Foto: Passivhaus Institut

 

Darmstadt kann grün, Darmstadt kann bio, Darmstadt kann nachhaltig – mittlerweile sogar ganz schön gut! Und: Darmstadt kann Passivhaus … schon seit drei Dekaden.

Passivhaus? Ist das nicht das, wo man die Fenster nicht aufmachen kann? Diese Reaktion kennt Katrin Krämer nur zu gut: „Das hört man leider manchmal immer noch. Dabei war diese Vorstellung immer schon falsch. Natürlich kann man im Passivhaus die Fenster öffnen oder im Sommer die Terrassentür offen stehen lassen“, erklärt die Pressesprecherin geduldig – wie schon so oft zuvor. Krämer arbeitet für das deutsche Passivhaus Institut, das seinen Sitz im beschaulichen Darmstadt hat. Ganz schön beeindruckend, wenn man bedenkt, dass das Passivhaus-Konzept mittlerweile weltweit angewendet wird.

Tatsächlich gilt Darmstadt als die Wiege des klimabewussten Baustandards: Schon seit den siebziger Jahren wurden in verschiedenen internationalen Forschungsprojekten die Grundlagen geschaffen. Doch erst Ende der 1980er finalisierte der Bauphysiker Dr. Wolfgang Feist (damals am Darmstädter Institut Wohnen und Umwelt) in Kooperation mit Bo Adamson von der Universität Lund das Konzept „Passivhaus“ – und setzte es kurz danach erstmals erfolgreich in die Praxis um: 1991, also vor genau 30 Jahren, wurde das erste Passivhaus, ein Komplex aus vier Reihenhäusern, in Darmstadt-Kranichstein fertiggestellt. Wolfgang Feist lebt noch heute mit seiner Familie dort – so wie viele weitere Darmstädter:innen in den 19 Passivhäusern, die die internationale Passivhaus-Datenbank in unserer Stadt verortet. Es könnten aber noch mehr sein: Der Eintrag in der Datenbank ist nämlich freiwillig.

Fünf Prinzipien gehören zum Baustandard „Passivhaus“

„Das Passivhaus-Prinzip ist keine Bauart, sondern ein festgelegter Standard für Energieeffizienz. Dieser definiert bauphysikalische Kriterien, die theoretisch jedes Haus zum Passivhaus machen können – egal ob es aus Stein, aus Holz oder aus welchem Baumaterial auch immer gebaut wird“, erklärt Krämer. Es müsse nur richtig geplant werden. Um die Kennwerte (wie etwa einen geringen Jahresheizwärmebedarf von maximal 15 kWh/m²a) zu erreichen, werden fünf Grundprinzipien angewendet, die im Zusammenspiel einen geringen Energiebedarf des Gebäudes garantieren und so zum Klimaschutz beitragen.

Die Grundlage, die in jedem Gebäude nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen essenziell ist, stellt eine besonders gute Wärmedämmung dar – und das nicht nur auf dem Dach: An den Wänden ist diese im Idealfall gut 30 Zentimeter dick, berichtet Krämer. In herkömmlichen Häusern gehören zu den größten Schwachstellen die Fenster, da durch sie viel Wärme entweicht. Deshalb wird bei Passivhäusern in unseren Breitengraden auf eine Dreifach-Verglasung gesetzt. Drittens sind jegliche Wärmebrücken zu vermeiden oder weitgehend zu minimieren: Besonders Gebäudeecken und -kanten müssen deshalb besonders sorgfältig geplant und auch umgesetzt werden. Eine sogenannte „luftdichte Gebäudehülle“ ist die vierte Komponente des Passivhaus-Prinzips: „Die Leckage durch unkontrollierte Fugen muss beim Test mit Unter-/Überdruck von 50 Pascal kleiner als 0,6 Hausvolumen pro Stunde sein“, heißt es in den Qualitätsanforderungen für Passivhäuser in kühl-gemäßigtem Klima des Passivhaus Instituts. Zu Deutsch: Es ist kein ungewollter Luftaustausch möglich, es wird keine Heizenergie verschwendet.

Klingt alles nach guter Dämmung – so guter Dämmung sogar, dass in Passivhäusern keine klassischen Heizkörper mehr nötig sind, um es angenehm warm zu haben. Aber der eine oder die andere Frischluftfanatiker:in bekommt beim Lesen sicher schon Schnappatmung. Ist etwa doch etwas dran am eingangs beschriebenen Horrorszenario? Was mache ich, wenn morgens im Schlafzimmer dicke Luft herrscht? „Wie gesagt, auch im Passivhaus können Sie jederzeit die Fenster aufmachen, wenn Sie möchten. Die Frage ist, ob man das bei eisigen Temperaturen draußen unbedingt machen möchte, egal in welchem Haus Sie wohnen. Dadurch entweicht ja sehr viel Wärme.“ Im Passivhaus sei das schlicht auch nicht notwendig: „Die Lüftungsanlage sorgt automatisch stetig für frische Luft im Zimmer“, erklärt Krämer. „Bei unseren Tagen der offenen Tür erleben wir regelmäßig, wie beeindruckt die Besucher vom Raumklima in den Passivhäusern sind.“

