Foto: Nicole Ehlers

Jeder Darmstädter kennt den kleinen Heiner mit Batschkapp, der in seinen Händen ein großes Herz mit der Aufforderung „Kommt alle!“ hält und seit 1990 jedes Jahr aufs Neue zum sommerlichen Heinerfest einlädt. Praktisch weltbekannt ist das Signet der Internationalen Funkausstellung. Entworfen wurden beide Grafiken von Helmut Lortz. Hinter dem Künstler steckte ein echtes Allround-Genie, das weit über Darmstadt hinaus große Anerkennung erlangte. Anlässlich des runden Geburtstages von Helmut Lortz, der am 25. April 100 Jahre alt geworden wäre, präsentieren dieses Jahr über elf Institutionen in Darmstadt die vielschichtige Kunst- und Lebensfreude des Künstlers. Dezentralisiert, an prominenten Orten der Stadt, wird sein mannigfaltiges Werk ausgestellt und die große künstlerische Bandbreite des Ausnahmetalents vermittelt.

„Lortzert“, wie er von seinen Freunden genannt wurde, fand seine Passion nicht nur in einer einzelnen Technik, er beschäftigte sich mit vielen Bereichen des kreativen Daseins: Er war Bildhauer, Maler, Fotograf, Texteschreiber, Hochschullehrer, Zeichner, Grafiker, Illustrator, Buchmacher, Plakat-, Typografie-, Emblem- und Signet-Entwerfer. Jeder Gattung widmete er sich aus tiefster Überzeugung und arbeitete mit vollem Herzblut an seinen Projekten, die sich europaweit verstreuten. Dieses Herzblut spürt man, wenn man mit Freunden und Bekannten seiner Zeit ins Gespräch kommt: Helmut Lortz war ein liebenswürdiger und herzlicher Mensch, der seine innerste Wärme über seine Arbeiten zum Vorschein brachte. Doch wer war dieser Mensch?

 

Das kreative Herz Darmstadts

Helmut Lortz war besessen von der Kunst! Parallel zu Unmengen an druckgrafischen Aufträgen entstand ein ausgereiftes künstlerisches Werk, das neben seiner neugierigen Haltung gegenüber gesellschaftlichen Strukturen gleichzeitig immer auch mit einem scharfen Sinn für Humor einherging. Einerseits geben sich seine Beobachtungen alltäglichen Szenen und der kritischen Auseinandersetzung mit den Gewohnheiten seiner Mitmenschen hin, andererseits erkennt man seine Neigung zu einer spielerischen, verträumten und surrealen Welt: Eine Welt mit viel Witz und Kreativität. Immer von ihm mitgedacht sind typografische und gestalterische Ansätze, die sein Werk und seine Bildkomposition bestimmen. Seine Lösungsansätze lassen sich in zahllosen experimentellen Skizzen nachvollziehen und zeigen seinen individuellen, analytischen Umgang mit dem gewählten Sujet. „Man muss ausgehen vom Nullpunkt“, formulierte Helmut Lortz, „als gelte es, das erste Plakat, die erste Anzeige, das erste Logo zu entwickeln“ und brachte somit auch seine künstlerische Vielschichtigkeit auf den Punkt.

Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz

 

Künstlerisches Zentrum: der „Saustall“

1920 in Schneppenhausen geboren, besuchte Helmut Lortz zunächst die Fachschule für Elfenbein- und Holzschnitzerei in Erbach, ehe er von 1938 bis 1940 Bildhauerei an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin bei Professor Paul Wynand studierte, dessen Meisterschüler er war. Nach einem fünfjährigen Kriegsdienst absolvierte er 1946 ein halbjähriges Volontariat in einer Druckerei in Reutlingen. Danach ließ er sich in Darmstadt nieder und baute sich einen Schweinestall in ein Wohnatelier um, das sich auf dem elterlichen Grundstück in Arheilgen befand. Der daraus entstandene sogenannte „Saustall“ wurde zum künstlerischen Zentrum in Darmstadt, in dem sich Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle trafen, um über die Kunst und das Leben zu philosophieren. Lortz gestaltete ab 1947 Bucheinbände unter anderem für die Verlage Rowohlt, Desch, Insel und die Deutsche Verlags Anstalt. Er trat 1948 der Darmstädter Sezession bei, für die er nicht nur regelmäßig Plakate, Einladungen und Kataloge entwarf, sondern auch für die Darmstädter Gespräche, die Ausstellungen der Stadt Darmstadt und für Theaterveranstaltungen. Darüber hinaus gründete Lortz in den 1950er-Jahren zusammen mit anderen Darmstädter Künstlern wie Wilhelm Loth, Eberhard Schlotter, Georg Hensel und Pit Ludwig den Keller-Klub (Künstlerkeller im Schloss).

Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz

 

Zwischen internationaler Präsenz und Heimatliebe

Nach 1945 gab Helmut Lortz mit seinen Arbeiten eine avantgardistische Richtung für einen künstlerischen Wiederbeginn im kriegszerstörten Darmstadt vor und prägte die Kunst- und Kulturszene der Stadt in den 1950er- und 1960er-Jahren federführend mit.

