Am 18. März kehrt er als Chefcoach des 1. FC Kaiserslautern zurück ans Bölle. Dirk Schuster gastiert dann an seiner alten Wirkungsstätte, die er kaum wiedererkennen dürfte. Und dabei war es maßgeblich er selbst, der die Grundlagen schuf, um aus dem leicht morbiden Charme des alten Rund ein Stadion zu erschaffen, das auf der Höhe der Zeit ist.
Beim Bölle handelt es sich nur um den offensichtlichsten Teil der Metamorphose, die Dirk Schuster zusammen mit seinem Co-Trainer Sascha Franz in Darmstadt angestoßen hat. Das Wirken des Trainergespanns legte die Basis, um binnen zehn Jahren aus den verschlafenen Lilien einen ambitionierten Zweitligisten zu machen. Aus einem Verein, der sich hauptsächlich aufs Reagieren verstand, einen Klub, der planvoll agieren kann.
Sulu und Wache als erste Zugänge
Als der kurz zuvor bei den Stuttgarter Kickers freigestellte Schuster im Winter 2012/13 bei den 98ern aufschlug, da rangierten sie in der 3. Liga als Tabellenletzter an Position 20. Das rettende Ufer war zwar noch schemenhaft erkennbar, aber die verkorkste Hinrunde steckte allen mächtig in den Knochen. Kümmerliche drei Siege hatte der SVD in 21 Partien geholt. Er besaß den harmlosesten Angriff der Liga, der im Winter noch nicht einmal verstärkt werden konnte. So musste es also Schuster richten, dem es immerhin gelungen war, einen gewissen Aytaç Sulu für die Lilien zu gewinnen und der ganz nebenbei Dimo Wache als Torwarttrainer befürwortete. Zwei weitreichende Personalien, ist der eine doch heute Ehrenspielführer, während der andere jeden neuen Keeper auf ein höheres Niveau hebt.
Schusters Ansatz bei den Lilien konnte also nur sein, hinten die Null zu halten und vorne auf den lieben Gott zu hoffen. Das Ergebnis: Fünf der ersten zehn Partien endeten 0:0. In 17 Spielen holte er dennoch beachtliche 22 Punkte, die zwar sportlich nur den 18. und damit ersten Abstiegsplatz bedeuteten, das sollte nach dem Insolvenzantrag der Offenbacher Kickers aber reichen. Wie wichtig der Sprung auf Rang 18 war, verdeutlichen die damaligen Absteiger. Neben den Zwangsabsteigern aus Offenbach gingen der SV Babelsberg 03 und Alemannia Aachen in ihre Regionalligen … und kehrten bis heute nicht mehr zurück.
Die Lilien hingegen machte Schuster zu seinem Projekt. Im Sommer 2013 baute er den Kader nach seinem Gusto um. Zwar ohne viel Geld, dafür mit reichlich Fantasie. Das Team der anderswo Ungewollten sollte und wollte der Fußballwelt zeigen, was es konnte. Diese Mentalität, sie trug die 98er bis in die Aufstiegsrelegation gegen Bielefeld. Nach einem enttäuschenden Hinspiel folgte das unvergessliche 4:2 auf der Alm, vor dem Schuster nach außen hin nicht mehr viel Hoffnung versprühte, nach innen jedoch den Glauben stärkte. Wer erinnert sich nicht an die „Du musst kämpfen“-Bändchen?
Klassenerhalt in der 1. und 2. Bundesliga
In der 2. Bundesliga war es dasselbe Spiel. Die Lilien surften auf der Underdog-Welle durch die Saison, bis sie nahezu unbemerkt ins Oberhaus eingezogen waren. Auch dort wieder das gleiche Bild. Eine Truppe von in die Jahre gekommenen Kickern schaffte es mit reichlich Mentalität tatsächlich, sich über die gesamte Spielzeit von den Abstiegsplätzen fernzuhalten. Schusters Credo, nach jedem Spieltag mindestens so viele Punkte auf dem Konto zu haben wie Spieltage gespielt waren, verfing beim Team und führte es auf den 14. Platz. Dabei war es natürlich hilfreich, dass sich zur defensiven Kompaktheit ein treffsicherer Angreifer gesellte. Beim Drittligaaufstieg war dies Dominik Stroh-Engel, in der Bundesliga Sandro Wagner.
Schuster und seinem Trainerteam war es gelungen, (Vereins-)Geschichte zu schreiben und in der Rolle des aufmüpfigen Unterlegenen aufzugehen. Seine Geschichte bei den Lilien, sie schien nach seinem Weggang zum FC Augsburg auserzählt. Doch 18 Monate später folgte er dem Hilferuf vom Bölle. Seine Karriere war ins Stocken geraten und die inzwischen wieder zweitklassigen 98er waren in argen Abstiegsnöten. Seine Nachfolger hatten es nicht verstanden, sein Erbe anzutreten. So übernahm Schuster wieder das Ruder, fand allerdings einen Kader vor, der für einen Abstiegskampf mal so gar nicht gemacht war. Auch ihm gelang es nicht sofort, den richtigen Gang einzulegen. Doch 19 Punkte aus den letzten elf Partien (davon neun aus den letzten drei) hievten den SVD gerade noch so aus dem Keller. Dank defensiver Stabilität und zum Teil aberwitzigem Glück. Dieser gewaltige Kraftakt im Frühjahr 2018, er war mindestens genauso wichtig für den aktuell so gut dastehenden SV Darmstadt 98 mit seinem neuen Stadion und planvoll zusammengestellten Kader, wie die Erfolge der ersten Ära Schuster. Ohne diesen Klassenerhalt wären die 98er so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren.
Der Zauber war verflogen
Dass Schuster Anfang 2019 seinen Hut nehmen musste, war der mangelnden Weiterentwicklung der Lilien geschuldet. Im Offensivspiel schablonenhaft und wenig durchschlagkräftig, präsentierten die 98er sich auch hinten ungewohnt anfällig. Der Zauber Schusters schien verflogen. So war es Zeit für einen neuen Mann auf dem Trainerstuhl und die Etablierung von Carsten Wehlmann als sportlichem Leiter. Ich hieß dies damals in meinem Kickschuh-Blog gut: „Eine zweite sportliche Instanz mit Fußballsachverstand hat neben dem bisherigen Alleinunterhalter Dirk Schuster gefehlt. Sie ist dringend notwendig, um den Klub auf eine breitere Basis zu stellen und weiter zu professionalisieren.“ Das ist geschehen. Und während ich Dirk Schuster damals keine Träne nachgeweint habe, so bleibt sein Wirken am Bölle untrennbar verbunden mit der Wiederbelebung eines abgehängten Klubs, den er in die Bundesligen führte und dort hielt. So stehen zwei Aufstiege und zwei Nicht-Abstiege in seiner Lilien-Vita. Und das auf höchstem Niveau, Chapeau! Gut möglich, dass er mit Kaiserslautern den Coup einfach wiederholt und durch die 2. direkt in die 1. Bundesliga marschiert. Sein Understatement klingt hier wohlbekannt. Die Punkte wird er im Abendspiel am 18. März dennoch nur zu gerne aus „seinem“ Bölle entführen wollen. Sorry Dirk, da haben wir was dagegen.
Fokus auf die Liga!
Sa, 04.03., 20.30 Uhr: 1. FC Heidenheim – SV Darmstadt 98
Sa, 11.03., 13 Uhr: Arminia Bielefeld – SV Darmstadt 98
Sa, 18.03., 20.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – 1. FC Kaiserslautern
Matthias und der Kickschuh
Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!