Foto: Nouki

Links vor dem Eingangsbogen, an eine römische Säule gelehnt, stehen zwei alte Rennräder, der Rahmen in Weiß, Lenker und Sattel in ein knalliges Rot getaucht. Sie sehen aus wie hastig abgestellt. Es riecht nach neuen Holzmöbeln und das gleichmäßige Klackern hoher Schuhe auf dem glänzenden Mosaikboden ist zu hören. Ich gehe weiter durch den Eingangsbogen zwischen den Säulen hindurch, und traue meinen Augen nicht mehr: Links tauchen Sofas auf, rechts ranken sich Stoffkunstwerke um Nachttischschränke. Wie in einem beispielhaft eingerichteten Kinderzimmer im Möbelhaus. Halbierte Lampenschirme sind auf eine Birkenwald-Wandtapete an die Wand geklebt. Der private Innenraum ist zugleich ein öffentlicher Außenraum in der Natur.

Auf einem der Sofas liegt ein scheinbar achtlos hingeworfener Pullover. Die Couch lädt dazu ein, sich hinzusetzen, gleichzeitig locken aber auch die Gemälde, die im nächsten Zimmer hinter einem weißen Schrank hervorlugen. Ich komme mir vor wie ein Kleinkind, das staunend die Welt entdeckt und alles Neue in sich aufsaugt wie ein Schwamm. Auf der einen Seite fühlt es sich an, wie in einem gemütlich, wenn auch schrill eingerichteten Wohnzimmer zu sitzen, bei dem sich der Innenarchitekt nicht für einen Stil entscheiden konnte. Auf der anderen Seite wirkt alles fremd, als würde man ganz langsam und vorsichtig in ein begehbares Kunstwerk eintreten, in dem man nichts anfassen darf. Auf jeden Fall hat man das Gefühl: „Ich muss mich erstmal sammeln.“ Das ist auch der Titel der noch bis Ende März laufenden Sonderausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata schaffen es, Kunst und (Gebrauchs-)Design mal provokant, mal amüsant miteinander zu verweben. Verschiedene Welten und Stile, die unmittelbar aufeinanderprallen, ziehen sich durch die gesamte Ausstellung.

Foto: Nouki
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Subjektive Kuration als Methode

Man weiß schon nach ein paar Metern gar nicht mehr: Was gehört zum Inventar des Museums und was ist ein neu hinzugefügtes Teil der Ausstellung? Kein Wunder, denn in der Sonderausstellung haben die österreichischen Künstler-Designer:innen Gegenstände aus den universalen Sammlungen des Landesmuseums zusammengetragen. Und trotzdem beruht die Sonderausstellung nicht auf wissenschaftlichen Methoden, sondern auf einer subjektiven Kuration: „Wir sind keine Kunsthistoriker. Wir haben Gegenstände ausgewählt, die uns nahestehen und uns auch herausfordern“, erklärt Jakob Lena Knebl, während sie eine Skulptur für die Ausstellung geraderückt. Die Künstlerin geht dabei sogar so weit, dass sie sich selbst in der Ausstellung inszeniert und das nicht nur durch ihre eigenen Werke, die sich fast unscheinbar unter die Sammelstücke mischen. Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata stellen ihre Werke weltweit aus, etwa auf der Biennale in Venedig.

Der bereits beschriebene Gang führt als Entrée in einen großen Ausstellungsraum. Dort steht die Künstlerin, einen Arm an eine Skulptur mit Wuschelkopf gelehnt, den anderen in die Hüfte gestemmt, ahmt sie diese nach. Sie identifiziert sich sichtlich mit dem Ausstellungsstück. Knebl ist bekannt dafür, Körper auseinanderzunehmen und so Körperbilder humoristisch zu hinterfragen. Dabei verschiebt sie gerne Dinge und katapultiert sie in andere Zeiten. Dafür nimmt die Künstlerin die Hülle und setzt sie in eine andere Epoche. So hat sie Henri Laurens bekannte „Große Badende“ nachbauen lassen und in quietschgelbe Farbe getaucht. Dahinter steht die Original-Bronzefigur in einer Vitrine.

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Spagat zwischen Hoch- und Populärkultur

Auf dem Weg vom Original zu sich selbst hat Knebl Halt gemacht und der nachgebauten Figur die Populärkultur aufgestülpt. Doch das reicht ihr nicht. Auf dem Kopf der gelben Figur sitzt eine Perücke, die ihrer eigenen Haarfarbe nahezu gleicht. Dabei handelt es sich um ein „Glukskong“ mit markanten Glubschaugen, ein Zottelplüschtier, mit dem sie selbst als Kind immer gespielt hat: „Ich vermische mein Kinderspielzeug mit der Kunstgeschichte“, erklärt die Künstlerin. Diese durch den Spagat zwischen Hoch- und Populärkunst erzeugte Spannung sorgt für ein innerliches Raunen. Der Aufschrei gelingt.

