Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Der SVD spielt wieder mit den Großen des deutschen Fußballs – und das hat er an den ersten Spieltagen auch prompt zu spüren bekommen. Zumal das Team der Lilien nach wie vor größtenteils aus der bekannten Zweitligatruppe besteht. Hinzu kommen acht Zugänge, die aber nur punktuell über Bundesligaerfahrung verfügen. Also eine verfehlte Personalpolitik? Es ist kompliziert.

Dass gestandene Bundesligaspieler einem Aufsteiger guttun, haben die 98er in der Saison 2015/16 bewiesen. Mit erfahrenen Recken wie Peter Niemeyer, Sandro Wagner, Konstantin Rausch und Luca Caldirola gelang ihnen der sensationelle Klassenerhalt. Vor der laufenden Saison gingen die Lilien einen anderen Weg. Mit Fabian Nürnberger, Christoph Klarer und Andreas Müller lotsten sie jüngere Zweitligakräfte ans Bölle. Fraser Hornby und Matej Maglica spielten zuletzt in den Eliteklassen Belgiens und der Schweiz.

Im letzten Transfermonat August sollten dann aber doch noch ein, zwei Spieler hinzustoßen, die aufgrund ihrer Erfahrung „Anker“ für die anderen sein sollten. So hatte es sich Lilien-Coach Torsten Lieberknecht im Lilienkurier-Interview gewünscht. Nun, herausgekommen ist die Leihe von drei Spielern, die allesamt entwicklungsfähig sind und zusammen gerade mal 36 Bundesligaspiele auf sich vereinen. Sicher nicht die Art von Erfahrung, die Lieberknecht meinte. Er wies im Interview aber auch darauf hin, dass die Neuen teamfähig sein müssten. Bei den Rückkehrern Tim Skarke und Luca Pfeiffer dürfte das der Fall sein. Und bei Bartol Franjic gehen wir einfach mal davon aus, dass er kein Stinkstiefel ist.

Heidenheim und die Lilien holen kaum Bundesligaerfahrung

Letztlich kommt es im Abstiegskampf der Bundesliga darauf an, dass die letztjährigen Spieler rasch ihr Niveau anheben und die Neuen fehlende Qualitäten mitbringen. Ob das der Fall sein wird? Das wird sich zeigen. Klar ist: Die Transferpolitik ist im Vergleich zum Sommer 2015 komplizierter geworden. In den vergangenen acht Jahren sind die Ablösesummen geradezu explodiert. Gerade für junge Talente, aber natürlich auch für Spieler im besten Fußballalter. Das Aufkreuzen eines finanziell omnipotenten Players wie der saudi-arabischen Fußballliga hat zuletzt alles pervertiert. Wenn seit diesem Jahr massenhaft Spieler für Mondgehälter an den Persischen Golf wechseln, wirkt sich das auch auf die Bundesliga und damit die Lilien als „ärmste“ Kirchenmaus aus.

Denn die Scheichklubs kaufen nicht nur die großen alten Namen des Weltfußballs, sondern Spieler, die voll im Saft stehen. Und die abgebenden Klubs bedienen sich dann wiederum bei anderen europäischen Klubs und schon ist eine Spirale in Gang gesetzt, die Transfersummen und Gehaltsvorstellungen beinhaltet, die Klubs wie den 1. FC Heidenheim oder eben die Lilien überfordern. Heidenheim holte gar nur einen Spieler mit Erstligaerfahrung auf Leihbasis, den Bremer Ergänzungsspieler Eren Dinkci. Und auch Torsten Lieberknecht ließ durchblicken, dass der SVD mit anderen gar nicht erst mithalten kann und will. Das musste er bei einem „Versuch“ erleben, als er in einem „anderen Regal“ als bislang suchte und „von den Forderungen erschlagen“ wurde.

Saudi-Arabien und Investoren verändern den Profifußball

Nehmen wir einmal rein hypothetisch an, die 98er hätten sich im Sommer für Alexander Hack interessiert. Der Abwehrspieler stand bei Mainz 05 unter Vertrag und brachte es dort auf über 140 Einsätze für das Profiteam. Anfang August wurde bekannt, dass der 29-Jährige Mainz verlässt. Er wechselt zu Al-Qadsiah in die zweite (!) Liga Saudi-Arabiens. Etwas, das vor Jahresfrist undenkbar gewesen wäre.

