Foto: Antje Herden

Urban Farming ist fester Lebensbestandteil vieler Städter:innen. So auch für mich. Seit zehn Jahren beackere ich auf dem Oberfeld eine Parzelle und liebe es von Saison zu Saison mehr.

Gründe, eigenes Gemüse anzubauen, gibt es viele – und sie werden in diesen Zeiten (sic!) immer zahlreicher. Neben der Ernte wohlschmeckender Tomaten, Salate, Wurzeln, Kohlarten und anderer heimischer Gemüsesorten aus eigenem biologischem Anbau erhöhen auch das gemeinsame In-der-Erde-Wühlen, das Erleben von Wachsen und Gedeihen, das Spüren von Wind, Sonne und den eigenen Muskeln die Lebensqualität um ein Vielfaches. Gerade in den letzten Jahren, die mit Pandemie, Krieg, Engpässen und vor allem der Klimakrise stark belastet haben und weiter belasten, brauchen Menschen Möglichkeiten, die eigene Widerstandsfähigkeit auszubilden und Spaß und Freude zu empfinden. Das Beackern einer Feldparzelle ist dafür eine perfekte Option. Es bedeutet neben der direkten Versorgung mit schmackhaften Lebensmitteln seelische Erholung, körperliche Ertüchtigung, eine gesunde Ernährung und ein gemeinschaftliches Miteinander.

Wie schön, dass in Darmstadt mit dem Oberfeld urbane Saisongärten quasi vor den Toren der Stadt liegen. An einem sonnigen Februartag, dem offiziell letzten Tag der Saison 2022, treffen wir uns zum Aufräumen und „Stoppeln“ (Auflesen und Abernten der allerletzten und übrig gebliebenen Ackerfrüchte). Alles ist getan, doch irgendwie können wir uns noch nicht trennen.

„Warum seid ihr dabei?“, frage ich die anderen. Einige sind alte Hasen wie ich, andere ackerten in diesem Jahr zum ersten Mal. Es entspinnt sich ein angeregtes Gespräch, in dem wir die vergangene Saison Revue passieren lassen. Erst einmal kulinarisch. „Ich habe endlich saisonale Sorten verstanden. Im Supermarkt bekommst du ja immer alles. Der Acker gibt dir, was er hat, und du bist nicht mehr Herr über den eigenen Speiseplan“, sagt Daniela lachend. „Und das weckt deine Kreativität“, ergänzt Moniko. „Zum Beispiel Blattkohl. Den kannte ich gar nicht. Dabei gibt der die köstlichste Rohkostvariante.“ Ich persönlich mag Blattkohl am liebsten in Currys, aber ich weiß, wovon Moniko spricht. Auch wenn ich den grünen Smoothie, den sie gerne aus Palmkohl mixt, nicht unbedingt probieren möchte.

Foto: Antje Herden
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Aus Versehen zur Teilzeitveganerin geworden

„In der nächsten Saison gibt es noch mehr Infos und Rezeptideen zu eher unbekannten Gemüsesorten“, ergänzt André, Organisator und Planer der Saisongärten. „Ich genieße es, mit den Menschen Rezepte auszutauschen. Und ich liebe diese Frische und den Geschmack der Sorten“, sagt Monique. Wie gut Gemüse tatsächlich schmecken kann, und das, ohne es zuvor „ottolenghisieren“ zu müssen, hat mich in meinem ersten Jahr absolut begeistert und quasi süchtig gemacht. Ich bin aus Versehen zur Teilzeitveganerin geworden.

„Ich mag die Gemeinschaft mit Käfern, Mäusen und Hasen“, erzählt Hanna lächelnd. „Die Kühe warten schon am Zaun, wenn man ankommt. Und dann diese Weite des Himmels hier oben.“ Alle nicken. Ja, diese Weite, dieser Himmel, der jeden Tag anders ist, der einen manchmal klein, manchmal groß vorkommen lässt, macht ergriffen. Immer wieder.

„Du lernst das Wetter neu kennen. Beginnst den Regen zu schätzen“, sagt Marianne. Wertschätzung. Bedingung für Zeitenwenden, denke ich etwas olafmäßig. Denn nicht nur der Regen wird im Sommer glühend erwartet, auch das selbst produzierte Essen hat einen neuen Wert. Wer weiß, wie viel Arbeit die Frucht macht, schmeißt sie nicht in den Müll. Auch nicht, wenn sie etwas schrumpelig ist. Ohne es wirklich zu planen, werden Ackernde zu Superheld:innen und retten ein bisschen die Welt.

