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Foto: Jan Ehlers

Das 603qm – für Insider: „auf 603qm“ – öffnete seine gelben Pforten im Jahr 2003. Ende Dezember 2011 scheint das Kapitel – was den Nachtbetrieb angeht – vorerst beendet: wegen Lärmbeschwerden und einer lückenhaften Konzession. Wie kam es dazu? Und wie geht es weiter? Rückblick, Interpretationen und Einblicke eines langjährigen Mitstreiters.

Unter erfahrenen Kulturmachern gilt die Regel, dass die Halbwertzeit eines Clubs plus/minus fünf Jahre beträgt. Danach geht es „bergab“, denn der Charme eines – zu Beginn – neuen, zeitgemäßen Konzepts ist verbraucht, die anfängliche Euphorie verebbt. Das Publikum, meist eine neue Generation, dürstet nach einem Tapetenwechsel – inhaltlich wie äußerlich. Die These ist vage und von weit mehr Rahmenbedingungen abhängig – plus der Frage, was überhaupt als Club definiert wird. Und es gibt Ausnahmen, die sich 20 Jahre oder länger halten – exemplarisch Schlosskeller oder Goldene Krone. Aber im Kern stecken richtige Erkenntnisse in dieser These der Halbwertszeit, denn auch genannte Ausnahmen durchliefen Zyklen mit sprichwörtlichem Leerlauf, die fast zur Pleite geführt hätten. Nur mit viel Durchhaltevermögen und teils radikal neuen Konzepten schafften es diese kulturellen Institutionen Darmstadts, wieder auf die verdiente Erfolgsschiene zu gelangen. Wendet man im Falle des 603qm die Halbwertzeit an, so ergäbe sich ab dem Jahr 2008 eine Art Kehrtwende. Spätestens ab 2009, als auch ich noch in verantwortlicher Position tätig war, kulminierten einige verlustbringende Faktoren.

Vom Experiment zum Kulturbetrieb

Die Idee, das ehemalige Maschinenbau-Gebäude namens Stoeferlehalle (benannt nach einem Professor) für studentisches Kulturleben zu reaktivieren, entstand bereits im Jahr 1997 – mit wohlwollender Untersützung von Seiten der TU-Führung (damals TU Präsident: Johann-Dietrich Wörner). Erst sechs Jahre später war das innenarchitektonisch und programmatisch ambitionierte Konzept reif für die öffentliche Umsetzung. Anfänglich war es ein Konzept auf Zeit, ein Experiment. Aber das 603qm öffnete zum richtigen Zeitpunkt und stieß in ein Vakuum der Nachtkultur in Darmstadt. Nach dem Ende des inhaltlich ähnlich ausgerichteten und überregional erfolgreichen Café-Kesselhaus im Jahr 1999 und den damals etwas angestaubten Konzepten der Krone und des Schlosskellers dürstete das Publikum nach einem Ort, der aktuelle kulturelle Strömungen aufgriff und neuartig umsetzte.

In den ersten Jahren schossen die Besucherzahlen in die Höhe und aus einem studentischen Projekt wurde ein städtischer „Platzhirsch“, der anderen Lokalitäten das Publikum „wegfraß“. Obwohl in der Darmstädter Kulturszene – im Gegensatz zu anderen Städten – eher ein Mit- oder zumindest Nebeneinander als ein Gegeneinander vorherrscht, war dies nicht immer wohlgelitten. Aber die Erfolge rechtfertigten den Status. Lokale, nationale und internationale Künstler aller Couleur fanden den Weg nach Darmstadt und trafen auf ein begieriges Publikum. Das 603qm wurde aus der ganzen Region frequentiert und sogar landesweit wahrgenommen.

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Foto: Jan Ehlers

Duldung statt Konzession

Das städtische Ordnungsamt hatte schon vor Jahren einige bauliche Maßnahmen angemahnt, die zwar nicht gravierend, aber für eine dauerhafte Konzession unumgänglich waren – und noch sind. Die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten bezüglich des 603qm waren aber oft ein Hindernis: Die technische Universität, als Eigenümer der Halle zuständig für Baumaßnahmen, war mit anderen Großbaustellen auf dem TU-Gelände belastet, so dass die Bauanträge des 603qm jahrelang auf dem Schreibtisch des TU-Baudezernats ruhten (dieser Umstand war dem Ordnungsamt bekannt, daher gab es eine jahrelange „Duldung“, obwohl die Auflagen für die Konzession vom 603qm nur partiell erfüllt werden konnten). Womöglich war dies auch Kalkül der TU-Führung, da für den Standort immer schon andere Pläne vorlagen und es daher nie eine dauerhafte Nutzungsgenehmigung für das 603qm gab. Mit größeren Investitionen hätte man da, so wohl der Glaube, falsche Signale ausgesendet und Geld „verschleudert“.

