Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es einen geheimen Vertrag gibt, den Darmstädter Eltern irgendwann zwischen Kauf der Baby-Erstausstattung und Kita-Anmeldung unterzeichnen und über den sie öffentlich nicht sprechen dürfen – höchstens mit anderen Menschen mit Kindern. Die erste Regel des Clubs … Es gibt mitten unter uns einen geheimen Zirkel, dessen äußeres Erkennungszeichen im Straßenverkehr seit einigen Jahren nicht mehr wegzudenken ist: das Lastenrad.
Meistens hört man sie schon von Weitem holpern, wenn sie sich auf den viel zu engen Radwegen in Darmstadt durch die Straßen bewegen. Riesige, schwerfällig anmutende Kisten, die irgendwie an ein Fahrradgestell drangeflext [Korrektur: drangeschweißt] wurden. Ehrlicherweise sind Lastenräder kein feuchter Design-Traum, auch wenn sich die gängigen Hersteller wirklich Mühe geben, diese Hässlichkeiten schick aussehen zu lassen. Allein der Name … Lastenrad. Das klingt schon eher nach Bauarbeiten, unhandlich und sehr technisch. So wie der Lastenaufzug der komplizierte, aber fleißige Cousin des vornehmen Personenaufzugs ist, so verhält es sich auch in der Fahrrad-Familie. Wenn man Kinder hat, dann steht die freiheitsliebende Schwester des Lastenrads nur noch im Keller: Dem flinken Rennrad laufen die Tränen die Speichen runter, in Erinnerung an ausgiebige Touren und bewundernde Blicke, spontan-sportive Ausflüge an die Bergstraße. Das Lastenrad hingegen steht für bequeme Beständigkeit und praktischen Transport.
Statt Kutte: Barfußschuhe und Helm
Noch vor ein paar Jahren bildeten die hipperen Seifenkisten eine große Ausnahme im Verkehrsbild, das hat sich jedoch geändert: Überall, wo Kinder sind, findet im Sommer quasi täglich eine Werkschau aller gerade angesagten Modelle statt. Mit oder ohne Dach, länger und mit einem Rad vorn oder kastiger und breiter. Ein paar Tausend Euro muss man sich den Spaß natürlich kosten lassen, der Familienvan unter den Fahrrädern hat eben seinen Preis. Vor allen vor „Da Carlo“-Filialen, Kindergärten, im Herrngarten, am Riegerplatz oder beim Johannesmarkt stehen sie dann da, aufgereiht zum Appell an alle anderen: „Wir kommen überall hin, finden immer einen Parkplatz und sind auch spontan, wenn wir rein theoretisch auf dem Heimweg noch schnell zum Baumarkt müssten!“ Die Mitglieder des Heiner-Geheimbunds der Eltern sind die Hell’s Angels der unmotorisierten Fortbewegung, statt Kutte tragen sie Barfußschuhe und Helm.
Bevor es jedoch irgendwohin geht, muss die Kiste beladen werden. Erst neulich durfte ich am Friedrich-Ebert-Platz fantastische Szenen beobachten, in denen das Lastenrad wahre Größe bewiesen hat: Sechs Vorschulkinder, vier Spaghettieis, zwei Laufräder, eine Tasche Sandspielzeug, drei Rucksäcke und ein mittelgroßer Labrador wurden nach und nach eingepackt, angeschnallt, verzurrt und verstaut. Der kleinste Fahrgast bestand außerdem noch darauf, dass alle just gesammelten Kieselsteine mitgenommen werden müssen. Na gut, darauf kommt es nun auch nicht mehr an, Helme auf und los geht’s. Die Fahrerin wuppt das Gefährt mit einem angestrengten Zischlaut vom aufgebockten Ständer und murmelt vor sich hin, wie praktisch das doch alles sei, bevor sie von dannen radelt. Auch wenn ich das Gespann schon bald nicht mehr sehen kann, höre ich das Klappern der Kieselsteine noch eine Weile durchs Martinsviertel hallen.
Ist das Lastenrad wirklich Heilsbringer und Lösung unserer urbanen Verkehrsprobleme, die Darmstadt seit Jahren hat? Könnten wir glücklicher und besser leben, wenn wir alle nur noch so in der Stadt unterwegs wären? Oder ist das ein Trend, dem man halt so folgt, wenn man sich zur Elternschaft entscheidet? Ich würde in meiner Kolumne hier einfach mal frech folgende Antworten geben wollen: Zumindest ein bisschen, ja, vielleicht.
Ach, bevor ich es vergesse: Hat irgendjemand das Kleingedruckte im Elterngeheimzirkel-Vertrag gelesen und weiß, ob man da ganz vielleicht auch ohne Kinder reinkommt? Ich frage für eine Freundin, nur rein interessehalber.
Du bist fies? Ich bin Fiesa!
Ich bin Isa, 34, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.