Derweil sitzt Markus Pires Mata ein Stück entfernt in einem Labyrinth aus Vitrinenboxen aus Acrylglas, die wie eine durchsichtige Mauer aufeinandergestapelt sind. In den Zwischenräumen rückt er Bronzestatuen auf dem Boden an die richtige Stelle. Drumherum sind manche Vitrinen leer, in anderen befinden sich alte Colaflaschen, Salatölkanister, riesige Vasen, Vintage-Haartrockner und auch Campari-Flaschen. Die Vitrinen sind hier Teil des Kunstwerks, sie rahmen nicht wie sonst die Exponate, sondern durchkreuzen sie vielmehr. Damit brechen die beiden Künstler:innen mit dem konventionellen Ausstellungsaufbau.

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Transzendente Tiere und Schlüsselwerke der Kunstgeschichte

Direkt daneben steht eine antike Skulptur auf einem Korkaufsteller mit Holzrahmung, genauso, wie sie Pires Mata und Knebl in den universalen Sammlungen vorgefunden haben. Für Besucher:innen erscheint es zunächst wie eine willkürliche Aneinanderreihung von Dingen. Doch die beiden setzen hier Schlüsselwerke der Kunstgeschichte mit Sammelgegenständen auf eine Ebene und werfen so die Frage auf, was Kunst eigentlich bedeutet. Für Knebl persönlich ist Kunst genau diese Macht, „mit Ästhetik spielen zu können.“

Der grellgrüne Bodenbelag, der bisher wie eine Art Laufsteg das Einzige war, das wenigstens etwas Orientierung gegeben hat, geht jetzt plötzlich die Wand hoch. Mit Kippeffekten wie diesen stellen die Künstler-Designer:innen herkömmliche Dimensionen auf den Kopf. Das zeigt sich auch im nächsten Vitrinenkomplex: Hier finden Edelsteine neben ausgestopften Eulen ihren Platz. Die Tiere haben für Knebl etwas Transzendentes, stehen für eine Grenzüberschreitung und stellvertretend für das, was die Künstler:innen mit der ganzen Ausstellung bezwecken möchten: neue Perspektiven zu gewinnen. „Die Unordnung ist wichtig, damit wir uns transformieren“, erklärt Knebl.

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Eine Rauminstallation, in der Dinge „umherfluiden“

Auf die verzweifelte Frage eines Reporters, was denn ihr Anteil an der Ausstellung sei, sagt die Künstlerin: „Erfunden haben wir alle nichts.“ All das gebe es schon einmal irgendwo in der Geschichte um uns herum. Die Antwort auf die Frage des Journalisten nach ihrem Eigenanteil lautet: das Gesamtkunstwerk der Rauminstallation. Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata haben eine Raumordnung entworfen, in der ganz unterschiedliche Sammlungsobjekte „umherfluiden“ und sich die Bedeutung und Bewertung von Dingen wandeln kann.

Zaghaft fährt Markus Buchter, Depotverwalter Gemälde und Skulptur des Landesmuseums, auf einem kleinen Hub-Kran an einer Säule entlang hoch und hängt einen Vogel auf, der an durchsichtigen Fäden neben barocken Gemälden von der Decke herunterhängt. „Die Ausstellung ,Tod und Teufel‘ vorher war sehr düster und wir wollten jetzt, dass das Ganze zu fliegen beginnt, wie die Bilder, die über uns schweben, dass man Durchsichten hat und etwas durchsichtig sichtbar macht“, erklärt Knebl. So kommen auch Kunstwerke des Museums ans Licht, die noch nie ein Museumsbesucher zu Gesicht bekommen habe.

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Kunst auf Augenhöhe

Am Ende des Rundgangs springen leuchtende Mülleimer in Orange und Grün ins Auge, die sich wie Tiere in eine Herde von Rehen einreihen. Die Künstler arbeiten in dieser Ausstellung also auch gesellschaftskritisch und machen zum Beispiel auf die zunehmende Urbanisierung und die nachlassende Naturverbundenheit aufmerksam. Auch wenn die sieben Settings der Ausstellung unterschiedlicher nicht sein können, haben sie eines gemeinsam: Kunst auf Augenhöhe zu vermitteln. „In der Kunst gibt es oft Hierarchien. Das hier soll auch Menschen ins Museum locken, die sonst nicht hierherkommen“, sagt Knebl und setzt sich, wieder am Ausgangspunkt angekommen, auf ein Sofa.

Ob man sich in der Ausstellung gesammelt oder doch neu zusammengesetzt hat, kann jeder für sich beurteilen. Auf jeden Fall hat sich etwas verändert, „weil man selbst etwas tut, indem man durchgeht“, erklärt die Künstlerin. Das größte Kompliment ist für Knebl, wenn Besucher:innen nach der Ausstellung sagen: „Da würde ich gerne einziehen!“

 

„Ich muss mich erstmal sammeln“

Sonderausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt vom 15. November 2024 bis 30. März 2025

Di + Do + Fr: 11 bis 18 Uhr, Mi 11 bis 20 Uhr, Sa + So und Feiertag: 11 bis 17 Uhr (montags geschlossen)

Eintritt: 12 € (ermäßigt: 8 €, Gruppenpreis: 10 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: Eintritt frei)

hlmd.de

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