcontainern. Letzteres ist zumindest ein ästhetischer Fortschritt. In jeder Hofeinfahrt im Martinsviertel stand so ein Klotz, jetzt ist mehr Platz für E-Roller und Parkplätze. Nature is healing.

Es gibt neues Leben uff de Gass, überfüllte Mülleimer im Bürgerpark, und an der TU sieht man endlich wieder Studierende. Und ganz ehrlich: Dass wieder mehr los ist, ist wunderbar.

Man gönnt sich wieder was. Vor allem führt man die winterliche Rotznase und andere normale Infektionskrankheiten, für die die Welt nicht wieder zwei Jahre stillsteht, so selbstbewusst aus, als hätte es die Pandemie nicht gegeben. Als hätte sich unsere Gesellschaft nicht um Mehl geprügelt und Parkbänke im Herrngarten mit Flatterband abgesperrt.

Ich sitze also im 3Klang, Wellnitz, Schuknecht und Co. und beobachte.

Neben mir sitzt ein weiterer Gast, die Nase gerötet, er bestellt sich mit heiserer Stimme einen Tee mit dem Zusatz, dass das seinem Hals jetzt gut täte. Er starrt seit 25 Minuten in sein Handy, hat dabei 32 Taschentücher benutzt – und obwohl ich kein Profi bin, würde ich behaupten, die Couch oder das Bett sei hier ein geeigneterer Aufenthaltsort als ein Café, in dem er alle ansteckt.

„Irgendwann ist auch mal gut, wir müssen alle damit leben lernen!“ So klingt es vom Nachbartisch, an dem gerade eine kleine Blinddarm-Operation durchgeführt wird. Mit einem kleinen Schild „Cut & Coffee“ wirbt der praktizierende Arzt für seine Dienstleistungen. Menschen fühlen sich sicher viel wohler, wenn die Umgebung nicht so steril ist. Sehr innovativ, auch wenn mir die Bistrotische als OP-Tisch nur mäßig geeignet erscheinen.

Schnell werde ich abgelenkt. Denn am anderen Ende des Cafés setzen sich gerade sieben Elternteile plus Nachwuchs. Die Kinder sind heute nicht in der Schule, weil sie krank sind. Was sie haben, weiß ich auch, denn die Diagnosen werden großzügig geteilt: Hand-Mund-Fuß, Magen-Darm und Fieber. „Aber immer nur zu Hause, das geht ja auch nicht!“ Eifriges Nicken, alle sind sich einig, die Mittagskarte bitte, Pasta für alle, außer für das Kind mit Magen-Darm halt.

Ebendieses Kind hat sich gerade fast über meinen Carrot Cake erbrochen. „Oh sorry, das war keine Absicht, wir sind eigentlich seit vorhin kotzfrei!“, tönt es durch das Café. Ich bestelle die Rechnung, habe ein flaues Gefühl im Bauch. Schreibblockade oder Norovirus? Wird sich zeigen.

An den panischen Augen der Servicekräfte sehe ich, wie gern auch sie einfach gehen würden, dem Theater aber nicht so leicht entkommen können. Sie erzählen, dass das fast täglich so ist. Die Kinder trifft keine Schuld, aber wenn ihr Euch alle trefft, dann doch besser draußen?

Leude, ganz im Ernst, da geht noch was, oder? Wir sind Leid wirklich gewohnt (Stichworte: Wohnungsmarkt, Luisenplatz, Städtename mit „Darm“), da kann es das doch nicht gewesen sein mit der viel beschworenen Solidarität. Und selbst, wenn jetzt „alles wieder erlaubt“ ist, können wir nicht dennoch Maske tragen, wenn es voll ist? Krank zu Hause bleiben? Uns und andere schützen, mit Maß und Verstand? Nicht vom einen Extrem der Isolation ins andere Extrem der Distanzlosigkeit stürzen?

Auf geht’s Heiner, des schaffe mer!

 

Du bist fies? Ich bin Fiesa!

Ich bin Isa, 35, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.