Unmittelbar nach dem Amtsantritt von Hans Kessler als Präsident des SV Darmstadt 98 sind damals viele gute Dinge in und um den Verein passiert. Aber nur die aufmerksamen Beobachter registrierten das wirklich Besondere: einen Holzkohlegrill. Eigentlich gibt es so was gar nicht mehr in deutschen Fußballstadien, meist werden dort die Wurst- und Fleischwaren in verranzten Fettwannen heißgebadet. So ein wabbeliger Phosphat-Stengel erinnert irgendwie immer an Sortimente des Spezialversenders Orion.
Oder es gibt alberne Elektrogrills, Authentizitäts-Attrappen, sozusagen der Frauenfußball des Grillens. Wer sich daheim einen Elektrogrill hinstellt, der hält auch Walking für eine Sportart. In Thüringen, wo die Menschen mit Bratwürsten in der Hand auf die Welt kommen, soll es ja Kommunen geben, wo das Grillen mit solchen Geräten als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Aber am Böllenfalltor gab es quasi über Nacht das Echte, das Gute, das Wahre: besagten Holzkohlegrill. Mit richtiger Glut und gerösteten Würsten, die nach Feuer und Rauch schmeckten und allein den Besuch im Stadion rechtfertigten. Wir wussten: Dieser Verein hat eine große Zukunft.
Doch irgendwann, oh weh – der Grill war verschwunden. Der Fettwannenimperialismus schien gesiegt zu haben. Aber weil auch große Männer ihre kleinen Träume pflegen, wünschten wir uns seitdem, dass die Holzkohle wieder glühen möge. Wir ließen nichts unversucht, als letztes Mittel hätten wir einen Sternmarsch initiiert, damit kennt man sich ja aus am Böllenfalltor.
Und dann kam dieser beißend kalte Tag im Februar, als Darmstadt und Wehen auf dem Betonrasen eine Art Fußballspiel veranstalteten und Gino Lettieri den „Lilien“ wieder einmal eine lange Nase machte. Ach, wen interessiert schon das 1:0 seiner Wehener Mannschaft? Denn auf einmal entdeckten auch wir ihn endlich wieder: DEN HOLZKOHLEGRILL! Die Glut leuchtete rubinrot, Puderzucker-ähnlich hatte sich weiße Asche über die Briketts gelegt, wie in einen dicken Mantel hüllten wir uns in die Wärme, es roch nach Feuer und Rauch – und auf dem Gitter lagen sie, die gerösteten Würste, so knackig, so verführerisch. 2,50 Euro kostete das kleine Glück, in das wir gierig bissen.
Auf Holzkohle gegrillte Würste sind etwas Magisches. Das beweist ein Blick ins Jahr 1450: Der Kurfürst von Sachsen wollte damals die thüringische Stadt Stadtilm erobern – kam aber nicht voran. Die Stadt sollte ausgehungert werden, und die Stadtilmer hatten noch genau ein Schwein. Daraus fertigten die Menschen Bratwürste, legten sie auf den Grillrost, so dass er von den bösen Sachsen gesehen werden konnte. Der fette Duft der krossen Würste schien die Sinne der Feinde zu verwirren. Man glaubte, Stadtilm sei voll von Lebensmitteln, hatte bald selber keine mehr – und zog wieder ab.
Es liegen derzeit keine Informationen vor, ob es heute sächsische Kurfürsten gibt, die das Böllenfalltor einnehmen wollen. Sollten sie derlei planen – sie werden keine Chance haben, denn der fette Duft der krossen Stadionwürste wird sie um den Verstand bringen. Und deswegen ganz ausdrücklich, und so oft Sie wollen: Danke, Hans Kessler … danke, dass Sie uns die Glut zurückgebracht haben.