Foto: Stefan Holtzem

Im September haben die Lilien ihren Kader nachgebessert. Mit den vertragslosen Marco Thiede und Philipp Förster holten sie sich reichlich Erst- und Zweitligaerfahrung ins Team. Während Ex-KSC-Spieler Thiede eine Alternative für die rechte Abwehrseite ist, soll Förster die Offensive beleben. Dem zuletzt für Bochum spielenden 29-Jährigen werden Qualitäten als Zehner nachgesagt. Ein Prädikat, das in Darmstadt schon länger kein Kicker mehr trug – genauso wenig wie die Zehn auf dem Rücken.

Philipp Rentsch begleitet den VfL Bochum schon seit vielen Jahren als Sportjournalist. Zuletzt tauschte ich mich mit ihm über Philipp Förster aus. Ich wollte von Rentsch wissen, was die Lilienfans von dem spät verpflichteten Zugang erwarten dürfen. Der VfL-Reporter sieht in Förster einen technisch starken Spieler, der Chancen kreiere, aber auch selbst den Abschluss suche. Er sei gut im Finden von Räumen und habe ein Gespür dafür, wann sich vielversprechende Abschlusssituationen ergeben. Wenn es um die richtige Position für den 83-maligen Bundesligaspieler geht, so sehe ihn Rentsch als Achter, viel mehr aber noch als Zehner.

Der Mythos Zehn …

Als Zehner, also als Spielmacher, waren schon lange keine SVD-Transfers mehr eingeordnet worden. Gefragt sind vielmehr am Spielaufbau beteiligte Sechser oder Achter, schnelle und ballgewandte Flügel- beziehungsweise Schienenspieler oder Angreifer sowie Innenverteidiger. Dabei waren es doch einmal die Zehner, die einem Team und einem Spiel den Stempel aufdrückten. Sie gaben dem Offensivspiel durch ihre technischen Fähigkeiten Impulse und sorgten durch Torvorlagen und Tore für das Salz in der Suppe. Sie sahen und fanden Räume, die sonst niemand sah oder zu bespielen vermochte. Unvergessen die großen Spieler, die die Zehn auf dem Rücken trugen und oftmals ihre Nationalteams als Kapitän anführten: Platini, Zico, Maradona, Zidane.

… verblasst ein wenig

Doch das Spiel, es ist inzwischen deutlich schneller, kompakter und athletischer geworden. So wird durch hohes Pressing der schnelle Weg zum Torerfolg gesucht. Oder das Spiel wird strategisch von deutlich weiter hinten geordnet und aufgebaut. Von den Sechsern oder gar spielstarken Verteidigern. Auch über den Flügel kommen immer mehr Impulse, die ein Spiel entscheiden, wie ehedem die Bayern mit Ribéry und Robben oder zuletzt die Spanier bei der EURO mit Yamal und Williams gezeigt haben. Den reinen Zehner, wie noch vor 20, 30 oder gar 50 Jahren, den gibt es so aktuell nicht mehr. Denn dieser kümmerte sich nicht um die Defensivarbeit. Etwas, das heute undenkbar ist. Jeder Spieler, der im System nicht auch nach hinten gewisse Aufgaben erfüllt, oder der zumindest früh Druck auf den Gegner ausübt, der ist ein verlorener Spieler.

Achter + Zehner = 18er

Deshalb überrascht es nicht, wenn Rentsch im Gespräch mit mir Neu-Lilie Förster neben der Zehner- auch die Achterposition zutraut. Denn beides hatte er in Bochum gespielt. Ein Achter agiert etwas tiefer im Mittelfeld als der Spielmacher. Er ist zwischen den Strafräumen unterwegs, unterstützt neben Defensivaufgaben das Aufbauspiel und sucht auch Torabschlüsse. Schön und wichtig also, wenn ein Spieler wie Förster beide Rollen ausüben kann. Auf seinem Trikot trägt Förster dahingegen weder die Acht noch die Zehn, sondern konsequenterweise die 18. Quasi als Summe der beiden Positionen, die er offenbar am besten beherrscht. Dennoch hätte sich Förster bei den Lilien problemlos die immer noch prestigeträchtige Zehn schnappen können. Denn sie ist nach wie vor nicht vergeben und beim SVD so etwas wie ein Ladenhüter geworden.

Da Costa der letzte echte Lilien-Zehner

Der letzte Zehner, der als solcher bei den Lilien auf sich aufmerksam machen konnte, war der Brasilianer Elton da Costa Junior. Der Mann mit dem feinen linken Fuß schoss den SVD mit ebenjenem im Mai 2014 in Bielefeld in die 2. Bundesliga. Der Routinier trug die Zehn damals völlig zu Recht. Denn er war in einem Team der sportlich eigentlich in die 4. Liga abgestiegenen und anderswo weggeschickten Kicker derjenige, der technisch herausragte. Auch in der 2. Bundesliga hatte er für Augsburg die Zehn getragen. Doch nach ihm sollte das Trikot der Spielmacher nur noch Maurice Exslager tragen, der bei den Lilien nun wahrlich keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, und Jan Rosenthal, der zwar ein technisch versierter Spieler war, der aber dem Spiel in Darmstadt nicht so recht seinen Stempel aufdrücken konnte.

Keiner will sie wirklich haben

Seit Rosenthals Weggang im Jahr 2018 hat nur noch ein Spieler die Zehn getragen: Filip Stojilkovic in der letzten Hinrunde. Diese Tatsache darf man aber als Ausdruck reinen Wunschdenkens deuten. Denn sportlich war der Schweizer Angreifer in der Bundesliga gar kein Faktor. Im Winter ging er leihweise nach Kaiserslautern, zuletzt nach Serbien. Und so ist die Zehn wie so oft vakant im Lilienkader. Neben Schalke und Köln sind die 98er der einzige Zweitligist, der die Zehn nicht vergeben hat. Schon merkwürdig, dass diese Nummer am Bölle so gar keine Begehrlichkeiten zu wecken scheint. Das war bei Michael Anicic noch ganz anders, der sie sich 2003/04 sicherte und bei seiner Rückkehr ein paar Jahre später gleich noch einmal. Es wäre also mal wieder Zeit für eine Zehn am Bölle. Denn die Nummer hat ja immer noch eine große Strahlkraft. In Leverkusen trägt sie Flo Wirtz, in der Nationalelf Jamal Musiala und bei Argentinien Lionel Messi. Derjenige, der am besten mit der Pille umgehen kann, läuft also häufig immer noch mit der Zehn auf. Das Förster ballgewandt ist, das zeigte er bereits in den ersten Partien. Sollte er das Offensivspiel der 98er maßgeblich prägen, dann kann er sich die Zehn ja liebend gerne in der kommenden Spielzeit schnappen. Und dann würden vielleicht auch mal wieder Fantrikots mit der Zehn am Bölle zu sehen sein. Aktuell haben sie absoluten Seltenheitswert.

 

Struktur bringt Punkte!

Sa, 2.11., 13 Uhr: SpVgg Greuther Fürth – SV Darmstadt 98

Sa, 9.11., 13 Uhr: SV Darmstadt 98 – Hertha BSC

Sa, 23.11., 13 Uhr: Hannover 96 – SV Darmstadt 98

Sa, 30.11., 20.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – SC Preußen Münster

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Zudem führt er seit einigen Jahren Interviews für den „Lilienkurier“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog