Sketch: Max Strütt

Die Krone, wer kennt sie nicht? Dieses Monument des Darmstädter Nachtlebens. Es ist Zeit, sich im Detail und mit ordentlich Zeit diesem Kosmos zu widmen. Mit dabei sind Max, der auch die Zeichnungen in Echtzeit anfertigt, und Tamara, die nicht nur beste Gesellschaft ist, sondern auch noch nahezu deckungsgleich das Konterfei der „Krone-Emma“ beisteuert.

19:00 Uhr, Kneipe

Die Kneipe ist leer, „Stairway to heaven“ schallt leise aus den Lautsprechern. Die Tür quietscht vernehmbar laut, das bekommt Mensch auch nur mit, wenn’s leer ist. Eine ganz unbekannte Szenerie! Jetzt ist die Zeit, sich umzusehen. In den alten Kronleuchtern hängen ein paar Spinnweben, auf den gedrehten Barhockern ausgeblichene Kissen, der Boden wölbt sich stellenweise. Das könnte alles sehr traurig sein, aber der Vibe ist lebendig und positiv und so wirkt auch das Interieur urig und charmant im Used-Look. Nach einer Viertelstunde schon erfüllt Geplauder den Raum, nach einer halben Stunde ist die Kneipe voll. Die Hauptattraktion ist der Tischkicker. Mit feuriger Intensität wird an den drei Tischen gespielt, toxisch schlechte Verlierer:innen gibt es hier allerdings nicht, alle lachen und scherzen. Fast wirkt es ein bisschen übertrieben, alle Arm in Arm, Runde um Runde. Aber es ist wirklich so. Wer alleine ankommt, muss nur den Raum scannen und wird schon ein bekanntes Gesicht sehen, oder findet bald nette Gesellschaft. Das schätzen auch Levin und Jan, 29, Kunststofftechniker im 7. Semester: „Es ist einfach gut hier, weil man super einfach die verschiedensten Leute kennenlernt und immer interessante Kontakte knüpft.“ Die Kneipe ist, im Kontext der ganzen Krone betrachtet, wohl der Empfangssaal, hier kommt Mensch erst mal an, findet sich, startet in den Abend.

Sketch: Max Strütt

21:00 Uhr, Kneipe (kleiner Saal mit Bühne)

Der kleine Saal schließt nahtlos an die Kneipe an. Hier fällt die große Dichte an internationalen Studierenden auf, viele verschiedene Sprachen fliegen in Fetzen durch den Raum, auf den Tischen stehen Shotgläser und Flaschenbier. Gleich beginnt hier die Live-Musik, ein gewisser Heiner Herchenröder – eine Krone-Institution, wie wir erfahren – wird die Massen unterhalten. Alle Tische sind besetzt, die Menschen spielen Karten, der Geräuschpegel ist hoch, das Deckenlicht hell. Nichts weist darauf hin, dass hier gleich Musik gemacht wird. Die Menschen im Raum scheinen den Künstler gar nicht zu bemerken, sie trinken, lachen und reden. Das fühlt sich aber nicht respektlos an, immerhin ist dieser Bereich der Krone kein Veranstaltungsort in erster Linie, sondern eine Kneipe.

„Auf los geht’s los“, sagt der Künstler plötzlich, und fängt prompt an zu spielen. Während des Songs reden die Leute noch, doch der Applaus ist unerwartet laut. Ab dem zweiten Lied wird in der ersten Reihe geschunkelt. Der Musiker spielt mit Witz und Leichtigkeit, perfekt für das Setting. Dann bittet er den „Jungen mit der Mundharmonika“ auf die Bühne (Bernd, circa 60) und spielt die ersten Töne zu „Piano Man“. Der Saal tobt. Wer den Text kennt, singt lauthals mit, wer nicht, liegt sich gegenseitig in den Armen: Die Stimmung ist famos. Nur das Deckenlicht brennt noch, das stört ein wenig. Es ist halb elf, die Kneipe ist restlos voll.

Sketch: Max Strütt

23:00 Uhr, Rockybar

An der Disko vorbei, die Treppe hoch, im hintersten Winkel des Obergeschosses wartet eine andere Welt. Auf den ersten Blick ist offensichtlich: Hier darf noch geraucht werden und das tun die Gäste auch leidenschaftlich. Die Musik hier ist härter, lauter und auf Platte, eine Diskokugel spielt fleckig rotes Licht durch den Raum. Noch ist es recht leer, nur an der Bar sitzen ein paar Menschen. Der Altersdurchschnitt ist hier höher, die Stimmung weniger witzig, eher entspannt. Während die Kneipe ein buntes Sammelsurium an Leuten ist, hat die Rockybar eine klarere Zielgruppe: Hierhin verirrt Mensch sich nur selten, wer hier ist, will genau hier sein. Das hat etwas sehr Schönes, ein Raum für klassische Subkultur, mitten in der Innenstadt. Weil die Bar leer ist, widmen wir uns dem Billardtisch und spielen ein paar Runden. Schnell vergessen wir die Musik unten, die volle Kneipe, die Existenz der Disko und des großen Saals. Das ist der Zauber der Krone: Alle Räume scheinen so unabhängig und eigenständig – und doch nur durch wenige Schritte verbunden.

