Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Wir kennen sie alle. In manchen Fällen begegnen wir ihnen sogar tagtäglich – sei es auf dem Weg zur Arbeit oder beim Gassigehen mit dem Hund. Einige von uns haben ihre ganz persönlichen, andere schließen sich dem Massengeschmack an, wenn sie Orte zu „Unorten“ degradieren – zu Plätzen, die sie nicht mögen. Ob sie nun das Auge durch ihr Aussehen empfindlich beleidigen oder man mit ihnen etwas Negatives verbindet: Unorte sind Orte, an denen wir uns einfach nur ungern aufhalten.

Unorte können ganz unterschiedlich entstehen. Sie können bewusst mit einer guten Absicht geschaffen werden, wie zum Beispiel im Falle des Europaplatzes hinter dem Darmstädter Hauptbahnhof. Jener wurde von der Stadtverwaltung neu gestaltet, weil man damals im Sommer 2003 der Meinung war, dass dadurch das Stadtbild verschönert und ein zentraler Platz im Quartier „Europaviertel“ entstehen würde. Heute wirkt der mit (stillgelegten) Wasserspielen gespickte Platz oft wie ausgestorben, kaum ein Mensch wagt sich über dieses menschenleere Pflaster.

Andererseits können Unorte aber auch unbewusst entstehen, wie man am Parkplatz Hügelstraße / Ecke Heidelberger Straße (alias: Marienplatz) sehen kann: Das unbefestigte Areal, dessen Boden größtenteils aus Kies besteht und deshalb nach jedem Regen durchweicht und matschig ist, war eigentlich gar nicht als Parkplatz gedacht. Auf dem städtischen Grundstück, auf dem heute Autos abgestellt werden, sollte vielmehr ein Gebäude stehen. Weil man sich aber bei der Planung jahr(zehnt)elang nicht einigen konnte – und es voraussichtlich auch nicht so schnell wird, wurde das Areal der Öffentlichkeit als Parkfläche zur Verfügung gestellt. Aber wenn man ehrlich ist, findet niemand, dass die zirka 14.500 Quadratmeter Kies und Dreck in dieser zentralen Lage eine Augenweide sind.

Oder nehmen wir das ehemalige Hotel Weinmichel in der Schleiermacherstraße, welches Ende Januar 2012 abgerissen wurde: Einst ein gehobener Gasthof mit Weinhandel und Übernachtungsmöglichkeit, dann eine leerstehende, graue Hülle, die Leben und Ästhetik vermissen ließ. Dann der Abriss – und seit Mai 2012 eine Schutthalde in 1b-Citylage. Ob das gewaltige Gebäude, das (irgendwann einmal) an dieser Stelle errichtet werden soll, nicht auch ein Unort sein wird, ist die Frage. Zum einen besitzt die Straße eine ohnehin etwas eingeengte Atmosphäre und würde durch die mächtige, sechsstöckige Fassade des neuen Gebäudes noch mehr erdrückt. Nebenbei sollte man sich außerdem fragen, ob sich die als Büroräume geplanten oberen Stockwerke wirklich vollständig vermieten lassen werden, da in Darmstadt und Umgebung ohnehin schon viele Büroflächen leer stehen.

Ein weiterer Unort ist gleich mehrmals in Darmstadt anzutreffen: der Darmbach. Nicht, dass dieses kleine, unschuldig dahinplätschernde Gewässer jetzt ein Schandfleck wäre, aber dennoch sind hier und da einige Unorte mit ihm direkt in Verbindung zu bringen. Nehmen wir die Stelle, an der der Darmbach in der Rudolf-Müller-Anlage unweit des Kleinen Woogs in die städtische Kanalisation geleitet wird. Allein der Umstand, dass die Natur der grauen, kalten Stadt weichen muss und unter Beton fernab von den Augen der Menschen verdrängt und versteckt wird, macht diesen Ort schon unangenehm.

