Seit Februar 2019 leistet sich der SV Darmstadt 98 mit Carsten Wehlmann wieder einen Sportlichen Leiter. Wehlmann rückt immer dann in den Fokus der Öffentlichkeit, wenn es sportlich kriselt oder Transfers über die Bühne gehen. Der 49-Jährige dürfte demnach aktuell etwas ruhigere Tage verleben. Dennoch reibt sich so mancher Fan an ihm und seiner Arbeit. Diverse Social-Media-Einträge zu seiner Person schießen jedenfalls immer wieder übers Ziel hinaus.
Als Wehlmann im September 2018 nach Darmstadt kam, war sein Name wohl nur den allerwenigsten vertraut. Und wer sich im Internet über ihn kundig macht, der findet bis heute die Einträge Torwarttrainer und Chefscout bei Holstein Kiel in seiner Vita. Das las sich schon damals reichlich kurios. Okay, Kiel hatte seinerzeit sportlich aufhorchen lassen, aber ein ausgewiesener Manager-Experte schien Wehlmann nicht zu sein. Und hatte der SVD nicht mit Holger Fach Schiffbruch erlitten? Der war im Frühjahr 2016 als Chefscout bei den Lilien ein-, wenig später zum Sportlichen Leiter aufgestiegen, nur um nach einer verkorksten Transferperiode und der Inthronisierung des unglücklichen Norbert Maier das Jahresende 2016 schon nicht mehr im Amt zu erleben.
Die 98er ließen danach erst einmal wieder die Finger von der Anstellung eines Managers. Dirk Schuster hatte die Funktion schließlich zuvor in Personalunion übernommen und sollte es auch später wieder tun. Flankiert freilich von Tom Eilers, der die Lilien seit Jahren mit Rat und Tat begleitet. Doch im Spätsommer 2018 folgte die Kehrtwende. Carsten Wehlmann sollte die sportliche Kompetenz im Klub mehren und wurde Dirk Schuster als Sportkoordinator zur Seite gestellt. Letzterer fand das angeblich nur so semicool. Wehlmann blieb zunächst ein Sportlicher Leiter light, nur um nach der Entlassung Schusters im Februar 2019 endgültig das Sagen in sportlichen Belangen zu erhalten.
Die erste Personalie erregt die Gemüter
Seine erste Aufgabe war gleich delikat. Ein neuer Cheftrainer musste her. Und das im laufenden Betrieb mit dem Tabellenkeller im Rücken. Er suchte und fand: Dimitrios Grammozis. Bei einem lauten Teil der Fans konnte er mit dieser Personalie überhaupt nicht punkten. Grammozis war schließlich kein gestandener Coach. Er war ein Trainer, der in Bochum primär im Nachwuchsleistungszentrum gearbeitet hatte. So entstand der Eindruck, man habe einen Jugendtrainer verpflichtet. Es wurde gar von Trainerexperimenten fabuliert und Grammozis sei ja ohnehin nur gekommen, weil er und Wehlmann früher beide beim HSV gespielt hätten. Nun, das stimmt schon. Allerdings nie zeitgleich. Und mal ganz ehrlich: War es nicht so, dass die Erfolgstrainer Kosta Runjaic und Dirk Schuster zum Zeitpunkt ihrer Verpflichtungen ebenfalls reichlich unbeschriebene Blätter waren?! Zudem war die Verpflichtung eines Cheftrainers aus einem NLZ schon 2019 kein Alleinstellungsmerkmal der Lilien.
Wehlmann hatte es jedenfalls für einige Fans gleich mal verkackt. Dass Grammozis die 98er dann souverän zum Klassenerhalt führte, ließ die Kritiker nur kurz verstummen, denn schon den darauffolgenden Saisonstart setzte er in den Sand. Als die Schimpferei wieder lauter wurde, stärkte Wehlmann Grammozis den Rücken. Ein 5. Platz in der Endabrechnung gab ihm recht, wenngleich in der so erfolgreichen Corona-Rückrunde das Kind in den Brunnen gefallen war. Eine gescheiterte Vertragsverlängerung mit Grammozis hatte die Emotionen zwischen den handelnden Personen ordentlich heruntergekühlt.
