Foto: Jan „Nouki” Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Wen der Heimweg nach einer ausgedehnten Samstagnacht durch die Barkhausstraße führt, der sieht sie manchmal frühmorgens im Lampenschein Obst schälen: Bigi Gaab, seit
28 Jahren Teil des Kollektivs „Café Bellevue“, der linken Herzkammer des Martinsviertels.

Im Sommer 1979 erfuhr die frischgebackene Architektin nicht nur von der bevorstehenden Geburt ihrer Tochter Lotta; nach dem Okay von Bauverein und Ordnungsamt war ihr und den damals rund zehn Mitstreitern auch klar, dass die gemeinsame Idee eines alternativen Treffpunkts im Viertel, abseits von Omi-Cafés und Bierkneipen, demnächst zur Realität würde.

Bertie, Bigi, Bine, Erich, Klaus und Uwe sind die sechs heute noch aktiven Martinsviertler, die eines der letzten existierenden Darmstädter Kollektive (Kollektiv = von der Belegschaft gemeinsam geführtes Unternehmen) durch bald drei Jahrzehnte steuern. „Die Diskussionen waren oft lang“, sagt Bigi, „aber kombinierte Kreativität und gegenseitiger Ausgleich haben auch zu einer Kontinuität geführt, ohne die es das Bellevue heute vielleicht nicht mehr gäbe. Jeder hatte ein Veto-Recht bei allen Entscheidungen – das wurde aber nie angewendet!“

So gesehen hat sich die heute 53-Jährige gar nicht zu weit von ihren damaligen Studieninhalten entfernt: Kreative Ideen und deren Umsetzung bei räumlicher Beschränkung sind nach wie vor Berufsalltag für die passionierte Köchin, die im Café täglich das Unmögliche möglich macht und mit einfachster Ausrüstung eine veritable Speisekarte auf die Beine stellt. Dabei ist ihr die Zusammenarbeit  im Team ein besonders wichtiger Aspekt: „Nach einem Jahr im Architektenbüro war ich ziemlich desillusioniert.“ Mehr miteinander werde im Café erreicht.  An die unmittelbare Akzeptanz im Viertel nach der Eröffnung am 1. Januar 1980 erinnert sich Bigi noch heute gerne.

Was hat sich seit Beginn der achtziger Jahre verändert? „Man sieht mehr Armut und damit auch mehr Hoffnungslosigkeit hier vorbeilaufen. Das soziale Moment unserer Arbeit ist noch wichtiger geworden als frühere, sagt Bigi. Zunehmend werde neben Bio-Äppler oder Roter Linsensuppe auch das Gespräch, der soziale Kontakt gesucht. Ihr berühmt robuster Umgang mit den Gästen ist dabei Teil der Gesamtidee: leben und leben lassen.

„Bei der Lilien-Benefiz-Nacht Anfang April war hier die Hölle los. An solchen Abenden arbeite ich richtig gerne, der Zuspruch der Leute motiviert mich auch nach fast dreißig Jahren immer wieder zum Weitermachen“, sagt Bigi. Und das ist auch gut so, denn ohne sie wäre die Stadt wieder um ein Original Ärmer!