Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Der Klimawandel ist längst da. Nicht nur im Ahrtal, in Ostafrika oder Pakistan spielt das Wetter verrückt. Auch in Darmstadt geht es mittlerweile um Schadensbegrenzung und Klimaanpassung. Für Förster:innen und Landwirtschaftende stehen dabei große Fragezeichen im Raum. Denn wie genau das Wetter in 20 oder 30 Jahren sein wird, lässt sich nur grob abschätzen. Sicher ist: Die Sommer werden trockener und heißer. Drei Monate ohne nennenswerten Regen, höchstens unterbrochen von gewaltigen Gewitterstürmen, die die wertvolle Humusschicht, die sich in Jahrhunderten angereichert hat, auf frisch gepflügten Felder in wenigen Minuten abtragen und dabei noch Häuser, Straßen und andere Infrastruktur abräumen, haben wir ja bereits kennengelernt.

Dabei bleibt die gesamte Niederschlagsmenge über das Jahr gleich. Werden die Sommer trockener, sind die Winter eben feuchter. Und weil es dabei im Durchschnitt schon heute 1,5 Grad wärmer ist, haben Wind und Regen deutlich mehr Energie. Für weite offene Äcker bedeutet das eine stärkere Erosion der Böden, für die Pflanzen lange Durststrecken im Sommer. Und uns stellt das vor jede Menge Probleme. Die gute Nachricht ist: Menschen sind wohl das anpassungsfähigste Tier auf dieser Erde. Schon lange vor der Industrialisierung haben wir den gesamten Planeten, Sand- und Eiswüsten besiedelt. Heute überleben wir sogar im Weltraum, und planen ernsthaft Kolonien auf Mond und Mars.

Kiwis in Darmstadt

Aus diesem Blickwinkel scheint der Anbau von Tropenfrüchten in den Eberstädter Streuobstwiesen alles andere als verrückt. Und tatsächlich wachsen dort auf der Zukunftsfarm von Silas Müller bereits 200 Kiwibäume, 60 Kiwibeerensträucher, 70 japanische Kakis und 75 südamerikanische Pawpaws. Bis zur ersten Ernte wird es zwar noch ein paar Jahre dauern, aber dass die exotischen Gewächse die hiesigen Winter überstehen, hat der junge Landwirt bereits zwei Mal bewiesen. Um sein Experiment Zukunftsfarm zu finanzieren, hat Müller unter dem Titel „Pawpaw Ranch – Biohof Müller“ noch zwei weitere Standbeine: Zum einen vermietet er 50 Minigärten zum Eigenanbau, zum anderen verkauft er 55 Anteile an seiner genossenschaftlichen Landwirtschaft.

Die jeweils fünf auf sechs Meter großen Parzellen können Kleingärtner:innen für 195 Euro seit Ende April mit Rettich, Mairüben, Asiasalat, Kohlrabi und weiteren 41 Obst- und Gemüsepflanzen, die Müller je nach Saison bereitstellt, besetzen. Auch Spaten, Schaufeln und Gartenscheren hält Müller für die Saisongärtner:innen vor. Wer nicht selber pflanzen möchte, kann trotzdem bis in den Januar von Müllers Bio-Ernte profitieren. 111 Euro kostet ein Anteilsschein im Monat. Jeden Mittwoch können sich die Teilhaber:innen dafür am Steigertsweg eine Kiste vom wöchentlichen Ertrag abwiegen. Beide Angebote sind allerdings schon im Frühjahr ausgebucht. Wer nächstes Jahr an Melonen, Zucchini und Mangold teilhaben möchte, sollte sich also schon jetzt bewerben. Müller hält außerdem auch 220 Biohühner.

Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Landwirtschaft neu denken

Dass die beiden Modelle, Gartenparzellen wie genossenschaftliche Landwirtschaft, funktionieren und einem Landwirt ein einträgliches Auskommen liefern können, ohne weite Flächen mit einem teuren Fuhrpark schwerer Maschinen bewirtschaften zu müssen, braucht Müller dabei niemanden zu beweisen. Der gebürtige Hannoveraner hat in Kassel Ökologische Landwirtschaft studiert und danach in Frankfurt die landwirtschaftliche Genossenschaft „Die Kooperative“ mit aufgebaut.