Der nächste Trainer, das nächste Murren
Wehlmann begab sich also erneut auf Trainersuche. Er zauberte Markus Anfang aus dem Hut und von Neuem konnte er es manchen Fans nicht recht machen. Die beiden kannten sich doch aus gemeinsamen Zeiten bei Holstein Kiel. Völlig korrekt. Wer das verdächtig findet, der sollte mal die Transfers anderer Klubs ein bisschen näher unter die Lupe nehmen. Wer sich bei gemeinsamen Stationen kennen und schätzen gelernt hat, der findet eben leichter wieder zusammen. Netzwerke sind im Fußball schließlich das A und O. Dass Anfang im Sommer nach nur einem Jahr nach Bremen ging, bedeutete für den SVD immerhin ein schönes Ablösesümmchen. Wieder war Wehlmann auf Trainersuche und präsentierte nach kurzer Zeit Torsten Lieberknecht. Mit ihm könnte er ein gutes Händchen bewiesen haben. Die Saison ist zwar noch jung, aber der authentisch und nahbar wirkende Lieberknecht kommt gut an. Ebenso dessen Wunsch nach einem engen Schulterschluss zwischen Fans und Mannschaft.
Wer nun Wehlmanns Spielerverpflichtungen betrachtet, der wird ebenfalls bemerken, dass nicht alles schlecht war. Ganz im Gegenteil, vieles war sogar richtig gut. Der heutige Kader geht bis auf Fabi Holland, Marvin Mehlem und Tobi Kempe komplett auf Wehlmanns Konto. Gerade aus seiner ersten richtigen Transferperiode im Sommer 2019 sind einige Leistungsträger herangewachsen beziehungsweise Spieler, die immer ein Faktor sein können: etwa Mathias Honsak, Tim Skarke, Marcel Schuhen, Fabian Schnellhardt und Patric Pfeiffer. Auch Dario Dumic, Seung-ho Paik, Nicolai Rapp und Matthias Bader halfen und helfen dem Team weiter. Unter den Neuen dieses Sommers haben sich mit Luca Pfeiffer, Philipp Tietz, Emir Karic und Klaus Gjasula ein paar prächtig eingeführt. Er hat ein Team kreiert, das mit entwicklungsfähigen Kickern spielerisch überzeugen kann und – im Verbund mit Lieberknecht – imstande ist, Leidenschaft auf den Platz zu bringen. Zudem hatte er den Kader vergleichsweise früh beisammen, ganz ohne hektische Last-Minute-Verpflichtungen wie anderswo.
Mehr Licht als Schatten
Dass da einer nicht nur gut scoutet (oder scouten lässt) und hernach erfolgreiche Transfergespräche führt, das lässt sich erahnen, wenn man sich mit Leuten austauscht, die die ehemaligen Klubs der Zugänge kennen und demzufolge die neuen Spieler bewerten können. Dies tue ich für meinen Kickschuh-Blog seit Jahren in sogenannten Insider-Interviews. Dabei kommen Blogger, Podcaster und Journalisten zu Wort. Der einzige Wechsel, der seit Wehlmanns Amtsantritt fast ausnahmslos kritisch bewertet wurde, war Samuele Campo. Zwei Sportjournalisten aus der Schweiz fanden viele Haare in der Suppe. Und so verlief die Leihe tatsächlich enttäuschend. Doch solche Transfers, die nicht aufgehen, sind nun wahrlich nicht auszuschließen.
Alles in allem kann Wehlmann bislang auf zwar turbulente, aber durchaus erfolgreiche Jahre am Bölle blicken. Er macht seine Arbeit im Hintergrund, neigt beileibe nicht zur Selbstdarstellung und findet oft genug sportliche Lösungen, die vielleicht nicht sofort, aber dann doch irgendwann greifen. Und das ist gerade in der aktuell finanziell angespannten Situation mit Corona und Stadionumbau viel wert. Insofern bleibt mir zu sagen: Er ist nüchtern betrachtet schon ein Guter, der Carsten Wehlmann.
Richtungweisende Spiele
So, 03.10., 13.30 Uhr: SV Sandhausen – SV Darmstadt 98
So, 17.10., 13.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – Werder Bremen
Sa, 23.10., 13.30 Uhr: Holstein Kiel – SV Darmstadt 98
Fr, 29.10., 18.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – 1. FC Nürnberg
Matthias und der Kickschuh
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!