Manche Symbole, Bilder und Figuren zirkulieren schon so lange und sind so allgegenwärtig, dass es schwerfällt, sie anders oder neu zu denken. Die Figur der Justitia gehört definitiv zu diesem erlauchten Kreis. Sie hat ihren Ursprung in der griechischen Sagenwelt, begleitet die Menschheit schon seit Jahrtausenden als Symbol für Gerechtigkeit und hat es dank der Kolonialbestrebungen unserer europäischen Vorfahren selbst auf andere Kontinente geschafft.
Auch hier im beschaulichen Darmstadt gibt es eine Justitia, beeindruckend groß sogar, nur leider vermitteln sich ihre Dimensionen kaum, weil sie und ihre beiden Begleiter unzugänglich auf einem Dach ruhen, fern vom Trubel der Gehwege. Über die Wahl der Position lässt sich streiten, sie sorgt in jedem Fall nicht für ein Gefühl der Nahbarkeit. Was bei längerer Betrachtung aber für viel mehr Fragezeichen sorgt, ist ihre Augenbinde. Sie soll ein Zeichen dafür sein, dass Justitia sich auf dem Weg zur Gerechtigkeit nicht von Oberflächlichkeiten beirren lässt. Schön und gut, aber warum hat sie dann nicht auch Ohrstöpsel, um sich nicht von Lügen an der Nase herumführen zu lassen? Thema Nase: Eine Nasenklammer wäre auch nicht verkehrt, damit sie nicht versehentlich einen falschen Riecher entwickelt. Und für den Fall der Fälle sollte man ihren Bauch demontieren, denn Bauchgefühle haben bei Rechtsfragen sowieso nichts zu suchen. Übrig bleibt nach dieser sarkastischen Demontage nicht viel – aber vielleicht gibt gerade dies den notwendigen Raum, um über zeitgemäße Symbole nachzudenken, die keine Angst davor haben, tiefe Blicke in komplexe Sachverhalte und Konflikte zu richten.
Kunst im öffentlichen Raum
Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.