Der Allgemeine Studierendenausschuss der TU Darmstadt (AStA), als Träger des Projekts quasi Arbeitgeber, Finanzier und nach außen hin hauptverantwortlich, wechselt turnusgemäß jährlich, manchmal sogar halbjährlich. Immer neue AStA-Ansprechpartner, die die internen Abläufe nicht kannten und sich erst mühsam einarbeiten mussten, konnten oft bis Turnusende im besten Falle verwalten, im schlechtesten – ohne wirklichen Einblick – Fehlentscheidungen treffen. Aber ein Vorwurf ist der Umstände wegen kaum zu erheben, zumal der AStA selbst unter argen Finanzproblemen litt und mit Themen wie den Studiengebühren anderweitig in Beschlag genommen war.

Die interne Struktur des 603qm war auch durchaus kompliziert. Das Projekt war von den Statuten her nie gewinnorientiert, die Gehaltsstruktur für alle Angestellten gleichermaßen niedrig. Es gab Bereichsleiter, zuständig für die Umsetzung von Beschlüssen. Die programmatischen Entscheidungen fielen aber zumeist basisdemokratisch in Gruppen des „Arbeitskreises Stoeferlehalle“. Das war oft anstrengend und nicht immer produktiv – je nach Standpunkt. Interne Streitigkeiten und eklatantes Fehlverhalten einiger Personen führten gerade 2009 zu zeitweisen Dissonanzen. In der Anfangsphase gab es noch ein hohes ehrenamtliches Engagement, dies ließ mit der Zeit stark nach. Man wurde – gezwungenermaßen – professioneller, aber nicht immer sympathischer. Ein leider trotzdem notwendiger Schritt, um Abläufe zu verbessern.

Sorgloses Haushalten

Bei Veranstaltungen galt das Prinzip der Querfinanzierung: Gewinnträchtige Veranstaltungen sollten qualitativ wichtige, aber weniger besuchte Events finanziell decken. Das klappte in der Hochphase vermeintlich gut, da viele Deckungsbeiträge erzielt wurden. Aber es wurde in den ersten Jahren – vor allem durch eine mangelhafte Steuerberatung – recht sorglos gehaushaltet. Erst ab 2006 gab es konkretere Finanzdaten und schon im 603qm-Haushalt 2007 zeigte sich, dass eine Kulturhalle dieser Größe und mit einem genreübergreifenden Konzept per se subventionsbedürftig ist (siehe auch Black Box zur Centralstation in der P-AusgabeJuli/August 2011).

Neben- und Fixkosten waren schlicht zu hoch. Insbesondere das flexible Raumkonzept, die Halle für jedes Event variabel auf- und abzubauen, war charmant, aber äußerst kostenträchtig. Es mehrten sich Vorwürfe von außen, es würde dilettantisch gehaushaltet. Dies war auch den genannten Umständen geschuldet. Und die zumeist aus Studenten zusammengesetzte Belegschaft – eine Vorgabe des AStA – verfügte sicher nicht in allen Bereichen über ausreichend Fachkenntnis. Ab 2009 wurden die Daumenschrauben endültig angezogen, das Programm zusehends abgespeckt, die Kosten minimiert. Der anfänglich sympathisch-raue Charme wandelte sich zusehends in ein schmuddeliges Image, da nur noch ausgebessert, nie nachhaltig renoviert werden konnte.

