Vom Garten in die Clubszene – oder: Wie aus einer Feierlaune einer jungen Freundesgruppe und einem mangelnden Feierabendprogramm eine Bereicherung für die Darmstädter Ausgehszene wurde. So könnte die Geschichte von „lim.studio“ auf den Punkt gebracht werden. Seit 2021 bringt das junge Kollektiv mit abwechslungsreichen und individuellen Tanzveranstaltungen frischen Wind in die Darmstädter Musik- und Eventkultur. Das P traf DJ Ronja und DJ Usar, zwei von zehn „lim.studio“-Aktivisti, zum Interview, um mehr zu erfahren.
Anfangs kannte man Euch nur unter „Less is more“, jetzt nennt Ihr Euch „lim.studio“. Was hat es mit dem neuen Namen auf sich?
Ronja: Das eine kam nach dem anderen, sozusagen. Anfangs handelte es sich nur um private Gartenpartys [nicht weit vom Darmstädter Nordbahnhof]. Der Name „Less is more“ ist tatsächlich aus einem, ich sag mal, Party-Motto heraus entstanden, welches sich über mehrere Partys hinweg beibehielt. Irgendwann hatten die Leute dann voll ihren eigenen Stil, auch was der Name für sie bedeutete, was schließlich schon einen wichtigen Punkt von uns repräsentierte, nämlich die Vielfalt.
Und wann wurdet Ihr zu „lim.studio“?
Ronja: Als es wirklich darum ging, daraus ein Kollektiv zu machen. Das sollte dann auch einen Namen mit Wiedererkennungswert haben, der eine Verbindung zur Musik schafft – und natürlich damals schon mit der Aussicht, dass man darunter irgendwann mal Musik veröffentlichen könnte. Aus dem Motto „Less is more“ wurde so nach etwa zwei Jahren der Name „lim.studio“.
Wenn wir noch mal ganz an den Anfang gehen, wie kam die Idee, eigene Partys zu veranstalten?
Ronja: Es gibt in Darmstadt immer mal wieder Zeiten, in denen die Musik- und Ausgehszene super dolle einschläft. Die meisten von uns kennen sich noch von früher aus einer Schulfreundesgruppe, aber mit der Zeit sind natürlich noch viele andere dazugekommen. Ich denke einfach aus dem Punkt heraus, dass es nicht so viel Neues in Darmstadt gab, und da dachten wir uns: „Machen wir halt einfach mal was Eigenes.“ Und es hat funktioniert.
Wie gestaltet sich der kreative Prozess, wenn Ihr als Gruppe an neuer Musik arbeitet oder für eine Veranstaltung plant?
Ronja: Gerade wenn wir Veranstaltungen planen, treffen wir uns schon zwei Monate vorher und haben dann fast wöchentlich (immer mittwochs) unsere Meetings, bei denen wir uns abends zusammensetzen. Meistens haben wir eine Agenda, damit jeder Punkt angesprochen werden kann. Bei zehn Menschen kann man sich ja vorstellen, dass das nicht immer einfach ist. Die ganzen unterschiedlichen Punkte, die zu so einer Planung gehören, haben wir generell im Vorhinein schon aufgeteilt.
Was macht denn die meiste Arbeit bei der Planung der Veranstaltungen? Was ist Euch wichtig?
Usar: Eigentlich ist es immer der Versuch und die Lust darauf, etwas Neues zu machen. Dann ist die schwierigste Aufgabe die Kommunikation mit den Agenturen [zum Buchen der DJs], die man erst einmal lernen muss. Also eigentlich ist es die Kommunikation und Koordination zwischen allen Bereichen.
Ronja: Genau, und deswegen haben wir die Meetings. Uns ist es wichtig, dass wir im Vorhinein alles gut planen, damit es am Abend so wenig Stress wie möglich gibt, da wir ja selbst auch gerne einfach Teil des Abends sein wollen.
Und gab es schon mal Dinge, die bei den Veranstaltungen nicht so gut gelaufen sind, bei denen Ihr im Nachhinein vielleicht sogar Kritik abbekommen habt? Das Thema Awareness zum Beispiel ist ja ein hochaktuelles, wichtiges, aber auch sensibles …
Ronja: Wir fragen nach unseren Partys über Social Media immer explizit nach Feedback zu unserem Awareness-Team. Dadurch, dass wir mit dem Thema in unserem persönlichen Umfeld schon mehrmals in Berührung gekommen sind, ist es uns umso wichtiger, uns intensiv damit auseinanderzusetzen. Wir haben alle zusammen eine Schulung bei Pro Familia in Darmstadt zur Prävention sexualisierter Gewalt und Erarbeitung von Awareness-Konzepten gemacht und versuchen das Wissen, das wir haben, an die Menschen, die wir abends dafür einstellen, weiterzugeben. Da wir trotzdem noch keine Profis sind, fragen wir nach dem Feedback von den Menschen, die auf unsere Partys kommen. Natürlich gab es dann auch schon Kritik, aber die nehmen wir gerne an, um weiter daraus zu lernen und sie in Zukunft mit einzubeziehen.
