Wenn an der Lichtwiese eine Straßenbahn gebaut werden soll, erreichen das P seitenlange Leserbriefe. Wenn an der Grundschule die Toiletten bis in die Klassenräume stinken, stürmen Eltern das Stadtparlament. Doch wenn der städtische Haushalt zur Diskussion steht, erklärt sogar mancher Stadtverordnete am Stammtisch: „Den Haushalt hab ich nicht gelesen. Nur Zahlen, total langweilig, verstehe ich nicht.“ Das mag zwar alles zutreffen und gar manchen Wählern sympathisch erscheinen. Doch tatsächlich muss an dieser Stelle mit erhobenen Zeigefinger interveniert werden.
Denn über den städtischen Haushalt zu entscheiden, ist das wichtigste Parlamentsrecht. Im Haushalt steht, mit wie vielen Einnahmen für das kommende Jahr zu rechnen ist, ob dazu neue Schulden gemacht werden oder alte abgetragen und wie viel Geld für neue Straßen, das neue Schwimmbad und für die Sportvereine ausgegeben werden soll. So entscheidet sich, ob die Studenten bald zuverlässig mit der Bahn oder weiterhin in überfüllten Bussen ihren Hörsaal erreichen, und ob die Zweitklässer es sich doch lieber bis zu Hause verkneifen. Wie der Haushalt zustande kommt, und was für 2018 geplant ist, ist so gesehen, die wichtigste Nachricht der Lokalpolitik.
Vom ersten Entwurf bis zum Abschluss eines Haushaltjahres braucht es zwar viele Schritte. Aber der Ablauf an sich ist eigentlich ziemlich einfach zu verstehen. Als Erstes berät der Magistrat, also die Stadtregierung, über einen ersten Entwurf. Dabei ist schon im September klar geworden, dass die Stadt Darmstadt 2018 mit 618 Millionen Euro kaum mehr Geld einnehmen wird als dieses Jahr. Und vor allem fehlen in der Rechnung noch fast 50 Millionen Euro, damit der Plan auf Null aufgeht und von der kommunalen Finanzaufsicht des Landes Hessen genehmigt wird.
Anfang November hat der Kämmerer André Schellenberg (CDU) diesen Plan in der sogenannten ersten Lesung der Stadtverordentenversammlung (Parlament) vorgestellt – und dabei auch schon ein paar Vorschläge gemacht, um das Defizit auf nur noch 9,5 Millionen Euro zu senken. Diesen Rest soll nun der Haupt- und Finanzausschuss in der zweiten Lesung Anfang Dezember lösen. In den Ausschüssen verständigen sich die Fachpolitiker der einzelnen Fraktionen auf gemeinsame Positionen, bevor sie im gesamten Parlament zur Abstimmung kommen. Im Parlament wird dann noch im Dezember in der dritten Lesung über den endgültigen Haushalt diskutiert und abgestimmt.
Dort ist die grün-schwarze Stadtregierung allerdings auf die Stimmen von Uffbasse angewiesen. Für seinen Haushalt möchte Schellenberg die Steuern für Grundstücksbesitzer um acht Millionen erhöhen. Doch genau das hatte Uffbasse schon im Juni verhindert. Weniger Probleme dürfte der Kämmerer mit einer neuen Steuer auf Spielhallen bekommen, die aber auch nur kaum mehr als 200.000 bis 400.000 Euro bringen dürfte.
Auch wenn mit dem Drehen an vielen weiteren kleinen Stellschrauben (unter anderem 1,4 Millionen Euro durch Schließung der Flüchtlingsunterkunft Kelly Barracks) und manchen Glücksfällen (sieben Millionen Euro Mehreinnahmen) am Ende ein ausgeglichener Haushalt steht: Das Grundproblem ist nicht gelöst.
Denn innerhalb weniger Jahre sind einige „absolute Pflichtleistungen ohne Ermessensspielraum“ regelrecht explodiert, wie Schellenberg erklärt. Bei Mietkosten für Hartz-IV-Empfänger, Leistungen für Asylbewerber oder die Jugendhilfe kann die Stadt nicht kürzen. Aber zusammen mit dem ÖPNV, Landeswohlfahrt und Kinderbetreuung hat die Stadt im Vergleich der Jahre 2009 zu 2018 rund 121 Millionen Euro mehr zu tragen. Das Steuereinkommen ist in dieser Zeit jedoch nur um 108 Millionen Euro gestiegen. Hinzu kommt, dass die Prognose für 2018 unsicherer ist als noch in den Vorjahren. So variiert die Schätzung des Landes Hessen für den kommunalen Finanzausgleich um plus minus sechs Millionen Euro.
Wegen solcher Unsicherheiten – auch bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer – ist im Laufe eines Jahres stets noch mindestens ein Nachtrag im Haushalt notwendig gewesen. Für 2017 konnte Schellenberg den Stadtverordneten mit dem zweiten Nachtrag ein kleines Plus von 100.000 Euro präsentieren, im Jahresabschluss 2016 waren sogar 1,3 Millionen Euro übrig geblieben. Und noch eine weitere gute Nachricht konnte der Kämmerer den Stadtverordneten überbringen: Das Land Hessen wird Darmstadt wohl die kompletten Kassenkredite von rund 300 Millionen Euro abnehmen.„Sie sehen heute einen glücklichen Kämmerer vor sich“, sagte Schellenberg Anfang November in der Stadtverordnetenversammlung. Bleibt abzuwarten, ob das auch für den Haushalt 2018 gelten wird.
Lokalpolitik-Kolumne im P
Sebastian Weissgerber hat bis 2009 für die Frankfurter Rundschau aus dem Darmstädter Stadtparlament berichtet. Im P schreibt er seit Februar 2017 als „Vierte Säule“ über die hiesige Politik.