Kulturräume in Darmstadt: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Mit einem digitalen Kataster könnten sie verortet und genutzt werden. Die Idee existiert seit Jahren, doch ein Launch lässt auf sich warten. Warum eigentlich? Und was können wir in der Zwischenzeit tun?
„Kultur […] ist das Ferment der Stadtgesellschaft, sie erzeugt Identität und führt Bürgerinnen und Bürger zusammen. Damit ihr das gelingt, braucht Kultur – und brauchen die Kulturschaffenden – Freiräume“ – so die Worte des Darmstädter Oberbürgermeisters Hanno Benz. Wo können diese Räume sein und wie müssen sie aussehen? Was unternimmt die Stadt, um Kultur, um Subkultur und vor allem junge, noch nicht etablierte Kunstschaffende zu unterstützen? Wie können sich Kulturorte und -kreierende vernetzen und die begrenzten Ressourcen nutzen? Mit diesen Fragen habe ich mich auf in die frische Herbstluft gemacht und mit Darmstadts Kulturreferentin Gabriele König, Albrecht Haag vom Verein Kultur einer Digitalstadt sowie Darmstädter Kreativen gesprochen. Gesammelte Perspektiven, gemeinsam anerkannte Probleme und gemeinschaftsorientierte Lösungsansätze gibt es – auch in diesem Artikel.
„Ich bin 28 Jahre alt und mache seit fünf Jahren Musik. Bisher ist es mir […] nur teilweise gelungen, Eintritt in die Musik- beziehungsweise Kulturszene zu bekommen“, erzählt mir Leonie. Mit dem Schwinden der Glasbläserei als Proberäumen fehle es trotz Angeboten wie Jam Sessions an Orten für kreative Vernetzung und Austausch, findet sie. In der Telegram-Gruppe „Musik in Darmstadt“ hatte ich offen gefragt, was den lokalen Musiker:innen an der Kulturszene fehle und was sie brauchen, um ihrer Kreativität nachgehen zu können. Zahlreiche von ihnen bemängeln, es fehle an Räumen, um sich auszuprobieren, voneinander zu lernen, mal laut zu sein. Räume, „wo es nicht nach altem Kellerteppich stinkt, sondern, wo sich Menschen trauen, zu atmen“, wie es Lisa formuliert. Für viele Musiker:innen war ein solcher Ort die herzlich vermisste Glasbläserei, für andere ist es der Osthang, der im kommenden Jahr wohl endgültig dem Welterbe-Besucherzentrum weichen muss. Wie schafft man aber mehr Räume für Kultur in Darmstadt? Was tut die Stadt, um diesen immensen Stellenwert, den OB Hanno Benz der Kultur in Darmstadt öffentlich zuschreibt – auch finanziell – gerecht zu werden?
Zu wenig Raum für (Sub-)Kultur?
„Wir haben bereits viele, vielfältig genutzte Kulturräume“, attestiert Gabriele König, seit Oktober 2023 Darmstädter Kulturreferentin. Gerade aufgrund der aktuell eher schlechten wirtschaftlichen Lage sei es sinnvoll, „sich auf die Räume zu besinnen, die wir haben, anstatt unbedingt noch mehr zu schaffen“. Wichtig sei vor allem (sowohl nach außen hin, für die „Marke Darmstadt“, als auch zur Stärkung der Vernetzung untereinander): die Sichtbarkeit von Kulturräumen. Außerdem: Solidarität. Bestehende Kulturräume etwa könnten mehrfach genutzt werden, um mit begrenzten Ressourcen möglichst vielen Raum zu bieten, so König. Ans Teilen sind Musiker:innen in Darmstadt schon gewöhnt, das Problem fehlender Räume ist aber dennoch nicht gelöst: „Oh liebe:r Weihnachtsfrau/-mann, ich wünsche mir einen bezahlbaren Proberaum, in dem ich Schlagzeug spielen kann“, schreibt mir Oskar. Auch Lisa findet: „Schöne Gemeinschaftsräume wären praktisch“, sodass die Miete durch die Mehrfachnutzung nicht so hoch ausfalle.
Lösung im Digitalen? Eine Initiative mit App
Besonders prekär wurde es für die lokale Kulturszene während der Corona-Pandemie. „Insbesondere freie Kulturschaffende waren gefordert, umzudenken, sich extrem weiterzuentwickeln“, erklärt Albrecht Haag, „und etwa von geschlossenen Räumen in den öffentlichen Raum zu wandern.“ Die pandemiebedingten Einschränkungen haben unter den Kreativen von Kultur einer Digitalstadt e. V. die Frage aufgeworfen: Wie lässt sich der Kulturbetrieb in einer Stadt grundsätzlich stärker in den öffentlichen Raum erweitern? Mit einer digitalen Kulturkarte für Darmstadt hat Albrecht Haag so eine Initiative ins Leben gerufen, die sich sowohl dem von Gabriele König geäußertem Problem der mangelnden Sichtbarkeit von bestehenden Kulturräumen als auch dem der zu wenigen Räume annehmen will (oder wollte). Die Idee: eine interaktive Karte, in der Räume für kulturelle Nutzung sichtbar werden, um einen niedrigschwelligen Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Ähnliche Projekte gibt es mit dem Kulturkataster in Berlin sowie dem Portal „Räume für Kultur“ der nordhessischen Stadt Kassel (to name a few).