Usar: Es ist teilweise sehr schwierig einzuschätzen, wie viele Personen man für das Awareness-Team braucht, da man nicht weiß, ob 600 Leute kommen oder 300. Aber lieber zu viele als zu wenige.
Folgt aus dieser Haltung auch, wofür Ihr als „lim.studio“-Kollektiv steht?
Ronja: Ja. Vor allem stehen wir für Vielfalt – sei es die Vielfalt der Menschen, die zu den Partys kommen und diese ausmachen, oder auch unsere Familien, die immer dabei sind. Es kommen zum Beispiel immer unsere Eltern und die tanzen immer bis zum Ende. Natürlich ist uns auch die musikalische Vielfalt sehr wichtig.
Wenn Du von musikalischer Vielfalt sprichst, wie würdet Ihr Euren musikalischen Stil beschreiben?
Ronja: Musikalisch ist ganz viel abgedeckt. Es gibt super viele elektronische Richtungen, gerade bei den Jungs – von Disco House, Funk, Trance bis hin zu Techno, zum Beispiel von Tim oder Leon. Gecko und ich gehen eher in die Afro-Richtung mit Dancehall, Amapiano, Afrobeats und so weiter. Auch die HipHop-Richtung kommt bald dazu. Was wir auch gerne machen, ist, befreundete oder bekannte Künstler:innen aus Darmstadt, die ebenfalls Musik, Fotografie und Design machen, dazuzuholen, weil es ja auch irgendwie um Darmstadt und seine Musikkultur hier geht.
… da dachten wir uns: „Machen wir halt einfach mal was Eigenes.“
Im kommenden Monat organisiert Ihr wieder eine Veranstaltung in der Galerie Kurzweil. Zu Gast wird dort Carlo Karacho sein. Auch mit überregional bekannten Künstlern wie Vanille und Alcatraz habt Ihr schon zusammengearbeitet. Wieso habt Ihr Euch entschieden, DJs, die nicht aus Darmstadt sind, dazuzuholen?
Ronja: Als wir angefangen haben, andere Leute dazuzubuchen, kamen wir an den Punkt, an dem wir dachten: „Okay, es soll nicht einschlafen.“ Denn das kann in Darmstadt auch schnell passieren. Also dachten wir: „Lass‘ uns Künstler:innen dazuholen, die wir selbst natürlich cool finden und bei denen wir auch denken, dass sie gut dazupassen würden.“
Ihr habt Euch sozusagen „vom Garten in die Clubszene“ entwickelt. Was hat sich durch die räumliche Veränderung für Euch verändert?
Ronja: Ich glaube, das Größte daran war, plötzlich so eine öffentliche Präsenz zu bekommen und damit auch so ein bisschen Verantwortlichkeit, natürlich auch hinsichtlich Social Media. Dann war da auch das Ding von „Wie stellt man sich nach außen dar?“. Ich denke, da war uns von Anfang an wichtig, dass es halt immer etwas Nahbares bleibt. Wir sind hier aufgewachsen und es geht uns um die Musik und nicht darum, das wir alle Eventveranstalter werden und dann fett Kohle damit verdienen. Sondern, dass man nice Musikerfahrungen machen und erarbeiten kann, und dass alle daran Spaß haben. Auch, dass man dadurch wieder neue Kontakte knüpft, die wieder etwas mit Musik zu tun haben. Also bringt es uns als Musiker:innen im Einzelnen auch irgendwie weiter.
Wie Du gesagt hast, kommt mit der öffentlichen Präsenz auch eine gewisse Verantwortung einher. Ihr seid alle noch relativ jung [zwischen 20 und 26 Jahren], alle von Euch studieren noch. Wie lässt sich die Arbeit für „lim.studio“ mit Eurem Alltag vereinbaren?
Usar: Also wir machen auf jeden Fall zwei Drittel „lim.studio“ und ein Drittel Studium [zwinker!] … aber es ist ein guter Ausgleich, sage ich mal.
Kommt manchmal eins von beidem zu kurz?
Usar: In der Klausurenphase: „lim.studio“. Da sind eigentlich wirklich alle raus. Das merkt man daran, dass wir in der Zeit keine Veranstaltung machen können.
Ronja: Ich denke, es kann immer dann mit den persönlichen Aufgaben, die man hat, stressig werden, aber im Endeffekt, wenn man etwas nicht hinbekommt, hat es trotzdem immer funktioniert, weil wir es dann in die Gruppe geben konnten. Da war es immer von Vorteil, dass wir so viele sind.
