Foto: SV Darmstadt 98

Was war das für eine Hinrunde? Was war das genau genommen für ein Kalenderjahr 2022? Die Lilien toppten ihren starken vierten Platz in der Abschlusstabelle 2021/22 zuletzt mit der Herbstmeisterschaft. Da lüften wir doch ungläubig den (Fischer-)Hut und sagen: Wie geil ist das denn, bitte?!

Man kann es drehen und wenden, wie man will, der SV Darmstadt 98 ist ein Spitzenteam. Das unterstreicht ein Blick auf die Tabelle. Seit dem 12. Spieltag hat der SVD die Spitzenposition in der 2. Bundesliga inne und wird sie mit ins neue Jahr nehmen. Im gesamten Kalenderjahr 2022 mussten die Fans nie lange suchen, wenn sie wissen wollten, wo ihre 98er in der Tabelle stehen. Zwischen Januar und jetzt rangierten sie lediglich an den ersten drei Spieltagen der aktuellen Saison außerhalb der Top 4. Die saisonübergreifend errungenen 61 Punkte im Jahr 2022 sind einfach nur stark. Von 33 Ligaspielen gingen nur sechs verloren. Das letzte am 16. Juli! Der notorische Herbstblues ist Geschichte.

Der lang anhaltende Höhenflug, er ruht auf mehreren Schultern. Torsten Lieberknecht, Ovid Hajou und Dimo Wache leisten als Trainerteam ganze Arbeit. Chefcoach Lieberknecht versteht es zudem mit seiner Außendarstellung hervorragend, die Fans für sich einzunehmen und einen tollen Brückenschlag zwischen Team und Umfeld herzustellen. Mit Carsten Wehlmann hat es der sportliche Leiter verstanden, einen Kader zusammenzustellen, der vielleicht nominell nicht der beste unter den 18 Zweitligisten ist, der aber sportlich und charakterlich gut harmoniert. Weggänge von Goalgettern wie Serdar Dursun im Sommer 2021 und Luca Pfeiffer im Sommer 2022 konnten kompensiert werden. Und wenn nicht durch Verpflichtungen, dann teamintern.

Interne Zugänge und ein verändertes System

Womit wir wieder beim Trainerteam wären. Denn im Sommer warteten die Fans auf einen adäquaten Ersatz für Luca Pfeiffer. Unter den Transfers waren aber nur zwei Offensivspieler. Zum einen der 22-jährige dänische Außenstürmer Magnus Warming, zum anderen der noch jüngere schwedische Angreifer Oscar Vilhelmsson. Sie sollten also die Lösung sein? Nein, die Lösung war schon längst da: Braydon Manu. Der wuselige Angreifer interpretiert seine Rolle neben Sturmpartner Phillip Tietz ganz anders als Luca Pfeiffer. Er erzielt zwar nicht annähernd so viele Tore. Er geht jedoch den gegnerischen Abwehrreihen mit seinem unablässigen Pressing und seinem Tempo derart auf den Zeiger, dass Fehler im Spielaufbau programmiert sind.

Der größte Unterschied zur so erfolgreichen letzten Saison liegt allerdings in der taktischen Grundordnung. Nun hätte man nach Platz 4 im Sommer meinen können: Warum viel ändern, wenn doch die meisten Leistungsträger an Bord geblieben sind? Doch Pustekuchen! Die Trainer verzichteten zumeist auf eine Viererkette und setzten stattdessen auf eine Dreier-/Fünferkette. Drei Innenverteidiger sorgen dafür, dass die Außenverteidiger Fabian Holland und Matthias Bader ihre Rolle sehr offensiv interpretieren und so über die Flügel mehr Druck nach vorne entfalten. Dafür opferten die Lilien die vormals so wichtigen Außenstürmer. Tim Skarke war durch seinen Wechsel zu Union Berlin ohnehin nicht mehr da, Mathias Honsak fehlte dauerverletzt und Manu rückte eben stärker ins Zentrum. Für das nominell auf drei Spieler reduzierte – aber von Holland und Bader unterstützte – Mittelfeld bedeutete dies, das Spiel nicht nur nach vorne anzukurbeln, sondern auch nach hinten aufmerksam zu sein. Schließlich galt es, den Raum vor der Dreierkette nicht dem Gegner zu überlassen. Eine Aufgabe, die lange Zeit Marvin Mehlem, Tobi Kempe und Fabian Schnellhardt hervorragend ausfüllten. So lange, bis Letzterer – als einer der Aufsteiger der Saison – ab Anfang Oktober verletzt ausfiel.

