Illustration: Pauline Wernig

Überschrift H2

Nachdem ich einen ruhigen Sommer hatte, die letzte Ausgabe von einer KI geschrieben wurde und ich jetzt hoch motiviert in die Herbstdepression starte, nutze ich das Momentum für die neue Folge meiner Kolumne. „Liebe Sarah, wann kommt denn die nächste Kolumne?“, werde ich gefragt. Ich heiße seit fast 36 Jahren Isa, aber so eng sehe ich das jetzt nicht. Als ich es aufkläre, haben wir das Thema: „Schreib doch darüber, was denn so alles zwischenzeitlich mal in Vergessenheit gerät.“

In Darmstadt passiert das auch, wenn man genau hinsieht. Hier wird sogar andauernd was Wichtiges vergessen. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kollektive Gedächtnislücken fallen mir ein: bezahlbarer, zentral erreichbarer Wohnraum für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Radwege, die keine Nahtoderfahrung mit sich bringen, wenn ebendiese urplötzlich und mitten auf einer Kreuzung enden, wo gerade noch mindestens eine rote Fahrbahnbemalung war. Ein schattenspendendes Pflanzendach auf Rankhilfe über dem Friedensplatz, sodass man sich dort zwischen April und Oktober auch aufhalten kann, ohne dass die Körperkerntemperatur über 40 Grad ansteigt. Die Möglichkeit eines Facharzttermins vor meinem Renteneintritt in 30 Jahren.

Eine Kneipen- und Feierkultur, die durch unverständliche Lärmgrenzen in ihrer Vielfalt beschnitten wird, wenn bereits pro forma Strafandrohungen vor traditionellen Veranstaltungen verschickt werden. Was ich damit meine? Zum Beispiel, dass die Watzemussignacht für viele Gastronom:innen schon vorher keinen Spaß macht und nicht infrage kommt, da wegen der vielen auch noch unklar formulierten Auflagen die Lust auf einen fröhlichen Abend vergeht. Macht aber vielleicht gar nichts, wenn es eh keine Bands mehr gibt, die Konzerte spielen können, weil sie ihre Proberäume verloren haben und, natürlich, keinen Ersatz finden. Wo sollen die 25 Bands denn alle hin, wenn die Alte Glasbläserei jetzt dicht ist? Können sie wohl auch vergessen, höhö.

Das sind alles keine Lappalien, wie mal einen Namen zu verwechseln. Das sind Dinge, die es uns schwer machen, unser Leben in Darmstadt besser zu gestalten. Dinge, die uns stören, wütend machen oder resignieren lassen. Dinge, über die wir den Kopf schütteln – oder eine Kolumne schreiben.

Zur Wahrheit des Vergessens gehört, dass uns auch gerne mal die guten Dinge entfallen. Ohne zwanghaft positiv sein zu wollen: Wir haben eine sehr aktive und lebendige Kulturszene – dafür dass man Heinertown nicht auf den ersten Blick als pulsierende Großstadt wahrnimmt. Es wird gerade viel gebaut und erst neulich habe ich von der Cousine der Schwester einer Freundin deren Arbeitskollegin gehört, dass sie eine bezahlbare Wohnung gefunden hat.

Wir vergessen auch zu häufig, dass wir unglaublich viele grüne Ecken haben, einen Park und einen See mitten in der Stadt besuchen können. Für den Innenstadt-Leerstand gibt es gute Ideen und mit Blick auf die neu gestaltete Grafenstraße oder die Vielfalt der Läden in der Schulstraße kann man Hoffnung haben. Spätsommer in Bessungen fühlt sich fast an wie in Italien. Und wenn man mal raus will, ist man in wenigen Minuten auf dem Oberfeld oder im Wald. Sogar im Odenwald, wenn man das möchte.

Heiner:innen an sich beschweren sich gern, aber eigentlich eint uns alle, dass wir diese kauzige Stadt mit ihren Widersprüchen doch gerne mögen. Wir laufen durch unsere Viertel und selbst wenn man niemanden treffen will, grüßt man mindestens zehn bekannte Gesichter.

Wir haben keinen Fluss wie Frankfurt, aber den/die/das Woog. Wir sind nicht das das Tor zur Welt wie Hamburg. Dafür aber das Tor zum Weltraum. Es gibt kein weltweit bekanntes Volksfest wie das Münchener Oktoberfest, aber bei uns kann man aufs Heinerfest, das kulturell vielfältigste Innenstadtvolksfest worldwide.

Was gegen das Vergessen generell hilft? Bewusst machen. Hinhören. Konzentrieren. Dinge klar aussprechen. Gilt auch für Namen. Und in Bezug auf unser Städtchen: Wenn was gut war, drüber reden.

Gern geschehen, Eure Sarah

 

Du bist fies? Ich bin Fiesa!

Ich bin Isa, 35, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.