In einer Welt vor dem Coronavirus hätten Ende März die letzten Teilnehmer der diesjährigen (nun nächstjährigen) Europameisterschaft ermittelt werden sollen. Lilienprofi Victor Pálsson hätte dann mit seinen Isländern die Rumänen herausgefordert. Tja, hätte. Und obwohl (oder gerade weil) der Ball nun fast überall ruht, werfen wir einen Blick auf die Riege von Lilienakteuren, die in den letzten Jahren international spielten.
Über viele Jahre war es so wahrscheinlich wie Schnee im Hochsommer, dass ein Spieler von Darmstadt 98 bei einem Länderspiel mitwirkt. Mit der Rückkehr in den bezahlten Fußball sollte sich das ändern. Zuvor hatte in den tristen Nullerjahren mit Mergim Mavraj letztmals ein Spieler der 98er ein Nationaltrikot getragen. Im Februar 2007 durfte das Eigengewächs der später in die 4. Liga absteigenden Darmstädter 23 Minuten lang für die deutsche U21 gegen Italien ran.
Nationalspieler-Boom seit 2015
Die unerwartete Rückkehr des SVD in die 2. und gleich danach in die 1. Bundesliga sorgte dann ab 2015 für regelmäßige Länderspielabstellungen. Doch wie viele Spieler waren es wohl in den letzten fünf Jahren genau? Acht? Zehn? Vielleicht zwölf? Es waren sage und schreibe 14! Angesichts der finanziellen Möglichkeiten und des Underdog-Charakters der 98er versteht es sich von selbst, dass darunter keine Kicker aus großen Fußballnationen waren. Es waren vielmehr Teams aus der zweiten Reihe oder gar Exoten, deren Fußballer hier landeten. Von der Demokratischen Republik Kongo über Australien bis hin zu Trinidad und Tobago.
Von null auf 100 in Darmstadt
Den Auftakt machte im März 2015 Leon Balogun für Nigeria. Der gebürtige Berliner hatte Anfang 2014 das Pech, dass er sich bei seinem Länderspieldebüt für das Heimatland seines Vaters schwer verletzte. So war für ihn der WM-Zug abgefahren, bevor er richtig an Fahrt aufnehmen konnte. Obendrein verlängerte Fortuna Düsseldorf seinen Vertrag nicht. So schnappten sich die in der 2. Liga durchstartenden 98er im Herbst 2014 den vertragslosen Profi, der nur ein halbes Jahr später gegen Uganda sein Comeback in Nigerias Nationalelf feierte. Dirk Schuster goutierte dies seinerzeit euphorisiert: „Das zeigt, dass wir gewissermaßen sogar weltweit wahrgenommen werden.“ Balogun konnte sich jedenfalls im Kader der Westafrikaner etablieren und fuhr als Stammspieler zur WM 2018 – selbst wenn er da schon lange nicht mehr das Lilientrikot trug.
Der Nationalelf-Debütant
Die Nationalmannschaftskarrieren der nachfolgenden Nationalspieler aus Darmstadt waren ganz unterschiedlich. Da waren Spieler wie Balogun, die sich im Lilientrikot nach längerer Zeit wieder in den Fokus ihrer Nationalverbände spielten. Dann gab es die arrivierten Spieler, die nach ihrem Wechsel nach Darmstadt einfach weiter zum Nationalkader ihres Landes zählten. Und dann gab es sogar einen Debütanten: Mario Vrancic. Der Mittelfeldspieler kam im Sommer 2015 ans Bölle und wurde nur wenig später erstmals ins Aufgebot von Bosnien-Herzegowina berufen. Sämtliche seiner bislang sechs Länderspiele absolvierte er während seiner Zeit bei den 98ern. Seit 2017 kickt er für Norwich City in England.
Die Comeback-Spieler
Zu den Spielern, die im blau-weißen Trikot ihre Nationalmannschaftskarriere wiederbelebten, zählte neben Balogun auch Slobodan Rajkovic. Der Serbe kehrte im März 2016 nach zweieinhalb Jahren ins Nationalteam zurück und war bis zum damaligen Saisonende noch fünfmal für sein Heimatland am Ball. Nur wenig später war der Innenverteidiger so sehr von seiner wiedererlangten Schaffenskraft überzeugt, dass er sich im Sommertrainingslager schlagzeilenträchtig nach Italien transferieren ließ. Auch Änis Ben-Hatira (Tunesien) und Wilson Kamavuaka (Demokratische Republik Kongo) schafften beim SVD 2016 beziehungsweise 2017 die Rückkehr in ihre Nationalteams.
Die Etablierten
Mit dem Bundesligaeinzug sollten Kicker nach Darmstadt kommen, die hier ihre Länderspielkarrieren einfach fortsetzen. Júnior Díaz (Costa Rica) und György Garics (Österreich) hatten bei ihrem Wechsel zu den 98ern bereits Dutzende Länderspiele absolviert. Auch wenn Garics als 98er nur noch Nominierungen sammeln konnte, so zählte er weiterhin zum Aufgebot der Österreicher. László Kleinheisler kam nach einer starken EURO mit Ungarn 2016 ans Bölle, konnte sich hier aber überraschenderweise nicht als Leistungsträger etablieren. Artem Fedetskiy war bei derselben EURO Stammspieler für die Ukraine und führte sein Heimatland im November 2016 gegen Serbien gar als Kapitän aufs Feld. Zur gleichen Zeit riss er am Bölle aber ganz gewiss keine Bäume aus. Das galt auch für Roman Bezjak. Als bis heute teuerster Einkauf der Vereinsgeschichte lief der Slowene zwar regelmäßig im Nationaltrikot auf, bei den Lilien allerdings eher hinterher. Auch Sturmpartner Jamie Maclaren kam beim SVD nie richtig an, spielte während seiner kurzen Zeit am Bölle aber immerhin WM-Quali mit Australien. Außenbahnspieler Joevin Jones jettete derweil viermal über den Atlantik, um für Trinidad und Tobago aufzulaufen.
Die U21-Spieler
In der aktuellen Saison absolvierte neben Seung-ho Paik (Südkorea) einzig besagter Victor Pálsson Länderspiele. Nominierungen weiterer SVD-Kicker sind fürs Erste nicht zu erwarten. Vielleicht führt aber der zuletzt einsetzende Jugendstil dazu, dass mal wieder ein junger Spieler für eine U21-Nationalelf nominiert wird? 2016 stieß Leon Guwara zum DFB-Nachwuchsteam, blieb aber ohne Einsatz. Defensivspezialist Patrick Banggaard durfte 2017 Dänemark bei der U21-Europameisterschaft vertreten. Dort war auch Felix Platte mit von der Partie – mit maximalem Erfolg: Der Stürmer rettete sein Team im Halbfinale mit einem Tor in die Verlängerung und kehrte schließlich als Europameister zurück.
Aktuelle Infos zum weiteren Saisonverlauf und Stadionumbau unter www.sv98.de
Matthias und der Kickschuh
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!