Foto: Cora Trinkaus

Die barocke, symmetrisch angelegte Parkanlage der Orangerie im Herzen Bessungens war früher nur der höfischen Gesellschaft vorbehalten. Erst um 1802 erhielt die Öffentlichkeit Zugang. So können sich heute Darmstädter sowie Touristen auch bei Festen und Veranstaltungen – die hoffentlich bald wieder möglich sind – des repräsentativen Stadtparks erfreuen.

Im Sommer, wenn die Blumen blühen und die Orangerie durch ihre Palmen und Orangenbäume ein mediterranes Flair nach Darmstadt bringt, sitzt Elsbeth dort gerne auf einer Bank und genießt die Sonnenstrahlen. Hinter der Mauer der Orangerie in der Klappacher Straße, wo noch viele alte Häuser stehen, wohnt sie mit ihrem Mann Gerhard in einem kleinen, bereits 1883 erbauten Haus.

Ein Haus mit Geschichte

Als Gerhard ein halbes Jahr alt war, zog er mit seiner Familie von Norderney in das kleine, heute 225 Quadratmeter große Haus. Elsbeth stammt ursprünglich aus Arheilgen. Gemeinsam lebt das 81-jährige Ehepaar dort seit Anfang der 60er-Jahre.

Das alte Häuschen mit seinem Altbaucharme erzählt Geschichten vergangener Jahre – wie auch die Einrichtung der unteren Etage, die vom Rentner-Ehepaar selbst bewohnt wird: Antike Möbelstücke werden hier mit modernem Mobiliar kombiniert. Im schwarzen „Billy“-Regal findet man Bücher der Weltliteratur, alte Reiseführer, Geschichtsbücher sowie zahlreiche Reisemitbringsel aus aller Welt – wie zum Beispiel auf der oberen Ebene des Regals Kannen aus der Türkei, Ägypten und China oder kleine Nachbildungen der Terrakottakrieger aus Xi’an.

 

Foto: Cora Trinkaus

Leben und Arbeiten

Das kulturinteressierte Ehepaar hat schon sehr viel von der Welt gesehen. Bei Elsbeth fing das Fernweh bereits in jungen Jahren an. Nach der Schule war sie für mehrere Monate als Au-Pair in verschiedenen Familien in Frankreich. Danach arbeitete sie als Nanny in London bei einer griechischen Familie. Dort lernte sie Französisch und Englisch. Später noch weitere Sprachen.

Ende der 50er-Jahre arbeiteten Elsbeth und Gerhard für die US-amerikanische Tageszeitung „Stars and Stripes“ (für die Truppen der US-amerikanischen Streitkräfte) in Griesheim. Hier lernten sie sich auf einer Faschingstanzveranstaltung kennen. Später wirkte der gelernte Betriebswirt Gerhard im sozialen Bereich für die „Darmstädter Werkstatt für berufliche Rehabilitation“ und half dort Menschen, die nach einer psychischen Erkrankung Probleme hatten, in die allgemeine Arbeitswelt zurückzufinden.

Elsbeth arbeitete die letzten 20 Jahre bis zur Rente als Bereichssekretärin für theoretische Physik bei der GSI (GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung) in Wixhausen. Dort betreute sie auch das Internationale Studentenprogramm. „Das hat unser Leben nachhaltig beeinflusst. Dort arbeiteten Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Viele Freundschaften entstanden dadurch“, so Gerhard. Manchmal kamen Studenten aus China oder Russland für acht Wochen nach Darmstadt. „Es hat viel Spaß gemacht. Viele waren auch bei uns zu Hause, haben mit uns gekocht und wir haben Weihnachten zusammen gefeiert. Wir waren wie eine Familie“, erzählt Elsbeth. „Wir waren schon immer ein offenes Haus. Das war auch schon bei meinen Großeltern so“, ergänzt Gerhard.

 

Foto: Cora Trinkaus

Dank Reisen: weltweite Kontakte

Über die Jahre entstanden so weltweite Kontakte und Gelegenheiten, diese in ihrer Heimat zu besuchen. Das Ehepaar reiste durch Russland, mit dem Rucksack durch Indien, China oder die USA, Südamerika und Europa. Ob mit Kindern zum Campingurlaub nach Marokko, eine Kanutour durch Frankreich oder wie noch vor vier Jahren alleine mit dem One-Way-Ticket nach Santiago de Compostela. „Ach, wir haben schon so viel erlebt“, schwärmt Elsbeth. „Wir hatten nie Angst auf Reisen. Wir dachten immer: Irgendwie wird’s schon werden. Hatten auch nie viel Geld, aber wir waren auch nie so anspruchsvoll in Bezug auf die Unterkünfte oder die Transportmittel.“

Doch gutes Essen war den beiden immer wichtig. Ob in guten Restaurants in ihrem „geliebten Paris“ oder auf „Potluck Dinner Partys“, die sie jahrelang mit Freunden bei wechselnden Gastgebern veranstalteten. Bei dem Brauch, der aus den USA stammt, bringt jeder Teilnehmer ein Gericht zu einem bestimmten Thema mit. So kommt ohne größeren Aufwand eine Vielfalt an Speisen zusammen.