Vom Hurra-Fußball zur puren Effizienz

Womit wir bei der nächsten Stärke der 98er sind: Sie kompensieren ihre zahlreichen Ausfälle einfach überragend gut. So vertrat beispielsweise Jannik Müller den seit September fehlenden Klaus Gjasula in der Innenverteidigung oder aber er half auf der Sechserposition aus. Beides tat er, ohne dass es im Spiel der 98er zu einem Substanzverlust geführt hätte. Er steht damit stellvertretend für die hohe taktische Variabilität im Kader, was erfolgreiche Systemumstellungen in diversen Spielen bewiesen. Müller war also ein weiterer teaminterner Zugang. Denn nach einer schweren Debütsaison 2021/22 fügte er sich in der Hinrunde von jetzt auf gleich stark ins Spiel der Lilien ein. Auch die Ausfälle der Top-Joker Magnus Warming oder Aaron Seydel verkraftete das Team gut, wenngleich dem Fußballgott gedankt sei, dass Tietz als Sturmführer eine derart gute Physis hat, dass er nicht auch noch ersetzt werden musste. Derweil trugen sich Manu, Mehlem und Kempe fleißig in die Scorerliste ein, während mit Christoph Zimmermann ein spät verpflichteter Innenverteidiger die Defensive verstärkte.

Und so blicken die Lilien auf eine überaus erfreuliche Entwicklung zurück. In der letzten Saison spielten sie sich phasenweise mit Hurra-Fußball ins Rampenlicht. Mehrere Kantersiege prägten die Spielzeit, wovon das Torverhältnis von 71:46 Zeugnis ablegt. In den ersten 17 Spielen dieser Saison zeigten die Lilien ein anderes, ein reiferes Gesicht. 27:15 Tore deuten an, dass nur zwei Siege mit mehr als einem Tor Unterschied gelangen. Vorne effizient, hinten stabil. In 1.530 gespielten Minuten lagen die Lilien lediglich 167 Minuten in Rückstand. Um in der Rückrunde weiter oben mitzumischen, sollte das Team aber schon mehr Tore schießen, denn auf die Dauer werden ein bis maximal zwei Törchen pro Spiel nicht reichen. Als Torjäger entpuppt sich derweil Patric Pfeiffer. Der Innenverteidiger erzielte vier Kopfballtore nach Eckbällen. Jedes Mal war es der erste Treffer der 98er. Zweimal bedeutete er zugleich den Siegtreffer, zweimal den Grundstein für einen späteren Sieg. Insofern sei Carsten Wehlmann gedankt, dass er Pfeiffer im Sommer nicht zu finanzstärkeren Klubs ziehen ließ. Auch wenn der Hüne im Sommer 2023 nicht zu halten sein wird – und dem SVD wegen des auslaufenden Vertrags eine Ablösesumme entgeht –, so sorgt er für satte Punktgewinne. Dass die 98er obendrein im DFB-Pokal überwintern, ist die Kirsche auf der Sahnetorte. Wir dürfen also alle mächtig gespannt sein, was uns die Lilien in der Rückrunde bescheren.

 

„SVD, SVD … alle geh’n zu SVD, ick bin eine Lilie – Du auch … oh, yeah!“

Sa, 17.12.2022, 18 Uhr: SV Darmstadt 98 – Young Boys Bern (Freundschaftsspiel zur Eröffnung des neuen „Bölle“, anschließend: „Lilien-Lieder“-Party mit Maladd in de tête und DJs in der Böllenfalltorhalle)

Sa, 28.01.2023, 13 Uhr: SV Darmstadt 98 – Jahn Regensburg

Fr, 03.02.2023; 18.30 Uhr: SV Sandhausen – SV Darmstadt 98

Di, 07.02.2023, 20.45 Uhr (DFB-Pokal, Achtelfinale): Eintracht Frankfurt – SV Darmstadt 98

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog