Alle gratulieren der Centralstation zum Geburtstag – das P natürlich auch. Und wir fragen: Wie geht es den beiden Initiatoren und Geschäftsführern Alexander Marschall und Michael Bode mit ihrem zehn Jahre alten Baby? Von Anfang an verstanden sie sich als „städtische Dienstleister“, sagen sie. Wollten sich bewusst nicht einmischen in Bestehendes, sondern die vorhandenen Strukturen ergänzen. Und so sehen sie sich auch heute noch: Als Anschieber. Als Vorbereiter und Möglichmacher.
Wir erinnern uns: Am Anfang war das Café Kesselhaus. 1989 von Alexander Marschall und Michael Bode-Böckenhauer mit ins Leben gerufen, war der Club zehn Jahre lang eine angesagte Location in der „freien Szene“ des Rhein-Main-Gebiets. Damals gab es in Darmstadt noch nicht viele Ausgeh-Möglichkeiten, das Angebot beschränkte sich eher auf die Hochkultur – und so wurde das Café schnell zum beliebten Konzert- und Partyraum. Als die Stadt dann Ende der Neunziger überlegte, was aus der „Halle B“ der ehemaligen Heag-Hallen im heutigen „Carree“ werden solle, fragte man auch die Kesselhaus-Betreiber nach ihren Ideen. Die waren beeindruckt vom ersten Ortstermin, ihnen kam die riesige alte Maschinenhalle wie eine Kirche vor und für beide war klar: Ein großer Saal für große Konzerte – genial, denn so was gab es bis dahin nicht in Darmstadt. Zu dieser Zeit waren aber auch noch ganz andere Konzepte im Gespräch, unter anderem eine Schwimmoper, eine Stadtbibliothek, ein Industriemuseum oder ein selbstverwaltetes Kulturzentrum. Den Zuschlag bekam dann Johnny Klinke mit seiner Idee eines Darmstädter „Tigerpalastes“, also: Varieté plus hochwertige Gastronomie. Aber Klinke sprang überraschend noch ab und schließlich erbten Alex und Michi seinen Rohbau – ihr neues Konzept musste sich jetzt nach den bereits veränderten, vorhandenen Räumlichkeiten richten.
Der flexible Raum als Konzept
Die Darmstädter Kultur-Situation, die Innenstadtlage, die Halle mit einer bereits eingezogenen Zwischendecke, die Betonwände auf halber Höhe für die geplanten Toiletten (dort, wo heute die Lounge der Centralstation ist) – das waren die Rahmenbedingungen. Gemeinsam mit dem Darmstädter Architektenteam Liquid ist daraus das Konzept Vielfalt entstanden, mit zwei Veranstaltungsräumen, die parallel genutzt werden können, mit ganztägiger Gastronomie, einer zusätzlichen Lounge-Bar – und mit unterschiedlichstem kulturellen Angebot. Ein Veranstaltungsort und Treffpunkt, als Motor für die gesamte Innenstadt. Basis dieser Idee war das Raumkonzept, und ein wichtiger Baustein für die vielseitige Nutzung ist nach wie vor die flexible Bar in der Halle (im Erdgeschoss): Sechs Tonnen schwer, kann man sie mit acht Leuten innerhalb von zehn Minuten verschieben und so fünf bis sechs unterschiedliche Raumsituationen schaffen, je nach Anforderungen des Events.
Der Preis der Vielfalt
Die Centralstation wird als Kulturbetrieb von der Stadt gesponsert. Nur so ist es möglich, ein Programm für dermaßen viele verschiedene Zielgruppen anzubieten, denn manche der Programmpunkte rechnen sich eben nicht. In Zahlen: Aktuell werden von der Stadt 550.000 Euro jährlich zugeschossen, das sind knapp 20 Prozent des Gesamtbudgets. Weitere 10 Prozent kommen vom langjährigen Hauptsponsor HSE und weiteren Partnern, der Rest über den Ticketverkauf und die Gastronomie. Wenn es so viel Geld von außen gibt, warum ist der Eintritt dann oft so teuer?, fragt man sich als unwissender Gast. „Weil“, so erklärt es Michi, „ein Haus in dieser Größenordnung eben keine Band für sieben Euro Eintritt spielen lassen kann. Der Abend, der Betrieb muss sich rentieren, die Nebenkosten wie Technik, Catering etc. müssen über den Eintritt eingespielt werden. Die Größe der Halle bestimmt also das Format der Künstler – daraus ergeben sich dann die Eintrittspreise.“ Und auch das viel gelobte Raumkonzept hat seine finanziellen Nachteile: Die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten produzieren Kosten. Da langt es nicht, nach der Veranstaltung mal eben auszufegen. Stattdessen muss umgeräumt und umgebaut werden – das macht Arbeit. Dazu kommen die baulichen Bedingungen: Es gibt zum Beispiel sehr viele Notausgänge, die müssen bei Rock- und Pop-Veranstaltungen alle gesichert werden. Da kommen schnell zwölf Türsteher zusammen, und die arbeiten ja auch nicht umsonst.
