Foto: Murat Akbaba

Man stelle sich zunächst eine global ausgerichtete Restaurantküche vor. Der Küchenstil folgt keinen Dogmen, hier trifft offene Experimentierfreude auf ein buntes Repertoire an Zutaten und Gewürzen. Aber Moment, in diesem Artikel geht es nicht um ein Restaurant, sondern um eine Band. Die Rede ist vom Soundkitchen-Orkestra – einer Musikgruppe, die hält, was der Name verspricht. Eine internationale Klangküche, in der Musiker:innen unterschiedlicher Herkunft kulturelle Zutaten aller Art einbringen, in der Melodien aus verschiedenen Ländern durch Klänge diverser Musikinstrumente eingefärbt und mit Gesang gewürzt werden. Alles zusammengeköchelt ergibt das eine ganz individuelle, orientalisch angehauchte Klangfarbe. Das Resultat wird dem Publikum wie Gänge von Speisen serviert – ein köstlicher Abend.

Die Küchenmetapher stammt aus des Feder des musikalischen Leiters Hüseyin Köroglu, der diese auch gerne in seinen Moderationen verwendet. Ein Bild, mit dem der Musiker und Mitbegründer der Band Besidos den Charakter von Soundkitchen auf den Punkt bringt. Um es zu konkretisieren: Soundkitchen vereint die ehemalige Band Besidos mit Mitgliedern des Staatsorchesters des Staatstheaters Darmstadt und Musiker:innen verschiedener Herkunft. Sodass neben alt eingesessenen Darmstädter:innen vor allem Musizierende aus der Türkei, dem Iran, aus Syrien, Nepal, dem Jemen oder dem Irak die kosmopolitischen Kompositionen prägen. Über acht Jahre hinweg haben die 15 Künstler:innen – mit nahezu konstanter Bandbesetzung – ihr abwechslungsreiches Repertoire ausgebaut. Dabei steht weniger die Menge der Stücke als die Qualität des Spiels im Mittelpunkt. Die miteinander harmonierenden Instrumente erwecken den Eindruck, das Ensemble verstehe sich auf der Bühne ohne viele Worte. Das ermöglicht „die gute Ebene der gemeinsamen Kommunikation“, erklärt Bandleader Hüseyin und fügt hinzu: „Das meint, dass nicht jeder das Gelernte einfach abspult.“

Interkultureller Austausch

Dabei scheint das Empfinden eines nonverbalen Austauschs unter den Musiker:innen nicht einmal so weit hergeholt. Zu Beginn standen sie tatsächlich vor der Aufgabe, sprachliche Barrieren zu überwinden und eine Form der Verständigung finden zu müssen. Denn was auf den ersten Blick nicht erkennbar ist: Hinter dem Bandprojekt steckt weitaus mehr als die musikalische Ebene. Als mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien viele Menschen nach Deutschland fliehen mussten, keimte im Staatstheater Darmstadt die Idee auf, für geflüchtete Musiker:innen einen offenen Begegnungsort zu schaffen. Diese Plattform sollte nicht nur interkulturellen Austausch, sondern auch sozialen und musikalischen Anschluss mit Gleichgesinnten ermöglichen. Aus viel Netzwerken und dem Verbinden von Menschen entstand 2015 das von den Staatstheater-Mitarbeiterinnen Franziska Domes und Theresa Willeke initiierte Projekt – nachdem Hüseyin Köroglu als musikalischer Leiter mit im Boot war. Der Produzent und Musiker mit türkischen Wurzeln ist Experte für kulturenverbindende Musik wie den Rembetiko, der die Volksmusik Griechenlands mit der osmanischen Musiktradition in Einklang bringt. Hüseyin sammelt Platten, er legt sie in der Reihe „Welcome To The Casbah“ auf – und er spielte und spielt in Bands, die Brücken zwischen Kulturen bauen. Bis heute formt er auch das Soundkitchen-Orkestra maßgeblich mit.