Die Rinne vor dem Darmstadtium ist das zweite Beispiel mit Darmbach-Bezug. Dass sich in dieser graubetonierten Furche mit einseitiger LED-Beleuchtung anstatt des gewünschten Darmbachwassers kaum etwas anderes als Blätter, Dreck, Regenwasser und gelegentlich ein, zwei Radfahrer ansammeln, war so nie geplant. Das Letztere dort landen, liegt wahrscheinlich daran, dass es keine Geländer gibt, welche die Velos vom unfreiwilligen Absturz abhalten könnten. Wenn denn eine Rinnsaal-Rinne an dieser Stelle überhaupt sein muss – ganz zu schweigen vom gesamten überdimensionierten Darmstadtium.

Unorte, die sich mit etwas mehr Willen der beteiligten Behörden in das Gegenteil umkehren ließen, sind die in Darmstadt angesiedelten, ehemaligen US-Stützpunkte. Die Kelley-Barrracks gegenüber der Heimstättensiedlung zum Beispiel ist ein großflächig bebautes Gelände mit großen, bewohnbaren Gebäudekomplexen und integrierten Sportanlagen, das komplett ungenutzt dem Verfall entgegendämmert. Dabei könnten diese Wohnungen zum Beispiel an Studenten vermietet werden, um der zurzeit herrschenden Wohnungsnot in Darmstadt entgegenzuwirken. Studentenvertreter drängen seit langem auf eine Lösung, aber zahlungskräftige Investoren gewerblicher Art sind der Stadt aktuell scheinbar lieber.

Ein anderer Unort befand sich an einer Stelle, an der täglich hunderte Personen vorbeikommen: Gemeint ist der Kennedyplatz an der Kreuzung Rheinstraße / Kasinostraße. Der Brunnen, der still vor sich hin ko-existiert, führt schon lange kein Wasser mehr und verbraucht so gesehnen nur noch Platz. Das tat allerdings auch die mittlerweile nicht mehr so ganz ungepflegte Begrünung, welche ungefähr die Hälfte des Kennedyplatzes einnimmt. Mit von der Partie sind noch eine Litfaßsäule, eine öffentliche Ein-Mann-/Frau-Toilette und seit Mitte März 2012 auch drei große Skulpturen, welche für drei Jahre in die Grünfläche integriert worden sind. Die Skulpturen und der plötzliche Begrünungswandel hängen eng mit der noch bis 09. September laufenden „Georg von Kovats“-Ausstellung im Kunst Archiv zusammen.

Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Natürlich gibt es noch viele weitere Unorte in Darmstadt. Ein aufmerksamer Leser – vielen Dank an dieser Stelle! – berichtete uns darüber, dass die Stadt Darmstadt lieber Geld einsacke anstatt den Geschäften entgegenzukommen, die gewisse Plätze wieder begehbar machen wollen. So begehbar, dass man beim Überqueren nicht Gefahr läuft, sich eine Netzhautablösung zuzuziehen. Als Beispiel nannte er den kleinen, runden Platz in der Schustergasse vor dem Musikhaus Crusius unweit der „Krone“. Dieses Gässchen ist schmal und sehr verwinkelt, die Geschäfte drängen sich dicht an dicht aneinander. Sonnenlicht ist hier durch die hohen Gebäude auf dem Platz ein rares Gut, weswegen die Luft oft kühl ist – was im Sommer jedoch eher ein Vorteil sein kann.

Unorte sind überall zu finden. Sie verstecken sich – oder machen sich dort breit, wo ihnen die größtmögliche Abneigung zuteil wird. Eine Stadt ohne diese „Flecken“ ist undenkbar. Eine perfekte Stadt gibt es (glücklicherweise) nicht. Und selbst jedes Dorf, jedes kleine Kaff hat Unorte. Ohne sie wäre es auch irgendwie langweilig. Da hat man wenigstens was zu lästern.