 

Foto: Cora Trinkaus

Der besondere Anbau – mit Parkett aus der „Bessunger Hall“

Die „Potluck Partys“ fanden oft im wintergartenartigen Anbau des Ehepaares statt, der hauptsächlich als Wohnzimmer dient. Die Fenster sind so konzipiert, dass zu jeder Tageszeit Licht in den 40 Quadratmeter großen Raum fällt. Nur auf der Nordseite des Hauses befinden sich keine Fenster. Der Anbau, der 1997 fertiggestellt wurde, hat noch eine Besonderheit: Er ist mit ehemaligem Parkettboden der Bessunger Turnhalle ausgelegt. Etwa zur selben Zeit wurde der Sportbetrieb in „der Hall“ eingestellt und das Gebäude für den Theater- und Varietébetrieb – der heutigen Comedy Hall – umgebaut. Der alte Boden der Turnhalle musste raus und lag schon draußen zur Abholung für die Müllverbrennungsanlage bereit. Gerhard, der gerade zufällig mit dem Fahrrad vorbeifuhr und fragte, was nun mit dem Boden geschehe, organisierte einen Lkw und lud den Boden kurzerhand ein. In Feinarbeit wurde das Parkett gesäubert und liegt nun als Teil Darmstädter Geschichte im Wohnzimmer des Ehepaares.

Zahlreiche Gemälde zieren den lichtdurchfluteten Raum. Als Gerhard 2015 wieder mit dem Malen anfing, nutzte er den Raum als Atelier. Heute wirkt das Wohnzimmer fast wie eine Galerie. Im ganzen Haus sind um die 90 Acrylbilder verteilt, denn der Maler kann sich von keinem seiner Werke trennen. So kann man seine abstrakten Gemälde, die oft schnell mit Pinsel, Kamm oder Spachtel entstanden sind, bis jetzt nur online als Kunstdrucke erwerben.

Vor Corona hat das Ehepaar noch viel in Darmstadt und Umgebung unternommen. „Wir waren gerne im Theater, auf Konzerten, haben getanzt, waren im Café, sind mit dem Fahrrad zum Woog gefahren oder haben uns mit Freunden getroffen. Das vermissen wir schon sehr“, so Elsbeth.

Manchmal ging es spontan mit dem Bus von Darmstadt nach Paris. Auch die gute Anbindung zum Flughafen machte das Reisen für das Ehepaar komfortabel. Elsbeth und Gerhard sind froh und dankbar, schon so viel von der Welt gesehen zu haben. „Das ist das Schöne, dass wir hier all diese Möglichkeiten haben. Es gibt hier auch in der Umgebung so unheimlich schöne Sachen. In Darmstadt gefällt mir fast die Schulstraße am besten, mit den kleinen Innenhöfen“ erklärt Elsbeth. „Es könnte fast eine Straße irgendwo in Paris sein“, führt Gerhard fort. „Wir wohnen hier nicht nur, wir leben hier“, betont er.

Im oberen Teil des Hauses befinden sich noch zwei kleine Wohnungen, die regelmäßig vermietet werden. Oft haben ausländische Wissenschaftler der GSI dort gewohnt. Wissenschaftler aus Sardinien, Tokio, Neapel, St. Petersburg oder Indien. Manche blieben kürzer, manche länger.

Der kleine Garten, der nach hinten rausgeht, ist im Sommer ein von Elsbeth geliebter Ort. Hier ist es durch die schattenspendenden Bäume nie zu heiß. Später, wenn es innen kühler wird, sitzt sie besonders gerne im Wohnzimmer auf dem Sessel vor dem Fenster – mit Blick auf die Orangerie genießt sie bei einem guten Buch die Abendsonne.

 

Wie wohnt Darmstadt? Bitte melden!

Möchtest Du Dein besonders schönes, gemütliches oder extravagantes Zuhause mit den Lesern des P-Magazins teilen (nur optisch, versteht sich)? Oder kennst Du jemanden, der außergewöhnlich wohnt (was die Einrichtung, den Ort oder die Wohnform betrifft)? Dann schreib uns eine Mail an redaktion@p-verlag.de!