Doch nicht nur die Petrodollars verändern das Fußball-Business, auch Finanziers, die mehrere Profiklubs besitzen. So wechselte jüngst der erst 19-jährige Ghanaer Ernest Nuamah vom dänischen Erstligisten Nordsjaelland zu RWD Molenbeek nach Belgien. So weit, so wenig spektakulär. Molenbeek verpflichtete den Angreifer jedoch für die belgische Rekordsumme von 25 Millionen Euro. Und das als Aufsteiger! Doch für die Belgier wird Nuamah wohl nie spielen, denn der verlieh ihn umgehend an Olympique Lyon. Hintergrund: Die Klubs aus Molenbeek und Lyon gehören zur selben Holdinggesellschaft. Da die französische Finanzkontrollbehörde aber wegen finanzieller Ungereimtheiten gegen Olympique ermittelt, konnte der Klub keine großen Summen ausgeben und umging über die Holding den direkten Transfer ebenso kreativ wie fragwürdig.

Üppige Handgelder sind die neuen Ablösesummen

Saudi-Arabien und Investoren sind aber nur ein Teil der Geschichte. Die Spieler und ihre Berater sitzen oft am längeren Hebel. Denn heutzutage wechseln Fußballer häufiger als früher erst nach dem Ende ihrer Vertragslaufzeit. Fein, könnte man sich jetzt denken. Dann spart der neue Klub die Ablösesumme. Ja und nein. Stattdessen wirtschaften Spieler und Berater nämlich in die eigene Tasche. Denn sie kassieren für ihre Unterschrift ordentlich Handgeld. Schon vor fünf Jahren soll Nationalspieler Leon Goretzka für seinen ablösefreien Wechsel von Schalke zu Bayern angeblich 20 Millionen Euro kassiert haben. Gleiches gilt, wenn gefragte Spieler ihre Verträge verlängern. Auch dann ist nicht nur mehr Gehalt drin, sondern auch ein Handgeld.

Die Lilien haben es heute also mit mehreren Herausforderungen zu tun, wenn sie Spieler holen oder binden wollen. So soll Philipp Tietz (beziehungsweise dessen Berater) nicht gewillt gewesen sein, den Vertrag bei den 98ern vorzeitig zu verlängern. Ergo könnte – wohlgemerkt könnte – es das Kalkül gewesen sein, nach dieser Saison ohne Ablöse (und für etwas Handgeld) zu wechseln. Angesichts einer solchen Aussicht dürfte der überraschende und kurzfristige Verkauf von Tietz im Juli in einem anderen Licht erscheinen, denn er sicherte dem SV Darmstadt 98 e. V. immerhin etwas über zwei Millionen Euro Transfererlös. Und dass die Lilien vier der acht neuen Spieler für diese Saison nur liehen, wird angesichts der oben geschilderten Zustände etwas nachvollziehbarer. Denn wir dürfen davon ausgehen, dass gestandene Erstligaprofis entweder entsprechend viel kosten oder entsprechend großzügig die Hand aufhalten. Ganz zu schweigen von den Gehaltsvorstellungen. Und das ist mit dem SVD eben nur schwer zu machen.

 

Pünktchen für Pünktchen …

So, 1.10., 15.30 Uhr: Darmstadt 98 — Werder Bremen

Sa, 7.10., 15.30 Uhr: FC Augsburg — Darmstadt 98

Sa, 21.10., 15.30 Uhr: Darmstadt 98 — RB Leipzig

Sa, 28.10., 15.30 Uhr: Bayern München — Darmstadt 98

sv98.de

 

Zwei Ausstellungen zum Vereinsjubiläum

Ein digitales Lilien-Museum mit zahlreichen Trikots in 3D-Animation findet Ihr seit September online unter lilien.museum.

Außerdem läuft die Sonderausstellung „125 Jahre Lilien: Zusammenhalt. Offenheit. Vielfalt.“ mit historischen Fotos, exklusiven Exponaten wie Ehrennadeln, Plakaten, Wimpeln und Fanschals sowie weiteren Unikaten aus der Vereinsgeschichte:

Stadthalle Ober-Ramstadt | 16.9.23 bis 25.2.24 | So von 14.30 bis 17.30 Uhr, weitere Infos: museum-ober-ramstadt.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog