Tapfer verabschieden sich die Lilien in diesen Wochen in die 2. Bundesliga. Ein erwartbares Ende der aktuellen Spielzeit. Aber eines, das insgeheim auch ein wenig enttäuscht. Denn auf dem Papier geht eine unterirdische Spielzeit zu Ende. Im Kampf um den Klassenerhalt ließen die 98er frühzeitig abreißen. Im Endeffekt spielten nur die Bayern und die Lilien in ihrer eigenen Liga. Die einen ganz oben, die anderen ganz unten. Nur haarscharf schrammte der SVD an diversen Negativrekorden der Bundesliga vorbei. Selbst die Feierabendfußballer der Saison 1978/79 heimsten deutlich mehr Punkte ein. Sagen wir jetzt mal prophetisch voraus.
Und dennoch zeigt sich Fußball-Deutschland nachsichtig mit dem SV Darmstadt 98. Zu krass sind die Standortnachteile gegenüber der Konkurrenz. Ein neuerlicher Klassenerhalt wäre die XXL-Kirsche auf der Bölle-Sahnetorte gewesen. Selbst gegen Ende dieser unglücklichen Saison sprechen die Fans anderer Vereine immer noch respektvoll über die Lilien. Etwa, wenn sie sich mit mir im Kickschuh-Blog über die anstehenden Duelle gegen Darmstadt austauschten. Der SVD sei immer ein schwerer Gegner, hieß es da. Er würde es den Gegnern mit seiner Defensive schwer machen, hieß es da. Er würde in der Abwehr gut stehen und nach vorne Nadelstiche setzen, hieß es da. Bitte? Redeten wir vom selben Team? Von dem Team, das in nicht einmal einer Handvoll Partien zu null spielte? Von dem Team, das den real existierenden Punktelieferanten verkörperte? Von dem Team, das mit der Zuverlässigkeit einer Schweizer Uhr Spieltag für Spieltag in Rückstand geriet? Von dem Team, das auswärts seine Visitenkarte als zuverlässigster Verlierer seit dem 1. FC Nürnberg 1983/84 abgab?
Warum aber hatten die Lilien bei vielen Kontrahenten einen solch respektablen Klang? Das lag an den wundersamen Jahren unter Dirk Schuster. Die legendäre Comeback-Relegation in Bielefeld legte den Grundstein für das Image der leidenschaftlich fightenden und – ja – ekligen Lilien. Die Zwischenstation 2. Bundesliga unterstrich den Eindruck, dass dem SVD nicht so leicht beizukommen war. Vortrefflich kam das in den Duellen gegen die üppig gefüllte Portokasse aus Leipzig zum Ausdruck. Sie wurde von unorthodox spielenden Lilien auf den unliebsamen Boden der Realität hinuntergezogen. Die Blau-Weißen waren eine verschworene Truppe, die die Chance, die sich ihnen bot, mit reichlich Herz und Leidenschaft ergriff.
Die Krönung folgte nach dem Bundesliga-Aufstieg. Schon nach dem ersten Auswärtsspiel auf Schalke regte sich Unmut über die angeblich so unfairen Lilien. Da wurden keine bösen, aber viele taktische Fouls beklagt. Da wurde das Schinden von Fouls erkannt, das viel Zeit von der Uhr nahm, da der anschließende Freistoß lange auf sich warten ließ. Und dann gab es etwas später im Sturm noch diesen Unsympathen vom Dienst. Diesen Sandro Wagner, der ständig provozierte und der dann auch noch regelmäßig traf. WAS ERLAUBE, LILIEN? Sie erlaubten sich, mit den Mitteln des Underdogs über sich hinauszuwachsen und die anderen zu nerven. Die Lilien mögen limitiert gewesen sein, aber sie waren ausgebufft, effizient und … erfolgreich! Im Grunde genommen stand da ein Team auf dem Platz, das einen klaren Plan verfolgte, der zwar nicht immer aufging, aber oft genug. Die Mannschaft blieb fokussiert und ließ sich von Rückschlägen nicht verunsichern.
Und heute? Da haftet der Mannschaft nur mehr der Ruf der Vergangenheit an. Denn sie ist weder sonderlich ausgebufft noch effizient und schon gar nicht erfolgreich. Der Kader hat freilich ein völlig anderes Gesicht als unter Schuster, der als Mastermind des Erfolgs zur Puppenkiste gewechselt war. Das unsägliche Fach/Meier-Intermezzo verunsicherte Fans wie Mannschaft gleichermaßen. Man bekam den Eindruck, dass die verbliebenen Leistungsträger nicht mit dem neuen Führungspersonal konnten – und umgekehrt. Eine unheilvolle Konstellation. Sie führte dazu, dass neue und alte Spieler nur schwer zueinander und lange nicht in die Spur fanden. Dem Gegner gaben die Lilien kaum mehr Rätsel auf. Sie waren sich selbst ein Rätsel geworden.
Unter Torsten Frings hat sich die Mannschaft deutlich weiterentwickelt. Sie spielt inzwischen einen passablen Ball, ohne dabei allerdings die Quintessenz des Spiels wiederentdeckt zu haben: das Toreschießen! Ja, selbst mit dem Kreieren von Chancen tut sie sich auf bedauernswerte Weise schwer!
Lassen die Lilien-Fans die abgelaufene Bundesliga-Spielzeit Revue passieren, dann dürften sie sich kaum an Charaktereigenschaften erinnern, die diese Mannschaft wirklich ausgezeichnet hat. Okay, auch die Post-Schuster-98er ließen sich nie hängen, sie zeigten nach wie vor Kampfgeist. Aber das darf man auch erwarten, wenn die Qualität fehlt. Nur wo ist das Freibeuter-Image der vergangenen Jahre geblieben? Wo die unbändige Mentalität? Wo die Geilheit auf dieses eine verdammte Tor, das einen Punktgewinn wahrscheinlicher machen würde? Es bleibt zu hoffen, dass das Team von Torsten Frings in der 2. Bundesliga zu sich findet. Dann kommen sie hoffentlich zum Vorschein, die neuen (alten) Eigenschaften.
Saisonvorbereitung
Sa, 06.05., 15.30 Uhr: Bayern München – SVD
Sa, 13.05., 15.30 Uhr: SVD – Hertha BSC
Sa, 20.05., 15.30 Uhr: Borussia Mönchengladbach – SVD
Matthias, der Kickschuh und die Lilien
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!