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Nullerjahre-Flashback Wenn man als Fan des SV Darmstadt 98 an Ostwestfalen denkt, dann denkt man natürlich völlig zu Recht an den Relegationswahnsinn von Bielefeld. Das 4:2 nach Verlängerung wird auf ewig Bestandteil der Lilien-DNA sein. Das Comeback der 98er vom 6. Spieltag, als die Arminen trotz Halbzeitführung noch mit 4:3 nach Hause geschickt wurden, unterstrich den Wohlfühlfaktor gegenüber dem Landstrich im Osten Nordrhein-Westfalens nochmals.

Und dennoch diente ein Klub aus Ostwestfalen vor der aktuellen Spielzeit als Drohkulisse: Der SC Paderborn 07. Der SC zog wie die 98er als Underdog in die Bundesliga ein und wurde danach schonungslos bis in die 4. Liga durchgereicht, ehe ihn der Lizenzentzug der Sechzger zumindest in der 3. Liga hielt. Ob der dreifache sportliche Abstieg Paderborns denn nicht eine bedrohliche Blaupause für die Lilien sein könne, wurde Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch vor der Saison gefragt. Nö, er orientiere sich lieber an Vereinen, die zuvor auch jahrelang aus dem Fokus geraten waren und nach einem Abstieg jetzt in der 2. Bundesliga eine gute Rolle spielen.

Dabei dürfte er in erster Linie an den ersten Gegner im November gedacht haben: Eintracht Braunschweig. Die Niedersachsen stiegen 1993 mit den Lilien aus der 2. Bundesliga ab, kehrten nur zweimal kurz zurück, ehe sie ab 2011 den Vorwärtsgang einlegten. Nach ihrem ernüchternden Bundesliga-Intermezzo 2013/14 schafften sie es sofort wieder, im Unterhaus Fuß zu fassen. Der Klub hat ähnlich wie die Lilien eine treue Anhängerschaft. Zudem zeichnet ihn eine kontinuierliche Vereinspolitik aus, die ihn im Sommer beinahe erneut ins Oberhaus gebracht hätte. Vom Trainer über den Manager bis hin zum Präsidenten sind alle Schaltstellen seit über neun Jahren mit den gleichen Personen besetzt.

Mit Union Berlin treffen die Lilien drei Wochen später auf den nächsten Klub, der für die SVD-Verantwortlichen eine Vorbildfunktion haben dürfte. Nach der Wende dümpelte der Hauptstadtklub zum Teil in der Viertklassigkeit herum – wie die Lilien. Regelmäßig gerieten die Köpenicker in finanzielle Schieflage – wie die Lilien. Der Umbau der Alten Försterei konnte nur dank tatkräftiger Fans gestemmt werden und ist mittlerweile Legende, das hätte man den Lilienfans zumindest zugetraut. Auferstanden aus Ruinen plant der Klub – heute finanziell pumperlgesund – sein Stadion auf 37.000 Plätze auszubauen. Im Unterhaus zählen die Ost-Berliner längst zu den ambitionierten Klubs. Seit sechs Spielzeiten klopfen sie mal mehr, mal weniger laut ans Tor zur Erstklassigkeit. Auch hier steht mit dem Präsidenten eine Person für Kontinuität: Dirk Zingler führt den Klub seit 13 Jahren recht unaufgeregt. Auf dem Trainerstuhl herrscht ebenfalls kein Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel.

Rüdiger Fritsch tut also gut daran, die verspätet in den Profifußball zurückgekehrten Lilien mit ähnlicher Disziplin und Ruhe wie bisher weiterzuführen. Mit Torsten Frings hat er einen Trainer gefunden, der zum Verein zu passen scheint, der dessen Politik und Infrastruktur mit(er)trägt. Seine Aufgabe ist es, die Lilien weiterzuentwickeln. Dass er gewillt ist, diese Aufgabe mit seinem Trainerteam engagiert anzugehen, zeigt neben seiner Vertragsverlängerung die langfristig ausgerichtete Transferpolitik. So ist der Weg fürs Erste geebnet, den SVD nach den erfolgreich-turbulenten Schuster-Jahren weiter zu festigen.

Und auch der dritte Lilien-Kontrahent im November sollte die Mannschaft darin bestärken, weiterhin kühlen Kopf zu bewahren: der SV Sandhausen. Gemeinhin wird der Dorfklub aus dem Süden Heidelbergs als „der neue SV Meppen“ belächelt. Dabei leistet der Verein seit Jahrzehnten großartige Arbeit ohne Rückschläge. Ab 1978 zählte er stets zu den Topklubs der Oberliga Baden-Württemberg. Zwei Deutsche Amateurmeisterschaften zieren den Briefkopf des SVS. 2007 ging es in die Drittklassigkeit, 2012 in die 2. Bundesliga, wo der Verein sich erstaunlich gut hält und aktuell zu den besseren Teams zählt. Damit steht der Klub für eine Umwälzung des Fußballs im Ländle. Von den Klubs, die vor 30 Jahren Bundesliga spielten, sind die Stuttgarter Kickers, Waldhof Mannheim und aktuell auch der Karlsruher SC ins Hintertreffen geraten. Sie wurden allesamt überflügelt von solide geführten Klubs aus „Metropolen“ wie Sandhausen, Hoffenheim, Heidenheim, Aalen und Großaspach. Der Waldhof und die Stuttgarter Kickers sitzen heute in der schier unentrinnbaren Falle Regionalliga Südwest. Zusammen mit dem 1. FC Saarbrücken, den Offenbacher Kickers und Hessen Kassel.

Kassel spielt übrigens, während diese Zeilen geschrieben werden, bei den Stuttgarter Kickers. Das Spiel an einem nasskalten Montagabend ist ein einziger Flashback an die Nullerjahre der Lilien. Am TV-Bildschirm sind vereinzelte Zwischenrufe im Stadion deutlich zu vernehmen. Trotz zahlreicher Tore ist die Atmosphäre genauso überschaubar wie das spielerische Niveau. Da wird einem schlagartig bewusst, welch Glückskind die Lilien waren, es rechtzeitig aus dieser Liga ohne Wiederkehr und sogar deutlich darüber hinaus geschafft zu haben. Deshalb also – auch nach den zuletzt überwiegend dürftigen Ergebnissen – bitte weiterhin sportlich so ruhig und diszipliniert weitermachen wie seit Hans Kesslers Zeiten!

 

Spreu oder Weizen?

Sa, 04.11., 13 Uhr: Eintracht Braunschweig – SVD

Fr, 17.11., 18.30 Uhr: SVD – SV Sandhausen

Fr, 24.11., 18.30 Uhr: 1. FC Union Berlin – SVD

www.sv98.de