Selbst Frischluftfans sind überrascht vom Raumklima

Das liegt am Herzstück des Passivhauses: einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Diese sorgt nicht nur für den individuell regulierbaren, regelmäßigen Luftaustausch im Gebäude. Ihr Wärmetauscher nutzt außerdem die Wärme der verbrauchten Abluft, die durch die Anlage nach draußen geführt wird, um die kalte Zuluft, die von draußen einströmt, aufzuwärmen. „Bis in den Dezember hinein reicht das meistens aus, um die Räume im Passivhaus ausreichend warm zu halten“, erklärt Krämer. „Nur an sehr kalten Tagen, wie zum Beispiel im Januar oder zuletzt Anfang Februar, als es so knackig kalt war, ist in unseren Breitengraden eine zusätzliche Heizquelle notwendig.“

Ganz ohne Heizung geht es – zumindest in unseren Breitengraden – dann also doch nicht. „Ein großer Teil der Passivhausbesitzer setzt mittlerweile auf eine Wärmepumpe und verzichtet auf fossile Brennstoffe. Im Idealfall ist das dann noch verbunden mit Fotovoltaik auf dem Dach“, weiß Krämer.

Die Dämmung dient natürlich nicht nur dazu, im Winter die Wärme im Haus zu halten – sie schützt im Sommer auch vor der Hitze draußen. Fensterflächen in Passivhäusern werden zu diesem Zweck bei direkter Sonneneinstrahlung von außen verschattet. Ansonsten helfe in Wohngebäuden in unseren Breitengraden tatsächlich meistens die Lüftungsanlage, die Luft innen kühl zu halten. Lediglich in Bürogebäuden mit großer technischer Ausstattung oder etwa in südeuropäischen Ländern könne es notwendig sein, zusätzlich aktiv zu kühlen.

Ein Standard, der das Klima schützt

Laut Katrin Krämer ist „der Passivhaus-Standard ein Standard, der effektiv das Klima schützt, weil er für einen wesentlich geringeren Verbrauch von Energieressourcen sorgt“. Die von Kritiker:innen häufig angeführten Mehrkosten – zum Beispiel für die gute Dämmung oder die guten Fenster – amortisierten sich schon nach einigen Jahren durch die niedrigen und kalkulierbaren Heizkosten. 90 Prozent weniger Heizwärme als ein Haus im Baubestand verbrauche ein Passivhaus; im Vergleich zu einem durchschnittlichen Neubau seien es immer noch 75 Prozent.

Ganz allgemein sei ein höheres Bewusstsein für die Bedeutung von energieeffizientem Bauen für die Umwelt unumgänglich, findet Krämer. Die Regelungen der Energieeinsparverordnung und des neuen Gebäudeenergiegesetzes seien zwar Schritte in die richtige Richtung. „Aber es geht besser. Nicht umsonst fordern viele Experten, besser zu bauen als gesetzlich vorgeschrieben. Auch, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Der Gebäudesektor ist in Deutschland immerhin für ein Drittel CO2-Emissionen verantwortlich.“

Wie sieht es da mit Förderungen für den nachweisbar energiesparenden Baustandard aus? „Viele Bundesländer fördern energieeffizientes Bauen und auch explizit den Passivhaus-Standard. Und auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) fördert energieeffizientes Bauen.“ Und das Land Hessen? „Hessen fördert nicht den Neubau von Passivhäusern, dafür aber die energetische Sanierung von Bestandshäusern zum Passivhaus-Standard.“ Da der Platz für Neubauten in Deutschland rar sei, seien gerade großflächige, energetische Modernisierungen des Gebäudebestands unumgänglich.

Ob das Passivhaus-Prinzip für die eigenen vier Wände Sinn ergibt, muss am Ende jede:r selbst beurteilen – erste Passivhaus-Luft können Interessierte, wenn alles klappt, während der nächsten Tage der offenen Tür im November 2021 schnuppern.

 

Das Passivhaus Institut Darmstadt

1996 gegründet sitzt das Passivhaus Institut (PHI) noch heute in Darmstadt und forscht, informiert und berät nicht nur zum Thema Passivhaus und Passivhaus-Förderung, sondern bildet auch Planer:innen und Designer:innen weiter.

Am 10. und 11. September 2021 findet die vom PHI veranstaltete 25. Internationale Passivhaustagung in Wuppertal und online statt.

Vom 05. bis 07. November laden viele Passivhausbesitzer:innen Interessierte zu den wortwörtlichen Tagen der offenen Tür in ihre vier gut gedämmten Wände ein.

Eine Vielzahl an weiteren Informationen gibt es online auf passiv.de.