Ende Februar 2008 platzte das 603qm aus allen Nähten. Das Label Kehlkopf Records veröffentlichte gleich zwei neue Alben – und das wurde ausschweifend gefeiert. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist klar: HipHop aus Darmstadt zieht! Aber wer sind eigentlich die Protagonisten?
Im Wesentlichen sind zwei stilistische Grundrichtungen auszumachen: Die eine vertreten durch den mehr oder weniger solo agierenden Musiker Manges, die andere durch die Gruppen Baggefudda, Boese Zungen, Schwarzgeld Records und Mädness/Phonk D, um die wichtigsten zu nennen. Bildlich ausgedrückt: Die teilweise im Kollektiv operierenden Battle-Rapper hier, der sanftere Solo-HipHop-Künstler Manges dort.
Mal sanft, mal herb
Ihre Gemeinsamkeit: Alle haben schon auf dem zentralen Darmstädter Label, den bereits erwähnten Kehlkopf Records, veröffentlicht. Beide Ansätze zeigen durchaus ein hohes technisches Niveau, was die Produktion von Beats, Tunes, Texten und Videos betrifft; in der Regel sind alle Stücke musikalisch ziemlich minimalistisch orientiert, aber hier liegt eben die Kunst: Mach‘ mal einen fetten Beat mit wenig Spuren auf dem Mischpult. Da kommt es auf jeden Sound an.
Manges könnte als der defensivere Künstler verstanden werden: Seine Titel sind teilweise sanft-sentimental, gelegentlich kopflastig und häufig kritisch und (selbst)reflexiv, ohne dabei an Druck und mitreißender Kraft zu verlieren. Die Texte sind mit Emotion, aber auch mit Provokation und Kritik beladen. Man könnte sagen, er offenbart sich und sein Gefühlsleben in seinen Texten, zieht dabei reale oder fiktive Erlebnisse zur Dokumentation heran. Seine Songs kennzeichnet eine fast schon therapeutische Ehrlichkeit, die zum Zuhören und Mitfühlen verleitet, wenn nicht gar dazu auffordert.
Er trägt einen die Echtheit suchenden Spiegel vor sich her, in den auch jeder andere schauen kann. Darüber hinaus spielt auch der Glaube an Gott bei ihm eine zentrale Rolle, was die Kraft und Kredibilität seiner Aussagen noch steigert. Er wirkt trotz aller Zurückhaltung und offenbarter Skepsis immer souverän, das macht einen großen Teil der Stärke seiner Produktionen aus. Manges erreicht mit seinen Texten und seiner Musik ohne Weiteres die Qualität bekannterer Kollegen seines Genres. Und er kritisiert die offene Zurschaustellung von Intimität und Sexualität in Texten einiger erfolgreicher HipHop-Kollegen, die dieses Mittel nur des (kommerziellen) Erfolges wegen benutzten.
Es sei daran erinnert, dass die HipHop-Bewegung in den Großstädten der USA als Gegenmittel zur Gewalt untereinander aus der Wiege gehoben wurde. Manges’ hoher musikalischer Anspruch wird unter anderem belegt durch eingesetzte Jazz- und Soul-Elemente und eine Live-Band, die sich aus talentierten Darmstädter Musikern an Keyboard, Bass und Drums zusammensetzt.
Die zweite Stilrichtung (Baggefudda, Boese Zungen, Schwarzgeld Records und Mädness/Phonk D) basiert auf dem sogenannten Battle-Rap-Prinzip und ist somit offensiver. Die Künstler überzeugen durch markante Stimmen und eine textliche Direktheit, die den Zuhörer absichtsvoll anspringt. Sie sind deswegen nicht gefühllos, auch bei ihnen finden sich Texte, die menschliche Probleme behandeln. Die Vertreter des härteren Darmstädter Rap zeigen in erster Linie eine gesunde Portion Lokalpatriotismus, ohne dabei politisch zu sein. Das erreichen sie mit Texten, die sich in Sachen Offenheit und Selbstdarstellung nicht selten mit Augenzwinkern und Selbstironie durchaus mit nationalen Größen messen können. Wobei anzumerken ist, dass sie mit ihren Produktionen einige gefeierte Namen etwas vom Sockel heben, indem sie zeigen, dass man nicht aus einer Großstadt kommen muss, um roughen und harten HipHop zu machen. Trotzdem bleibt das übliche Ghetto-Gehabe aus, die Künstler stehen einfach zu ihrer Herkunft und ihrer Crew und leben, sagen sie, für die Musik.
In der offensiveren HipHop-Liga geht es erwartungsgemäß noch etwas mehr vorwärts, was Texte und Musik betrifft. Positiv aus dem Rahmen füllt das neue Album von Baggefudda: Es kommt mit musikalischen Elementen daher, die man teilweise eher aus der düsteren Oldschool-Techno-Ecke kennt, gewagte Elektro-Keyboard-Sounds, oft auch derb im Klang, Geschmackssache halt. Aber: Taking HipHop further, auf jeden Fall. Avantgarde? Vielleicht. Hundert-prozentig: ein Resümee der musikalischen Biographie der Künstler.
Beide Ansätze, die sich übrigens nicht gegenüber stehen, sondern sich ergänzen und nicht direkt vergleichbar sind, können eingeschworene Fangemeinden ihr Eigen nennen, die bei Konzerten die einzelnen auf Hessisch getexteten Tracks komplett im Chor mitsingen. Dies rührt zum einen von der klaren Orientierung der Musiker hin zu ihrer Fangemeinde her; zum anderen führt der relativ kleine Rahmen, den Darmstadt bietet, zu Kollegialität und engen Kontakten untereinander. Man kennt sich.
Es ist schwer zu beurteilen, wie die Darmstädter HipHop-Künstler von außen wahrgenommen werden. Airplays bei VIVA, Remixes durch „Glashaus“ und die Zusammenarbeit mit Vertretern anderer hessischer HipHop-Hochburgen sind jedenfalls Hinweise auf überregionale Anerkennung. Word!