Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

„Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen.“ So lautet einer der markigen Sätze aus Georg Büchners revolutionären Flugschrift „Der Hessische Landbote“, mit der er 1834 die sozialen Missstände im Großherzogtum Hessen anprangerte. Ella Theiss stellt ihn einem Kapitel in ihrem neuen Roman „Darmstädter Nachtgesänge“ voran. Ihr Buch verwebt geschickt historische Fakten, künstlerische Fantasie und scharfe Sozialkritik miteinander.

Im Zentrum stehen zwei Fälle. Straftat Nummer eins: Büchners Flugblatt, das ihn zum steckbrieflich gesuchten Mann macht. Straftat Nummer zwei: Im Wald bei Michelstadt wird der gräfliche Revierförster tot aufgefunden, ein historisch verbürgter Fall. Der angebliche Mörder ist schnell gefunden: Jacob Trumpfheller, bereits wegen Holzdiebstahls und Wilderei auffällig. Trotz magerer Beweislage droht ihm das Schafott. Die Verbindung zwischen beiden Erzählsträngen ist Anna, das Hausmädchen der Familie Büchner in Darmstadt. Sie stammt aus dem Odenwald und glaubt an Trumpfhellers Unschuld. Sie stellt eigene Recherchen an, zusammen mit dem Journalisten Oscar, der wiederum als Spitzel auf Georg Büchner angesetzt ist. Die Kapitel sind gekonnt verknüpft, mit überraschenden Wendungen und obendrein spannend. Über Strecken liest sich das Buch wie ein Krimi – ein Genre, in dem Ella Theiss erfahren ist.

„Ich habe einfach Spaß an historischen Stoffen“, sagt die Autorin. Schon in einem der Vorgängerromane, „Die Spucke des Teufels“, griff sie geschichtliche Ereignisse auf, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts am Niederrhein zutrugen. „Für den musste ich sogar noch mehr recherchieren“, sagt sie und lacht. Mit „Darmstädter Nachtgesänge“ verlegt die Journalistin, die mit Mitte fünfzig mit dem Schreiben fiktiver Geschichten begann, die Handlung in ihre Heimatregion, der Georg Büchner entstammte. Theiss bewundert ihn als Autor, aber auch wegen seines sozialrevolutionären Muts: „Ich verehrte ihn schon als Schülerin. Seine Radikalität war schon sehr speziell. Aber er war kein Fanatiker, sondern ein sehr reflektierter Mensch.“

Als Siebzehnjährige erlebte Theiss die Studentenproteste von 1968. Nicht nur die prägten sie, sondern später auch die Ökobewegung. „Tschernobyl war ein Weckruf“, sagt die heute Siebzigjährige. Sie war Chefredakteurin des Naturkostmagazins „Schrot & Korn“, und unter ihrem bürgerlichen Namen Elke Achtner-Theiß veröffentlichte sie Sachbücher, unter anderem das bibliophil gestaltete Buch „Alte Gemüsesorten“. Das Vorwort für ihren vor dreißig Jahren erschienenen Ratgeber „Ökologie im Haushalt“ schrieb der damalige hessische Umweltminister Joschka Fischer.

An dem historischen Fall Trumpfheller interessierte Theiss die Ungerechtigkeit. „Eigentlich wollte ich eine True Crime Story schreiben. Aber dann bin ich auf richterliche Gutachten gestoßen. Der Untersuchungsrichter wollte Trumpfheller unbedingt drankriegen.“ Im Roman eingestreut sind Szenen, die die damalige Armut im Odenwald widerspiegeln. Während sich die Grafen und ihre Beamten in der Residenzstadt Darmstadt der Völlerei hingeben, leidet draußen vor den Toren die Landbevölkerung. Das brachte auch Georg Büchner in seinen kernigen Sätzen im „Hessischen Landboten“ zur Sprache: „Geht einmal nach Darmstadt […] und erzählt dann euren hungernden Weibern und Kindern, dass ihr Brot an fremden Bäuchen herrlich angeschlagen sei.“

 

Das Buch

„Darmstädter Nachtgesänge“, Edition Oberkassel, 384 Seiten, 13 €

 

Nächste Lesung

Künstlerkeller im Schloss | Do, 02.12. | 19 Uhr | 5 €

 

Die Autorin

Ella Theiss, bürgerlich Elke Achtner-Theiß, Jahrgang 1951, lebt in Roßdorf. Sie studierte Germanistik und Sozialwissenschaften. Sie arbeitete als Redakteurin für „Frankfurter Rundschau“, „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ und war Chefredakteurin von „Schrot & Korn“. Seit 2006 schreibt sie Kurzgeschichten und Romane. Werke unter anderem: „Die Spucke des Teufels“ (2009), „Neben der Spur“ (2012), „Duo mit Beretta – ein Darmstadt-Krimi“ (2016).

ellatheiss.de