00:19 Uhr, Stübchen

In unmittelbarer Nähe zur Rockybar ist das Stübchen, der zahme kleine Bruder. Ausgestattet mit Klavier und einer perfekt durchgesessenen Sofagarnitur aus braunem Leder gibt es hier keine Musik aus den Boxen, sondern immer das, was der Mensch an den Tasten eben so spielt. Wenn die Rockybar das Spielzimmer ist, dann ist das Stübchen das Musikzimmer – mit einer unermüdlichen Schar an Klavierspieler:innen. Meist begleitet durch einen Chor junger Feierwütiger, die immer im Refrain einstimmen und zwischendurch lauthals Musikwünsche einwerfen. Wer eine Pause braucht und sich kurz setzen möchte, Lust auf ein bisschen andere Musik hat oder selbst spielen möchte, ist hier genau richtig. So wie Paula, 32, die im dritten Semester Soziale Arbeit an der h_da studiert. „Alle schwärmen immer davon, wie voll und wild es hier ist und das hat mich am Anfang ein bisschen abgeschreckt. Aber dann habe ich hier mal richtig lange Klavier gespielt, als es leer war, und seitdem liebe ich das ganze Gebäude!“ Für sie war das Stübchen der sanfte Einstieg in den Rest des Krone-Kosmos.

01:00 Uhr, Saal

Als wir die Karaoke-Bar betreten, in die der Saal sich an diesem Abend verwandelt hat, singt ein junger Mensch gerade aus voller Kehle ein polnisches Volkslied und wird dabei von seinen Freunden mit dem passenden Tanz begleitet. Die Stimmung zieht uns sofort in den Bann. Die Krone ist eine einzige Wundertüte. Du weißt ungefähr, was drin ist, aber nicht in der Menge und auch nie genau, wann du was bekommst. Bei „My Heart Will Go On“ machen alle mit, in der ersten Reihe wird geheadbanged, neben uns wird geknutscht, alle scheinen sich hier wunderbar zu amüsieren. Bei „Bohemian Rhapsody“ schließlich erreicht die Stimmung den Höhepunkt, manche stehen sogar auf den Tischen. Mensch kann hier stundenlang sitzen und einfach zuhören, zuschauen und sich unterhalten lassen.

Sketch: Max Strütt

02:15 Uhr, Disko

Wieder die Treppe runter, eine weitere Krone-Facette erkunden. Auf der Tanzfläche ist gerade ein bisschen Platz, worüber sich die Gäste aber augenscheinlich zu freuen scheinen. Tropische Gemälde aus schwarzlicht-aktiven Farben leuchten auffallend mit der Kleidung der Gäste um die Wette. Der Bass bringt den Boden zum Beben, nur die Boxen kratzen ein bisschen. Aber das stört nicht. Wer hier ist, erwartet kein State-of-the-Art-Soundsystem, sondern einen lustigen Abend und einen Raum ohne den Druck der Coolness, den es so oft gibt. So sind auch Tom, Marcus und Helen heute Abend unterwegs. Sie sind 18, im ersten Semester an der TU, alle aus der Nähe von Darmstadt. „In anderen Clubs musst du stundenlang überlegen, was du anziehst oder ob du überhaupt genug Geld für das Ticket hast“, sagt Helen, „hier kannst du einfach hingehen, ganz entspannt.“ Tom stimmt zu: „In der Krone geben die Leute einfach keinen Fuck und haben eine gute Zeit. Das ist angenehm.“ Manche sind erschöpft vom Tanzen und lassen sich in die Liegestühle fallen, die neben der Bar stehen, andere beobachten von der Empore aus das Treiben. Die Masse verschwimmt zu einem homogenen Körper, beim Drop – als der Refrain beginnt – springen alle zusammen.

03:00 Uhr, Kröner

Der Abschluss eines jeden Krone-Abends, so will es das Gesetz, steigt am Kröner [für alle Boomer: = Krone-Döner]. Hier finden sich Freundesgruppen wieder oder tun sich neu zusammen, hier holt Mensch sich die wohlverdiente Stärkung für den Weg nach Hause oder zur nächsten Location. Hier lassen wir den Abend gemächlich ausklingen, kein abruptes Ende, sondern Teil der Erfahrung.

Wir sind ziemlich fertig, es war eine lange Nacht. Aber auch ziemlich zufrieden. Die acht Stunden vergingen wie im Flug. Die Krone ist ein einziger Karneval, ein Rausch aus Eindrücken. Ein wildes Konglomerat, das sich doch wunderbar ergänzt. Ein ganzer Kosmos, viele einzelne Planeten und Galaxien, alle unter einem Dach. Seit 1975.

goldene-krone.de

 

Historie und Konzept der Krone

Einen Hintergrund-Artikel unseres Autors Paul Gruen aus dem Jahr 2009 mit vielen historischen Infos über das Gebäude und das Konzept der Krone findet Ihr online unter: p-stadtkultur.de/goldene-krone-was-war-ist-und-wird

Schön nostalgisch ist auch die ZDF-Reportage „Bilder aus der Jugendwelt“ über die Krone von Inge Hammelmann aus dem Jahr 1981.

 

„Parole P“-Podcast

P-Podcaster Samba Gueye hat die Krone im Oktober 2021 besucht und eine sehr lebendige Reportage zusammengeschnitten.