Zurück zur Darmstädter Kulturkarte: Mehrere Jahre nach Gründung des Projekts, nach erfolgreicher Entwicklungsphase im Jahr 2021, gibt es heute eine App, sogar eine digitale Kulturkarte des ganzen Rhein-Main-Gebiets. Allerdings fehlte Geld, um eine Redaktion zu bezahlen, Nutzungskompetenz zu vermitteln, Marketing zu betreiben und das ganze Projekt instand zu halten. „Wie ein Haus ohne Hausmeister:in“, scherzt Albrecht Haag. Zudem habe sich die Ausrichtung der App geändert: Sie soll einen Überblick über alle (etablierten) Kulturräume inklusive deren Programm bieten. Dazu dienen, neue Räume zu schaffen, soll sie aber vorerst nicht. „Die Realität hat uns eingeholt“, erklärt der Initiator des Projekts, „der Bedarf nach neuen Räumen ist zwar da, Reichweite sowie Nutzungskompetenz sind es aber nicht. Wichtig ist erst mal, dass überhaupt eine Karte alles zusammenbringt.“ Wer die App trotz nicht-kuratiertem Zustand heute herunterladen möchte, findet dort beispielsweise den „PaMo-Pakour“ und – sehr zu empfehlende – Themenwege mit Audioguide zum Thema Wasser. Aktuell bewirbt sich das Projekt auf eine World-Design-Capital-Förderung, was nicht nur Geld, sondern auch Reichweite schaffen würde.
Und die Bands?
Eine Idee wäre etwa die Nutzung von Leerstand, etwa dem Galeria-Kaufhof-Gebäude, wie auch Musiker Oskar auf meine „Musik in Darmstadt“-Frage antwortet. Gerade in so einer krisenbehafteten Zeit und schwierigen Haushaltslage wäre es kreativ und lösungsorientiert, parallele Entwicklungen wie das Innenstadtsterben zu nutzen, um Raum für Interaktion und Kreativität zu schaffen, so seine Einschätzung.
Für diejenigen, die sich innig einen Proberaum unterm Weihnachtsbaum wünschen, mag dieser Artikel erst mal wenig Freude bringen. Abschließend möchte ich aber die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen, auf die sich aber in jedem Fall konstruktiv bauen (und optimistisch werden) lässt: Wichtig für die kulturelle Szene, deren Vernetzung und deren Nutzung, ist Sichtbarkeit von kulturellen Orten. Wichtig im Bereich der Kulturförderung ist, nicht nur das „glänzende Endprodukt, sondern auch den harten, teils einsamen Weg in verschwitzten Kellern“ zu sehen (zitiert nach Michael Marquardt zur Schließung der Glasbläserei) und wertzuschätzen. An Euch noch nicht in Geld schwimmende Kulturschaffende: Ja, es mangelt an einigem und Bürokratie häuft sich beziehungsweise verhindert, aber es gibt auch Anträge zur Förderung von Projekten und kulturellen Vereinen, die Ihr nutzen könnt, um beispielsweise die Miete für ein Atelier oder einen Proberaum zu zahlen (multiple Nutzung spart dabei Ressourcen). Tut Euch zusammen, werdet kreativ und nutzt den öffentlichen Raum (denn auch hier kann man Sondernutzungsanträge stellen, etwa um ein Konzert auf einem öffentlichen Platz zu veranstalten). Kreativität bedeutet auch, seine Umgebung zu gestalten. „Kunst braucht Menschen und Menschen brauchen Kunst“ – da möchte ich abschließend Kulturreferentin Gabriele König zustimmen. Denn die Stadtkultur, das sind wir!
https://kultur-digitalstadt.de/wp-content/uploads/DigitalSalon7.pdf
„KulturKarte – die App“
Eine digitale Kulturkarte des Rhein-Main-Gebiets gibt es bereits, herunterladen könnt Ihr sie im App Store Eures Smartphones. Dort findet Ihr etwa den „PaMo-Pakour“, Wasser-Themenwege und einen Weg entlang der Kunstwerke von „Poesie im Park“ in Wiesbaden. Insgesamt ist es aber eine App im Rohbau-Zustand, die hoffentlich ganz bald (mit entsprechender Förderung) kuratiert, gepflegt und genutzt werden kann.
„KulturKarte“ im iOS App Store oder Android Google Play Store eingeben und herunterladen.