Grafik: Hans-Jörg Brehm

Der Darmstädter Magistrat hält den Radentscheid für unzulässig. Gleichzeitig geht der Grüne Oberbürgermeister Jochen Partsch aber auch weit auf die Initiatoren zu. Folgt er damit Trumpscher Verhandlungstaktik? Und wie geht es jetzt weiter?

Mit fast zehntausend gültigen Unterschriften haben die Initiatoren des Radentscheids ihr Bürgerbegehren beim Magistrat eingereicht. Obwohl ähnliche Anträge in Berlin und Bamberg erfolgreich waren und sich der Darmstädter Radentscheid mit anwaltlichem Rat abgesichert hat, möchte die Stadtregierung das Begehren vom Stadtparlament als unzulässig zurückweisen lassen. Die Aktivisten hätten die Kosten ihrer sieben Ziele zur Verbesserung des Radverkehrs (siehe P #102 vom März 2018) zu niedrig angesetzt und auch keine Vorschläge gemacht, woher das Geld kommen soll.

Doch bevor wir einen Ausblick wagen, wie es nun weiter geht, schauen wir erst mal in die Vergangenheit: Im Jahr 2009 brachte ein Bürgerentscheid gegen eine durch den Bürgerpark verlaufende Nordost-Umgehungsstraße die Darmstädter SPD zu Fall. Zwar verpassten die Aktivisten damals knapp das Quorum, doch in der Folge zerbrach die Ampel-Koalition aus SPD, Grüne und FDP. Schließlich verloren die Sozialdemokraten nach 65 Jahren an der Macht die Führung im Stadtparlament sowie das Oberbürgermeisteramt an die Grünen.

Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn der große Gewinner von damals, der heutige Oberbürgermeister Jochen Partsch, sich heute aus formellen Gründen gegen ein Bürgerbegehren stellt, das nicht nur von einem Zehntel der Wahlberechtigen unterstützt wird, sondern per se als Bürgerbeteiligung sowie auch inhaltlich zum Radverkehr die Kernthemen der Darmstädter Grünen schlechthin anspricht.

5 bis 6 Millionen Euro Kosten statt 2,6?

En detail führt das Gutachten des Magistrats dabei durchaus nachvollziehbare Argumente auf: Während der Radentscheid Kosten von 2,6 Millionen Euro im Jahr veranschlagt, kommt die Stadt nach gängigen Überschlagsmodellen, die (auch für den Radentscheid) frei zugänglich im Internet stehen, auf fünf bis sechs Millionen. Dazu muss der Finanzierungsvorschlag des Radentscheids mit nicht weiter ausgeführten „Umschichtungen“ im Verkehrsetat tatsächlich als dünn bezeichnet werden. Der Hessische Städtetag stützt diese Ansicht in einer Stellungnahme.

Wie hoch die Hessische Gemeindeordnung die Ansprüche an die Finanzierungspläne eines Bürgerbegehrens anlegt, wird am Ende wohl ein Gericht entscheiden. Denn sollte das Stadtparlament wie zu erwarten am 30. August der Position des Magistrats folgen und das Bürgerbegehren für unzulässig erklären, hat Radentscheid-Initiator David Grünewald schon angekündigt, Widerspruch beim Regierungspräsidium Darmstadt als Aufsichtsbehörde einzulegen und auch juristisch zu klagen.

Interessant: Seit Mitte August hat sich die Stadt mit dem Radentscheid zu Verhandlungen zusammengesetzt. Die Stadt verspricht, insgesamt 16 Millionen Euro – verteilt auf vier Jahre – in neue Radwege zu investieren und dafür fünf neue Mitarbeiter einzustellen. Dass die Stadt nun also doppelt so viel Geld in die Hand nehmen möchte, als der Finanzrahmen des Radentscheids mit wenigstens drei Mal 2,6 Millionen Euro vorgesehen hat, erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich.

Stadt will 16 Millionen Euro in Radwege investieren

Auch wenn das Vorgehen, eine vermeintliche Partnerschaft erst einmal brutal einzukassieren, um dann wieder weitgehende Angebote zu liefern, stark an Trumpsche Verhandlungsmuster erinnert, ist doch zu beachten, dass der Magistrat verpflichtet ist, die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens zu prüfen. Wie bei jeder Rechtslage gibt es dabei Spielräume. Dass der Magistrat die Verwaltung jedoch angewiesen haben sollte, diese Spielräume in ihrem Gutachten politisch zu nutzen, wäre natürlich möglich, ist aber kaum zu belegen.

Radentscheid-Initiatior Grünwald glaubt jedoch eine plausible Strategie im Vorgehen der Stadt ausmachen zu können: „Die Regierung möchte die Deutungshoheit über ihre Kernthemen wieder erlangen.“ Mit rund 11.000 gesammelten Unterschriften weiß die Initiative mehr Menschen hinter sich, als die CDU bei der jüngsten Kommunalwahl Stimmen bekommen hat. Auch wenn die Regierung einen Bürgerentscheid vermeiden möchte, einfach nachzugeben würde ihren Führungsanspruch in Frage stellen. Überrascht sei er deshalb nicht vom Vorgehen des Stadt, so Grünewald: „Niemand von uns hat erwartet, dass es leicht werden würde.“

www.radentscheid-darmstadt.de

 

Lokalpolitik-Kolumne im P

Sebastian Weissgerber hat bis 2009 für die Frankfurter Rundschau aus dem Darmstädter Stadtparlament berichtet. Im P schreibt er seit Februar 2017 als „Vierte Säule“ über die hiesige Politik.

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