Zwei wichtige Stationen im universitären Bereich steigerten seinen Bekanntheitsgrad innerhalb Deutschlands und darüber hinaus immens: Von 1952 bis 1959 war er Dozent für Gebrauchsgrafik an der Werkkunstschule, dem heutigen Fachbereich für Gestaltung am Osthang der Mathildenhöhe. Ab 1959 lehrte er bis 1986 als Professor für experimentelle und angewandte Typografie sowie visuelles Sehen an der Hochschule der Künste Berlin. Doch Darmstadt kehrte er nie den Rücken, denn hier war und blieb sein Lebensmittelpunkt.

Helmut Lortz wurde 1951 erstes deutsches Mitglied der weltweit renommierten Alliance Graphique Internationale. Zusammen mit seinem Bildhauer-Freund Wilhelm Loth erhielt er 1955 den ersten Kunstpreis der Stadt Darmstadt. Ein Jahr später zählte Lortz als Gründungsmitglied zu der Gruppe „NOVUM“, deren Emblem er entwarf und die mit ihrem monatlich erscheinenden Fachmagazin noch heute wichtigen Einfluss auf Grafik- und Kommunikationsdesigner auf der ganzen Welt nimmt. Außerdem entwarf er das Signet der Internationalen Funkausstellung Berlin, das bis dato noch Verwendung findet. 1970 wurde er mit der Johann-Heinrich-Merck-Ehrung der Stadt Darmstadt ausgezeichnet. Es folgten über die Jahre verteilt zahlreiche Studienreisen. Helmut Lortz starb am 04. Januar 2007 in Darmstadt. Der Großteil seines künstlerischen Nachlasses wird im Kunst Archiv Darmstadt e. V. aufbewahrt sowie nach und nach der Öffentlichkeit präsentiert.

Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz

 

Ein Ausstellungsreigen zum Geburtstag

Eine Vielzahl seines umfangreichen Œuvres ist zum Teil noch nie öffentlich gezeigt worden. So nehmen elf Darmstädter Kunstinstitutionen das Jahr von Helmut Lortz‘ Hunderstem zum Anlass, diese raren Arbeiten des Künstlers partiell auszustellen und den BesucherInnen zu vermitteln. Jede Ausstellung zeigt eine Facette seines künstlerischen Schaffens, die immer mit privaten Geschichten, Erzählungen und heiteren Anekdoten umrandet wird. „Ein Kunstwerk ist dann vollkommen, wenn man nichts mehr weglassen kann. Schön einfach – einfach schön“, erklärte Lortz. Das könnte auch als Leitsatz über allen elf Ausstellungen stehen. Es lohnt sich, sein vielschichtiges und kreatives Werk näher kennenzulernen. Viele Signets und Embleme werden bis heute von den auftraggebenden Institutionen verwendet und fungieren als repräsentatives Bild einer Idee.

Was von Helmut Lortz bleibt, ist seine pure Lebensfreude, die uns mittels seiner künstlerischen Arbeiten noch heute gegenwärtig ist. Aktueller denn je sollten wir uns vom Lortz’schen Optimismus und seiner Zuversicht eine große Scheibe abschneiden, indem wir die kleinen Dinge im Alltag viel mehr wertschätzen: immer mit einem solidarischen Blick auf unsere Mitmenschen! Posthum wird er in diesem Jahr als „Bekennender Heiner“ geehrt, womit sich der Kreis schließt: Das Jahr 2020 steht voll und ganz im Zeichen von Helmut Lortz!

 

Lortz zum Hundertsten: Alle Ausstellungen im Überblick

Coronabedingt kam es zu Verschiebungen und Änderungen der Ausstellungstermine. Hier die Übersicht (Stand: Ende Mai 2020, Aktualisierungen: unter kunstarchivdarmstadt.de):

 

„Frühe Zeichnungen – Geschichte des Saustalls“

Kunst Archiv Darmstadt e. V. im John-F.-Kennedy-Haus | noch bis 11. September 2020

 

„Lortz & Reinheimer“

Druckerei Ph. Reinheimer GmbH | noch bis 25. Juli 2020

 

„Helmut Lortz. Der Allroundkünstler. Herz und Hand, Glück und Verstand“

Galerie Netuschil | 07. Juni bis 25. Juli 2020

 

„Helmut Lortz. Der Gebrauchsgrafiker“

Institut für Neue Technische Form (INTeF) | 26. Mai bis 23. August 2020

 

„Helmut Lortz: Heinerfest-Illustrator bis heute“

Weißer Turm, Darmstadt | Geplant: 01. Juli bis August 2020 -> mit dem Heinerfest verlegt auf 2021!

 

„Helmut Lortz. Ein fotografischer Spaziergang durch sein Leben“

Atelier Gunschmann | Geplant: 06. bis 20. September 2020

 

„Helmut Lortz. In Arheilgen“

Kreuzkirche in Arheilgen | Geplant: 06. bis 20 September 2020

 

Helmut Lortz. Akte, Nackte, Schöne, erotische Fröhlichkeiten

Galerie im Keller-Klub | Geplant: 18. September bis 07. November 2020

 

Helmut Lortz. Lauter schöne Bilder aus privatem Besitz

Künstlerhaus Ziegelhütte e. V. | Geplant: 11. bis 31. Oktober 2020

 

Helmut Lortz an der Werkkunstschule Darmstadt

Foyer des Fachbereichs Gestaltung an der h_da | Geplant: Oktober/November 2020

 

Resopal-Hommage an Helmut Lortz

Farbraum Art Gallery | Geplant: 29. Oktober bis 23. Dezember 2020

 

Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz
Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz
Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz
Foto: Kunst Archiv Darmstadt, Nachlass Helmut Lortz