An der Centralstation wird man sich also nie eine goldene Nase verdienen können. Stattdessen gibt’s manchmal schlaflose Nächte gratis: Zum Beispiel 2001 und 2005, als alles auf der Kippe stand. Und auch noch, wenn – wie 2008 – das Budget verplant ist und dann im Oktober rückwirkend der Zuschuss um zehn Prozent gekürzt wird. Finanzielle Verantwortung und entsprechenden Druck muss man als Geschäftsführer eines solchen gemeinnützigen Kulturbetriebs aushalten können. Spaßig ist das aber natürlich nicht immer.
Was hält Michi und Alex trotzdem bei der Stange? Schließlich sind auch sie älter geworden und tanzen heute nicht mehr in der ersten Reihe vor der Bühne, wie noch damals im Kesselhaus. Wäre rein konditionell auch nicht mehr machbar, stellt Michi fest, als Vater von zwei Kindern und mit einem Fulltimejob. „Wenn ich abends alle Konzerte besuchen würde, könnte ich tagsüber meinen Job nicht mehr machen. Das ist ein knallharter Management-Job geworden. Aber ich muss auch nicht mehr auf jedes Konzert, wir sind ja gar nicht so die totalen Musikfreaks. Uns macht es eben Spaß, etwas zu ermöglichen.“
Eine Frage der Leidenschaft
Als Geschäftsführer der Centralstation sitzen Michi und Alex eher im Büro als an der Theke. Ein gelungener Abend wird jetzt also oft nur anhand von Zahlen gemessen – fühlt sich das denn noch echt an? In den Zeiten vor der Centralstation haben sie Konzerte für den eigenen Musikgeschmack veranstaltet, das Programm mitgelebt. Das geht bei einem Haus wie der Centralstation natürlich nicht. Dafür gibt’s hier ein Team mit Leuten, von denen jeder einzelne seinen Bereich liebt und lebt, für jeden Bereich den Herzblutspezialisten. Und wenn dem die Augen funkeln, wie Michi sich ausdrückt, weil er DEN angesagten Lieblingskünstler für einen Gig gewinnen konnte, „dann strahlt das auf mich über, dann freu’ ich mich auch. Echt.“
Und Alex ergänzt: „Wir machen das – trotz des Drucks und des großen persönlichen Einsatzes – auch weil wir daran interessiert sind, neue Sachen auszuprobieren. Manchmal komme ich mir vor wie ein Forscher, denn es geht um die Sache, ums Weiterkommen, ums Lernen.“ Und Michi stimmt ein: „Ja, dass wir selber immer noch was lernen. Dass es sich bewegt, dass wir selbst etwas bewegen können.“
Keep on moving
Überhaupt ist Bewegung ein wichtiges Stichwort. Sehr viel Initiative kommt von den Mitarbeitern, aber auch Anregungen aus dem gesamten Umfeld werden aufgegriffen. Außerdem stehen rund fünfzig Institutionen und Organsationen auf der Kooperations-Liste – vom Halbneun-Theater über Amnesty International bis zur Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Da gibt es viele Querverbindungen – geht ja auch nicht anders in einer kleinen Stadt wie Darmstadt. Alex betont noch einmal, dass sie Motor sein wollen für neue Ideen, offen in alle Richtungen. Und Michi gibt zu, dass es auch hier eine Veränderung gegeben hat und dass die vielleicht etwas mit dem Älterwerden zu tun habe. Dann muss man nämlich nicht mehr alles selber ausprobieren. Sondern kann auch mal schön im Hintergrund die Bedingungen dafür schaffen, dass andere aktiv werden wollen. Apropos im Hintergrund: Weil die beiden nur ungern im Rampenlicht stehen, passiert es durchaus, dass sie von ihren eigenen Mitarbeitern nicht erkannt werden. Zumindest von den Aushilfskräften. Und so geschah es neulich, dass das Einlasspersonal ihrem Chef Alex bei einer Veranstaltung den Eintritt verwehren wollte. Das nur mal am Rande.
Nicht die Centralstation ist die Bühne
In den letzten zehn Jahren hat sich einiges verändert in Darmstadt. Mal abgesehen davon, dass die Sperrzeit abgeschafft wurde – die Älteren unter uns erinnern sich: es gab eine Zeit, da war um 1 Uhr Schicht! Heute gibt es auch viel mehr Locations, gerade in der Innenstadt. Das Konzept der Centralstation ist also aufgegangen, eine Kettenreaktion hat stattgefunden, ein dynamischer Prozess. Und überhaupt, sagt Michi, sei nicht die Centralstation die Bühne, sondern Darmstadt. Es gehe ihnen nicht um das Haus, sondern um die Idee. Und darum, dass sich der Darmstädter mit dieser Idee identifizieren kann. Im Moment sei man bemüht, irgendwas auf dem verlassenen Kasernengelände zu veranstalten und dadurch – wieder mal – neue Räume zu öffnen. „Vielleicht entsteht da eine neue Keimzelle und man kann etwas wachsen lassen“, sagt er, „das müssen ja nicht wir sein.“ Wir dürfen also gespannt sein, was in Zukunft noch so passiert. Und wer wohl wo aktiv wird.
Letzte Frage an die beiden, schon im Gehen: Und was wünscht Ihr Euch zum Geburtstag? Michi ruft spontan: „Herbie Hancock in der Centralstation, das wär’ super!“ Dann aber gleich wieder im Dienst der Sache: „Dass sich alles weiter bewegt. Dass wir nicht stehen bleiben.“