Und es wurde teilweise verschlafen, auf eine veränderte Konkurrenzsituation zu reagieren. Darmstadt als eher mittelkleine als mittelgroße Stadt hat nur ein begrenztes Reservoir an „Zielpublikum“. Schlosskeller und Krone runderneuerten sich erfolgreich, mit dem Level 6 etablierte sich auf dem techno/house-Sektor nach langer Durststrecke ein qualitativ ähnlich guter Nachbarclub – und mit Weststadtcafé, Neuwiesenweg, Magenta, Oetinger Villa, Knabenschule, Centralstation und weiteren Lokalitäten gab es weit mehr Vielfalt im Nachtleben. Die Konzentration auf Großveranstaltungen oder nur „namhafte“ Bookings im 603qm ging zu Lasten des ursprünglichen Konzepts. Die Gesamt-Besucherzahlen gingen zurück. Nachfolgende 603qm Teams haben noch mit diesen Altlasten zu kämpfen. Seit einigen Monaten zeichnet sich hier aber durch neues Engagement und viel Kreativität eine positive Trendwende ab. Es wäre schade, wenn dies nun im Keim erstickt würde.

Lärmbeschwerden häuften sich

Der Bau des „Welcome Hotel“ Ende 2007 bedeutete eine weitere Zäsur. Es kam zwar nicht zum schnell erwarteten Ende des 603qm, da die Geschäftsführung des Hotels sich von Beginn an gesprächsbereit zeigte.

Ein sehr löblicher Aspekt. trotzdem mussten Kompromisse geschlossen werden, die vor allem bedeuteten, aus Lärmschutzgründen deutlich häufiger in den „schwierigeren“ Hallenteil auf 231qm zur Alexanderstraße hin auszuweichen. Atmosphärisch und akustisch war dieser Bereich nur bei Großveranstaltungen sinnvoll zu nutzen, bei kleineren Events wirkte die halle nun eher halbleer als halbvoll. Und das sprach sich rum – ein verheerender Effekt, denn negative Stimmung potenziert sich wie positive schnell um ein Vielfaches. Außerdem häuften sich nun Lärmbeschwerden von Anwohnern der Alexanderstraße. natürlich muss im innerstädtischen Bereich nachtkulturelles Leben möglich sein, denn dies zeichnet die Attraktivität einer Stadt gerade für Jüngere entscheidend aus. Es steht aber außer Frage, dass Lärmbeschwerden ernst genommen werden müssen. Es besteht ähnlich wie bei der Diskussion um den Fluglärm des Frankfurter Flughafens ein Anrecht auf eine angemessene Nachtruhe. Wer im innerstädtischen Bereich wohnt, muss gewiss Abstriche machen, aber eine basslastige Beschallung ist sicher nicht permanent zu verkraften. Die sehr schlichte Architektonik der Halle war nie auf Lärmschutz ausgerichtet. Eine derartige Investition hätte nahezu sechsstellig ausfallen müssen.

Neubau oder Umzug?

Aktuell, so bekunden TU und 603qm in einer gemeinsamen (!) Presseerklärung, arbeitet man an Lösungen. Als Zwischenlösung: Cafébetrieb – und vielleicht Sonder-Konzessionen für einzelne Partys und Konzerte (das städtische Ordnungsamt zeigt hier auf P-nachfrage zumindest Gesprächsbereitschaft). Als langfristige Lösung: wohl letztlich Neubau oder Umzug. Die Rückendeckung der TU-Führung scheint zumindest jetzt wirklich nachhaltig. Es sind nicht nur Arbeitsplätze betroffen. Es ist der TU-Leitung wohl auch bewusst geworden, dass das 603qm ebenso wie der Schlosskeller eine deutliche Bereicherung für das studentische Leben verkörpert und als Faktor in der ganzen Stadt und Region wahrgenommen wird. Welche Universität kann sich schon rühmen, zwei qualitativ hochwertige Kulturorte zu beheimaten. Ein klarer Standort-Vorteil.

Das hat man wohl auch von Seiten der Stadtoberen erkannt: „Der Stellenwert des 603qm ist für das kulturelle Leben der jungen Darmstädterinnen und Darmstädter hoch einzuschätzen, insofern bedauere ich es, dass es zu der Schließung kommen musste“, erklärt Kulturdezernent und Oberbürgermeister Jochen Partsch auf P-nachfrage.

Würde die Kulturhalle 603qm dauerhaft schließen, ginge ein wichtiges Segment im Kulturleben Darmstadts verloren. Es ist nur die Frage, ob ein runderneuertes oder ein gänzlich neues Kapitel aufgeschlagen werden sollte.

www.facebook.com/603qm

(Der Autor Tobi Moka war von Dezember 2004 bis Januar 2010 einer der Programmgestalter/Booking und zuständig für Presse/Öffentlichkeitsarbeit)