Ordnung in Darmstadt – was liegt hier näher, als sich mit der Straßenverkehrsordnung zu befassen. Verbote und Gebote, Gesetze und Regeln, Ampeln und Schilder verbinden sich zu einer Ordnung der Mobilität, einer Ordnung im öffentlichen Raum. Die Interessen und die Sicherheit von Fußgängern prallen hier auf die der Fahrradfahrer, des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), der Autos und der Lastwagen.
Eine moderne Verkehrsplanung befasst sich mit all diesen Akteuren und versucht, sie zu verquicken. Das Problem: Es dominieren hierbei das Auto und seine Lobby. Wahrend politische Diskussionen zur Nord-Ost-Umgehung geführt werden, während sich stinkende Autos – meist nur mit einem statt fünf besetzten Sitzen – auf dem City-Ring um die Innenstadt gürteln, werden Großveranstaltungen wie der Flohmarkt auf dem Karolinenplatz von der Innenstadt wegverlegt, um den Autoverkehr nicht zu behindern. Oder es ist schier unmöglich, auf legalem Wege vom Lui zum Grohe zu radeln, um ein frisches Helles (der Ordnung halber alkoholfrei) in der Frühlingssonne zu bestellen. Denn dies ist entweder nur auf Fußwegen möglich oder aber man muss sein Rad schieben beziehungsweise eine umständliche Strecke wählen.
In der Verkehrsordnung einer Stadt liegt viel Potential, welches sich auf alle möglichen Lebensbereiche auswirkt. So wie das häusliche Entrümpeln, welches in zahlreichen Sachbuchbestsellern gepredigt wird, das eigene Leben entschleunigen und Zeit schaffen soll, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und den Moment zu würdigen, so täte uns allen auch eine Entschleunigung im Stadtverkehr gut. „Kopf an, Motor aus“, empfiehlt der Verkehrsplaner Uwe Petry vom Planungsbüro VerkehrsAlternativeRad (VAR). „Aus Autofahrersicht erschließt sich eine Stadt wie Darmstadt kaum, sie wirkt hässlich. Ihre Schönheit und die Details erkenne ich, wenn ich sie zu Fus oder mit dem Rad erkunde“, findet der Radverkehrsplaner. Petry hat bereits an einigen Fahrradstadtplanen mitgewirkt, die Fahrradrouten (wie „Rund um Darmstadt“, „Familienradroute“, „Radroute Bergstraße“ oder „RMV-Radrouten“) beinhalten. Sie vernetzen die grünen Oasen unserer Stadt und des Umlandes und machen sie somit im wahrsten Sinne des Wortes „erfahrbar“. Auch für die Orientierung und damit die Verkehrssicherheit der Kinder ist ein intelligentes Mobilitätsverhalten wichtig.
Früher kannten sich Kinder, bis sie erwachsen waren in ihrem heimischen Umkreis von rund zehn Kilometern aus. Heute werden sie mit dem Auto kutschiert und – weil die Ordnung des öffentlichen Raums zu viele Gefahren birgt – nur noch punktuell „freigelassen“, um Orte und Gegenden kennenzulernen, ohne die räumlichen Zusammenhange zu begreifen. Einst konnten Kinder auf der Straße spielen, heute parken dort „ordentlich“ die Autos auf den Gehwegen, übrigens ein Vergehen laut Straßenverkehrsordnung, welches aber toleriert wird. Nicht nur ausökologischer, sondern durchaus auch aus wirtschaftlicher Sicht ist eine durchdachte Verkehrsstruktur äußerst effektiv: Das Loop 5 funktioniert maßgeblich, weil man bequem und umsonst sein Auto parken kann. Genauso wurde eine Vernetzung des städtischen Lebensraumes für Radfahrer und Fußgänger – etwa durch Beschilderung, Wegweisung, Beleuchtung, Markierung und Bepflanzung – zu einem Gewinn an Zeit fuhren und die Attraktivität der Stadt erhöhen, was wiederum den städtischen Einzelhandel unterstutzen wurde. Wirtschaftlichkeit wird auch an der Verkehrsleistung gemessen, also daran, wer oder was in welcher Zeit über welche Strecke und mit welcher räumlichen Flächennutzung transportiert wurde.
Dass hier das Transportmittel Fahrrad neben der Straßenbahn das effizienteste ist, wissen viele nicht. Umdenken wäre hier jedoch erforderlich. Sich einfach mal fragen, in welchem Verhältnis das eigene Auto oder gar die eigenen Autos zu Kosten, Zeit und Raum stehen, welche sie verursachen, vergeuden und einnehmen. Welchen Gewinn in zeitlicher, gesundheitlicher, ökologischer und vor allem individueller Hinsicht es bringen konnte, wenn man die Autofahrt häufiger gegen einen Fußmarsch oder Fahrradritt eintauschte. Wenn man die dafür nötigen Rahmenbedingungen (funktionstüchtiges Rad, Parkmöglichkeiten für Rader in der Stadt, Transportmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ähnliches) selbst schaffen und politisch einfordern und die scheinbare Ordnung in unserer Verkehrswelt hinterfragen wurde. Die dominierende Position des Autos und seiner Bedürfnisse verschlingt neben unserer Lebenszeit auch den städtischen Lebensraum.
Der ruhende wie der fahrende Verkehr belegt einen Großteil städtischer Flachen: Das Martinsviertel ist zugeparkt, die herrlichen, straßenzugewandten Balkone der Altbauten im Johannesviertel liegen verödet, während in den Hinterhöfen neue Balkone angebaut werden, um sich von der Straße weg zu orientieren. Einmal mehr zeigt sich hier, wie stark die Ordnung im öffentlichen Raum auch die persönliche Lebensordnung beeinflusst, wenn man sich nur ein paar Gedanken um ein bewusstes „Sich-Fortbewegen“ macht.