Es ist bestimmt auch nicht so einfach, sich als ein junges Kollektiv, das aus jungen Künstler:innen besteht, einen Platz in der Veranstaltungs- und Musikszene zu schaffen? Welche Herausforderungen bringt das mit sich?
Usar: Ich glaube, das Schwierigste ist in erster Linie, wirklich ernst genommen zu werden. Auch unser erstes offizielles Event zu machen, war eine große Hürde, aber dadurch, dass wir im Garten unsere eigenen Partys geschmissen haben, hatten wir schon eine Basis. Und es war eigentlich direkt klar, dass es gut laufen wird. Ich glaube, die Leute dachten damals, dass man mit uns anders umgehen müsste und dass man uns ein bisschen nach ihrer Pfeife tanzen lassen kann. Da haben wir uns zwar aufgeregt darüber, haben es aber eingesteckt und fürs nächste Mal wussten wir, worauf wir achten müssen. Aber das hat sich mittlerweile komplett geändert.
Ronja: Dem würde ich auch zustimmen. Anfänglich hatten wir schon das Gefühl, dass wir teilweise nicht ganz ernst genommen werden. Es war im Nachhinein aber ganz nice, dass wir denen sozusagen sagen konnten: „We proved you wrong.“
Mittlerweile wart Ihr bereits im Weststadtcafé, in der Galerie Kurzweil und sogar in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt. Hattet Ihr auch mal Probleme, an Locations dranzukommen?
Ronja: Es gab auf jeden Fall keine Probleme, an Locations dranzukommen. Allerdings kommt es schon manchmal darauf an, wo man hingeht, ob da die Kommunikation gut funktioniert oder nicht. Das ist von Location zu Location anders und da muss man drauf eingestellt sein.
Habt Ihr eigentlich so etwas wie ein gemeinsames Ritual vor den Veranstaltungen?
Ronja: Wir überlegen uns immer, passend zu den Leuten, die wir gebucht haben, ein Artist Dinner und wie wir vorher mit denen noch ein bisschen Zeit verbringen können. Und ich glaube, es ist so unser Ding, dass wir dann alle zusammen an dieser Tischrunde sitzen und uns auch gegenseitig ein bisschen kennenlernen und auf die neuen Kontakte sozusagen anstoßen.
Habt Ihr gemeinsame Ziele als Kollektiv?
Usar: Ein Open-Air schmeißen!
Wollt Ihr in Zukunft auch mal etwas über Darmstadt hinaus machen?
Ronja: Ich glaube, dass wir da sehr Lust drauf hätten, steht außer Frage. Das ist dann tatsächlich nur abhängig davon, wie wir alle mit unseren individuellen Leben weitermachen und wie man das dann zusammenbringen könnte. Also da können wir, glaube ich, noch gar nicht so eine genaue Antwort darauf geben, außer dass wir auf das, was möglich ist, auf jeden Fall Lust haben.
Usar: Ich denke, wir haben einfach Lust, eine Plattform für Musik und Kultur zu sein und zu bleiben, auch wenn „lim.studio“ dann vielleicht irgendwann in andere Hände übergeben wird. Wir sind kein geschlossenes Kollektiv, sodass es gut weitergeführt werden kann, auch wenn ein paar Leute wegziehen.
Abschließend: Welche Momente auf Euren Veranstaltungen waren für Euch bisher am eindrucksvollsten?
Ronja: Dass unsere allererste öffentliche Veranstaltung direkt ausverkauft war, sowohl im Vorverkauf als auch am Abend. Und auch, dass die Kammerspiele im selben Jahr komplett überlaufen waren, als wir dort gespielt haben. Das hatten wir überhaupt nicht erwartet.
Usar: Das Schönste ist einfach, wenn man ultra viel Arbeit in ein Event reinsteckt und nicht weiß, wie es laufen wird, keine Erwartungen hat und dann alle einen richtig geilen Abend haben. Letztens hatte ich so einen Moment, als wir das Sommerfest in der Weststadt gemacht haben und dabei auch ein neues Konzept ausprobiert haben. Aber zum Sonnenuntergang war dann alles toll und alle haben getanzt.
Vielen Dank für das gute Gespräch.
Nächste „lim.studio“-Party & „lim.radio“
„lim.studio“ presents Carlo Karacho (Synthpop, Post-Punk und NDW, „gespickt mit modernen Elementen – facettenreich an Themen und Ansichten und mit Hang zu einnehmenden, tanzbaren Beats“):
Galerie Kurzweil | Sa, 19.10. | 23 Uhr | 15 €
Jederzeit könnt Ihr auf Soundcloud im „lim.radio“ Sets von „lim.studio“ und Freunden streamen. Dort (und auch auf der Spotify-Playlist „Passionate Kisses & Friends“) gibt’s außerdem auch Releases des Darmstädter Kollektivs zu hören.