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Der Siegerentwurf des Berliner Architekturbüros Studioinges. Grafik: Studioinges

Die Diskussion um die städtebauliche Neugestaltung des Saladin-Ecks dauert mittlerweile länger als 1.001 Nacht. Ob sie wie im Märchen gut ausgeht oder noch Wunder passieren, steht in den Sternen. Der böse Hotelwolf wurde verjagt und die gute Baudezernenten-Fee hat zum Wettbewerb aufrufen lassen. Ein demokratischer Architekturwettstreit wurde ausgefochten, und nun prangt der Entwurf für das neue Gegenüber des Schlosses weiß und klar auf den Plänen. Doch ein (Groß-)Teil des Volkes mault und raunt und möchte die Suppe mal wieder nicht löffeln.

Aber nochmal von vorn: Es war einmal im Jahre 2009, da verkündete die Bauverein AG, das Nachbargrundstück der Goldenen Krone mit einem belanglosen 120-Betten Hotel bebauen zu wollen. Der fertige „Entwurf“ (nur eine Skizze der Fassade) wurde gleich mit veröffentlicht. Großer Aufschrei in der Öffentlichkeit! Selbst Uffbasse, CDU und FDP waren einer Meinung, nämlich dagegen. Der BDA und das P-Magazin (Ausgabe 20, Dezember 2009) forderten einen Wettbewerb an solch prominenter Vorzeigekurve mitten in der Stadt.

Ausschlaggebend war und ist: das Nutzungskonzept. Ein Bürogebäude steht abends leer und trägt nur bedingt zur innerstädtischen Belebung bei. Wohnungen oder Hotel halten den nächtlichen Partylärm der „Krone“ nicht aus. Die Gefahr des kulturellen Garaus für die Krone schwebt ohnehin über der gesamten Diskussion. Glücklicherweise fiel das Bauvorhaben beim Gestaltungsbeirat (den es in Darmstadt seit 2012 gibt) gnadenlos durch, und auch das Amt für Denkmalpflege veranlasste erst einmal eine Prüfung der Bebaubarkeit. Das Projekt verfiel in einen Dornröschenschlaf.

Ansehnliche Graffitti statt Rosen

Statt Rosen wuchsen ansehnliche Grafitti an den abgerockten Wänden der Nachbarn empor. 2014 wurde die Stadt Darmstadt mit neuer Baudezernentin Cornelia Zuschke dann aktiv und lobte einen internationalen Architekturwettbewerb aus. Am 20. September 2015 wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Und siehe da … the shitstorm goes on: Das Gebäude ist zu hoch, es ist zu kantig, es ist zu modern, die Fassade ist banal, das Satteldach fehlt, das stirnseitige Fenster ist zu groß, der Goldenen Krone wird kein Respekt gezollt, es hätte vielleicht ein bisschen mehr Schloss sein können, warum ein Wettbewerb, ohne die künftige Nutzung zu kennen und überhaupt …

Viele Bürger und Involvierte üben nun Kritik, äußern ihre Geschmackvorstellungen. Das erinnert an die Aufschreie, als das Museum-Sander-Projekt auf der Mathildenhöhe so lange unter öffentlichen Beschuss geriet, bis das Bauvorhaben eines Darmstädter Kunstmäzens gänzlich abgesägt wurde. Obwohl es auch hier einen Architektenwettbewerb mit namhaften Teilnehmern gegeben hatte. Darüber mag man denken, wie man will. Festzuhalten zur Saladin-Planung ist: Die Erfordernis städtebaulicher Qualität wurde erkannt und man hat mit dem Wettbewerb ein demokratisch legitimiertes Verfahren gewählt, um der Öffentlichkeit und Prominenz des Ortes gerecht zu werden. Es wurde ein Nutzungsmix gewählt, der unkonventionelles Wohnen und Arbeiten vorsieht.

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Block zur Holzstraße. Grafik: Studioinges
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Block zur Landgraf-Georg-Straße. Grafik: Studioinges

„Da knallt Darmstadt aufeinander!“

Der prämierte Entwurf des Berliner Architektenbüros Studioinges geht auf die Nachbarbebauung ein, indem er sich einerseits in seiner Höhenentwicklung den Nachbarn anpasst und gleichzeitig durch die abgerückten Obergeschosse der „Krone“ Luft zum Atmen lässt. Der Hochpunkt der Eckbebauung formuliert zusammen mit dem Ostflügel des Schlosses ein Tor zur Innenstadt. Der geplante Neubau fungiert als Mittler zwischen der heterogenen Architektur im Umfeld. Bei einem von der Stadt Darmstadt veranstalteten Diskussionsabend zum Thema „Architekturwettbewerbe“ Anfang Oktober wurde hinsichtlich des gewählten Entwurfs nochmals betont, weshalb das Saladin-Eck städtebaulich kein leichtes Unterfangen bedeutet. „Da knallt Darmstadt aufeinander!“, so die Architekturprofessorin Kerstin Schultz. Sie erkennt: „Topografische Probleme, unterschiedlichste Nutzungsthemen, 50er-Jahre-Architektur, das Schloss und eines der ältesten Gebäude der Stadt, ein kaum einbeziehbares Hinterland sowie Verkehrssituationen, denen man gerecht werden muss. Dieser Ort verlangt Respekt.“ Die Durchführung eines Architekturwettbewerbs, so ist sich die Mehrzahl der auf dem Podium versammelten Fachleute einig, erhöht in jedem Fall die Wahrscheinlichkeit, dass eine richtige Lösung gefunden wird. Denn das Besondere dieses Verfahrens ist es, dass örtliche Expertise auf Fachwissen trifft, dass zwischen Politik, Architektur, Investoren, Ingenieuren und anderen Beteiligten ein Diskurs entsteht.

Planungskultur mit haltbarem Konzept

Letztendlich hat sich die Stadt Darmstadt für ein Verfahren entschieden, das Planungskultur beweist, bei der es sich um ein haltbares Konzept handelt und die vor allem Offenheit demonstriert. Baukultur wurde lange Zeit in Darmstadt vernachlässigt und seit ein paar Jahren ändert sich das. Wünschenswert wäre es, den Diskurs um und über solche Entscheidungen in der Bevölkerung so zu vertiefen, dass sich die Dominanz von unqualifizierter Kritik verringert. Baudezernentin Cornelia Zuschke sieht dies jedoch gelassen: „Aus heftiger Reaktion kann auch liebevolle Zuneigung werden.“ Ergebnisse von Wettbewerben unter Einbindung von Architekturstudenten in der Stadt vorzustellen, könnte eine Maßnahme sein, um Architekturverständnis zu kultivieren.

Die Zeit der Märchenschlösser ist längst vorbei. Die Moderne wird auch vor den Toren des Darmstädter Marktplatzes nicht Halt machen. Oh Saladin, werde eine architektonische Erleuchtung. Wir wünschen es unserer Stadt.

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Der Entwurf mit roter Fassade erlangte auch Anerkennung.
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Der drittplatziere Entwurf wollte hoch hinaus.