Foto: Murat Akbaba
Foto: Murat Akbaba

Begegnungen bei Musik und Essen

„Musik verbindet, daran glauben wir im Theater fest. Und die Konzerte des Soundkitchen-Orkestras machen das gut sichtbar“, stellt Pressesprecherin Judith Kissel die integrative Komponente des Projekts heraus. Gemeinsam mit Antonia Hilsberg übernahm sie die Betreuung des Projekt ab 2018. Die Konzerte des Soundkitchen-Orkestras sollen ein breites, generationsübergreifendes, internationales Publikum anziehen. Dass der Eintritt auf Spendenbasis erfolgt, getanzt, getrunken und in der Pause kostenfreie Köstlichkeiten verspeist werden können, ist ebenfalls Teil des Konzepts. Denn das Motto lautet: „Begegnungen bei Musik und Essen“. Bei der festen Konzertreihe, mit Konzerten im zweimonatigen Rhythmus im Foyer, bietet das Staatstheater den Rahmen – von der Koordination der Konzerttermine bis zur gestellten Infrastruktur. Einst im Foyer des „Kleinen Hauses“ begonnen hat die angewachsene Fanbase zum Umzug ins Foyer des „Großen Hauses“ geführt. Darüber hinaus wurde der Georg-Büchner-Platz bei Open-Air-Konzerten bespielt, das Publikum in den Kammerspielen verzaubert oder bei regelmäßigen externen Festen und Veranstaltungen zum Tanzen gebracht. Mal abwarten, welche Formate sich neben dem bislang angebotenen Workshop oder dem professionellen Livemitschnitt zukünftig entwickeln werden.

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Foto: Thomas Kurek

Melodiöse Tiefe, die berührt

Abwarten kann mit großer Wahrscheinlichkeit niemand, der die Gruppe live hört. Authentische Klänge, in denen so viel Heiterkeit, Sehnsucht und Lebensfreude stecken, lassen den Fuß ganz automatisch mitwippen. Beschwingt, aber gleichzeitig melancholisch – das Ensemble erschafft Songs mit melodiöser Tiefe, die berührt. Dabei reagieren die Mitglieder über das Gehör, sie orientieren sich also wenig an Noten. Inspiration für neue Darbietungen bringen alle Künstler:innen ein, sodass gemeinsam teils traditionelle, teils moderne Musik aus verschiedenen Ländern einstudiert und Arrangements für verschiedene Besetzungen erarbeitet werden. Dabei wechseln sich Improvisationseinheiten mit planvollen Proben ab, um im Ausprobieren den Stücken einen ganz eigenen Stil zu verleihen.

„Das Besondere ist, dass wir alle unterschiedliche Hintergründe haben und durch die Musik all unsere Gedanken, Gefühle und Geschichten zum Ausdruck bringen können“, erläutert Mariam Al-Absi. Seit einem Jahr bereichert die 19-Jährige die Band neben ihrem warmen Gesang mit der Out, einer arabischen Laute. Für die junge Frau mit Wurzeln im Jemen stellt Soundkitchen einen Freiraum dar: „Niemand wertet oder urteilt. Wir sind frei. Wir fühlen keine Limitierung. Wenn wir auf der Bühne sind, fliegen wir.“ Die Melodien lösen bei anderen ein Gefühl der Zugehörigkeit aus oder stillen aufkommendes Heimweh. „Wenn ich mit den Menschen dort Musik mache, habe ich das Gefühl, bei meiner richtigen Familie zu sein“, fasst Saber Niyazi die verbindende Atmosphäre in der Gruppe zusammen, zu der er vor fünf Jahren stieß. Bereits mit neun Jahren lernte der engagierte Musiker im Iran die einer Zitter ähnlichen Santur zu spielen. Seitdem gehört Musik als wesentlicher Bestandteil zu seinem Leben – ganz im Sinne Nietzsches: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Für wieder andere eröffnet Soundkitchen bislang unbekannte musikalische Welten und „füttert die musikalische Neugierde“, wie es Hüseyin ausdrückt. Ähnlich ergeht es Heidrun Finke vom Staatsorchester Darmstadt. Die Oboistin und Englischhornspielerin gehört seit der Gründung zum festen Kern. Dabei schätzt die 64-Jährige die musikalische Bereicherung durch neue Lieder aus dem außereuropäischen Kulturraum: alte orientalische Melodien, die hierzulande oftmals unvertraut, im Nahen und Mittleren Osten über Ländergrenzen hinweg verbreitet sind. Ob als Lernfläche, Medizin für die Seele oder Nahrung für den Geist: Das Soundkitchen-Orkestra erfüllt sein Ensemble auf individuelle Weise – und wirkt auch aufs Publikum super inspirierend.