„Ihr dürft auch die Gemeinschaft nicht vergessen“, erinnert Werner. „Das gemeinsame Essen auf dem Feld, das Sommerfest, die Pizza zum Ende.“ André verspricht: „Von solchen Events wird es in diesem Jahr noch mehr geben.“

André hat den Ackerbereich auf acht Felder vergrößert, darum stehen für die kommende Saison noch freie Parzellen zur Verfügung. Es gibt große (60 Quadratmeter) und kleine (30 Quadratmeter) Parzellen. Zur Einordnung: Eine vierköpfige Familie oder Gemeinschaft könnte sich von 70 Quadratmetern ganzjährig und ausschließlich (vegan) ernähren. Dazu müsste man natürlich das geerntete Gemüse auch einlagern, einwecken oder fermentieren. Ergänzt man die frische Ernte mit anderen Nahrungsmitteln, versorgt eine kleine Parzelle bis zu vier Menschen. Die Pachtkosten betragen 170 beziehungsweise 285 Euro. Damit ist das zu erwartende selbst geerntete Biogemüse etwa zwei Drittel günstiger als im Laden (Quelle: ackerhelden.de)

Foto: Antje Herden
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Das Hofgut Oberfeld übergibt die Parzellen mit einer ausführlichen Einführung witterungsabhängig Anfang Mai. Dann befinden sich darauf circa 25 Reihen gesätes und gesetztes heimisches Gemüse. Es bleibt auch Platz, um noch eigene Wünsche umzusetzen: Ob man dort Tomaten, Paprika oder Zucchini anpflanzen oder lieber Liegestühle und Sonnenschirme aufstellen möchte, bleibt jedem selbst überlassen.

Ein Rundum-Service macht es auch Anfänger:innen sehr leicht und führt durchs ganze Jahr. André versendet regelmäßig ausführliche Newsletter. Beratung per E-Mail und Begleitung vor Ort durch die Feldpat:innen stehen ebenso zur Verfügung wie sämtliche Gartengeräte, Wasser, Mulchmaterial und Komposttoiletten. Mehrmals in der Saison werden verschiedene Jungpflanzen nachgeliefert und weitere Samen zur Verfügung gestellt, sodass eine vielfältige Ernte bis weit in den November gesichert ist. Wer mag, kann zudem bis Ende Januar Winterkulturen wie Asiasalate, Winterlauch oder Kohlsorten ernten.

Seit letztem Jahr gehören zu jeder Parzelle auch Beerenbüsche und Obstbäumchen. Eine erste Beerenernte wird für die kommende Saison erwartet. Die jungen Obstbäume brauchen noch etwas Zeit, bis auch sie Früchte tragen und Schatten spenden werden.

Foto: Antje Herden
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Eigenes Gemüse anzubauen macht glücklich, ist gesellig und spart Geld.

Viele Menschen wird der Acker täglich hinauslocken. Nicht nur zum Ackern, sondern auch zum Verweilen, Spielen, Wolkenbeobachten, Mit-netten-Leuten-Plaudern und zum Picknicken. Wer das nicht kann oder möchte, sollte aber schon zwei Mal pro Woche einen Ackerbesuch einplanen. Nach der Übergabe ist es wichtig, dem Gemüse gute Wachstumsbedingungen zu schaffen, also ist nach Bedarf Jäten, Gießen oder Mulchen angesagt. Wer am Anfang etwas mehr Zeit investiert, wird reichlich belohnt. Bei immer weniger Arbeitsaufwand wächst und gedeiht großartiges Gemüse. Wenn man wegfährt oder mal gar nicht kann, gibt es immer Menschen, die einspringen und aushelfen.

„Also, dann bis Mai“, verabschieden wir uns schließlich und greifen nach den letzten prall gefüllten Ackertaschen.

Ab Mai werden wir wieder das eigene Gemüse hegen, pflegen und ernten. Daneben Hummeln und Bienen in den bunten Blüten beobachten, Milane kreisen sehen und Lerchen zwitschern hören, mit den Kindern in der Erde graben oder mit anderen Menschen fachsimpeln und plaudern. Wir werden wieder unseren friedlichen Platz im großen Ganzen einnehmen und können es kaum erwarten.

 

Online den eigenen Acker buchen

Auf mein-oberfeld.de könnt Ihr Euren eigenen kleinen Acker buchen.

Für alle, die sich noch einmal ein Bild vor Ort machen möchten, bietet André am Samstag, 25.03., und am Samstag, 15.04., jeweils um 15.30 Uhr Besichtigungs- und Beratungstermine an. Treffpunkt: am Schuppen Saisongärten West auf dem Oberfeld.