Hitzetolerante Pflanzen statt Äpfel und Birnen

Nun treiben den 37-Jährigen, der mittlerweile in Bessungen wohnt, vor allem zwei Fragen um: „Wie ernähren wir uns in 30 Jahren? Und wie muss ein System aussehen, dass wir auch bei unvorhersehbaren klimatischen Bedingungen und extremen Wetterkapriolen eine sichere Ernte haben?“ Dabei gehe es neben hitzetoleranten Pflanzen vor allem darum, das Wasser aus Starkregenereignissen zu puffern. „Ich probiere Systeme aus, die eine Schwammwirkung haben“, sagt Müller. Für seinen Agroforst hat Silas Müller Baumreihen angelegt, zwischen denen Rhabarber und Spargel wachsen können. Die Bäume sorgen dabei für ein kühleres Mikroklima und helfen Wasser im Boden einzuspeichern. Statt mit Äpfeln und Birnen experimentiert Silas dabei mit Südfrüchten, darunter die südamerikanische Pawpaw. „Die Frucht schmeckt nach einer Mischung aus Bananen, Mango und Ananas“, erklärt Müller und schwärmt: „Sie ist sausüß und sehr cremig.“ Dass sie trotz des tollen Geschmacks in Deutschland unbekannt sei, liege vor allem daran, dass sie sich schlecht transportieren lasse. „Sie muss direkt nach der Ernte gegessen werden.“

Um den Schwammeffekt natürlicher Böden zu erhalten, verzichtet Müller auch auf schwere Maschinen, die den Boden verdichten würden. Er pflügt stattdessen per Hand mit einer sogenannten Broadfork. Zwischenfrüchte wie Klee bringen zudem nicht nur Stickstoff in den Boden, sondern lockern ihn auch auf. „Klee macht zwei Meter lange Wurzeln“, erklärt Müller. Als Dünger verwendet er phytoponischen Kompost, bei dem Grünschnitt langsam verrottet. Wie Müllers Experimente ausgehen, bleibt auch für ihn offen. Gewiss ist für ihn nur: „Landwirtschaft wird in der Zukunft nur noch regional funktionieren, in einem Miteinander von Verbrauchern und Erzeugern.“

pawpaw-ranch.de

Saisongärtnern in Darmstadt

Neben der Pawpaw Ranch gibt es in Darmstadt weitere Orte und Initiativen, die das bio-regional-saisonale Stadtgärtnern ermöglichen (Quelle: Darmstädter Echo vom 11. Mai 2024, Sabine Schiner):

Erst seit diesem Frühjahr bietet der Agrarwissenschaftler Max Merlau Parzellen im Westen von Arheilgen an. Die Saisongärten gibt es in drei Größen: 30, 60 und 90 Quadratmeter. Die kleine kostet unbepflanzt 150 Euro, vorbepflanzt mit bis zu zehn Kulturen (unter anderem mit Kartoffeln, Bohnen, Zuckermais) 200 Euro, die größte kostet unbepflanzt 400 Euro, bepflanzt 550 Euro. Rund 40 Gärten sind aktuell verpachtet, weitere Ackerflächen noch mietbar. spargel-merlau.de

Statt 500 Gärten gibt es am Hofgut Oberfeld 2024 nur 425 Gärten. Saison ist dort von Ende April bis Ende Januar 2025. Eine 60 Quadratmeter große Gartenparzelle – alle sind bis auf eine kleine Fläche vorbepflanzt – kostet 300 Euro, 30 Quadratmeter kosten 180 Euro. Einige wenige sind noch zu haben. mein-oberfeld.de

Ausgebucht ist der Nachbarschaftsgarten in Bessungen. Dort gibt es acht Saisongärten und zwölf Hochbeete, die an Paten vergeben werden. Die Nachfrage sei hoch, sagt Silke Türsan, Koordinatorin des Nachbarschaftsheims. Die Parzellen werden immer Ende des Jahres für das Folgejahr vergeben. nbh-darmstadt.de/nachbarschaftsgarten

Keine Saisongärten gibt es in diesem Jahr auf dem Alnatura-Campus an der Eschollbrücker Straße. Die aktuelle Konsumzurückhaltung sei „sehr deutlich zu spüren“, wie es beim „Ackerhelden“-Team heißt. Die Zahl der vermieteten Parzellen sei bundesweit rückläufig, an kleineren Standorten wie in Darmstadt sei ein wirtschaftlicher Betrieb nicht möglich.