Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Wunderschöne Blumenpracht und das Quaken der Frösche verzaubern die Rosenhöhe im Sommer, Kunstausstellung und der Spanische Turm begeistern auch im Winter. Aber Moment mal, was ist denn das? Die beiden Mausoleen, die mitten im Park Rosenhöhe stehen, sind ein Anblick, den man eher auf einem Friedhof, wenn nicht sogar an einem Filmset für einen Horrorfilm erwarten würde. Die beiden Gebäude sind Eigentum der Kulturstiftung des Hauses Hessen. Besonders beeindruckend sieht das von einem hohen Zaun umgebene Alte Mausoleum aus. Ich habe schon einige Male hier innegehalten, nachdenklich durch den Zaun geschaut und mich gefragt, was wohl die in goldenen Lettern über dem Eingang prangende Aufschrift „IN SPEM AETERNI CONSORTII“ zu bedeuten hat. Höchste Zeit, dem nachzugehen.

Der Architekt und Denkmalpfleger Nikolaus Heiss führt gelegentlich ausgewählte Gruppen durch die beiden Mausoleen. Höchstens 15 Personen dürfen pro Führung teilnehmen – noch mehr Menschen auf einmal würden die wertvollen alten Böden beschädigen. Wir stehen vor dem Tor, das das Alte Mausoleum vor Eindringlingen schützt. Ich bekomme eine vorfreudige Gänsehaut, als Nikolaus Heiss die Stahlkette, mit der das Tor verschlossen ist, rasselnd öffnet.

Das Alte Mausoleum

Durchs Tor getreten, trennt uns nur noch eine kleine Wiese vom Gebäude, das sich beinahe bedrohlich vor uns erhebt. Als es 1826, also vor fast genau 200 Jahren, erbaut worden ist, war es noch vollständig in Weiß gehalten, erzählt Heiss. Heute hat es einen rötlichen Sandsteinton. Großherzogin Wilhelmine hatte das Mausoleum mitten an ihren Lieblingsort – der Rosenhöhe – erbauen lassen. Es sollte die Grabstätte ihrer im Alter von gerade einmal fünf Jahren verstorbenen Tochter Elisabeth sein. Entworfen wurde der klassizistische Bau, der griechische und römische Stile miteinander vereint, vom Darmstädter Architekten Georg Moller und ist heute der einzige völlig unversehrte Bau, der Moller zugeordnet werden kann. Die beiden symmetrischen Seitenflügel waren erst mehr als vierzig Jahre später dazugekommen, als sich weitere verstorbene Mitglieder der royalen Familie dazugesellten. „IN SPEM AETERNI CONSORTII“ heißt: „In der Hoffnung auf ewige Gemeinschaft“, erfahre ich endlich. Einzig die Kunststoffregenrinnen scheinen hier so gar nicht ins Bild zu passen. Sie haben provisorischen Charakter: Bei der letzten groben Restaurierung vor rund 13 Jahren waren die baufälligen Regenrinnen durch neue aus Kupfer ersetzt und nur wenige Tage darauf wegen ihres Materialwerts von Unbekannten entwendet worden, erzählt Heiss.

Nun wird es ernst. Während ich mir die Schuhe abtrete, damit ich keine Steinchen hereintrage, die den Boden beschädigen könnten, öffnet der Denkmalpfleger die schwere dunkle Tür. Wobei „öffnet“ eigentlich nicht das richtige Wort ist. Vielmehr setzt er einen mechanischen Prozess in Gang, der auch noch den Sicherheitsmaßnahmen in Gringotts Zaubererbank als Inspiration dienen könnte. Ich mache einen Scherz über den Knoblauch, den ich heute leider zu Hause gelassen habe, und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich diesen Ort durchaus etwas gruselig finde und nicht allzu überrascht wäre, sollten Rüdiger von Schlotterstein und seine Vampirfamilie uns hinter der Tür bereits grinsend erwarten. Nikolaus Heiss öffnet die leise knarrende Tür. Unmittelbar schlägt uns kalte, etwas muffige Luft entgegen.

Foto: Nouki Ehlers, nouki.co
Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Wir betreten das Vestibül, eine kleine Eingangshalle, die dank einiger Fenster, durch die das Herbstlicht hereinfällt, überraschend hell ist und in der unsere Schritte laut widerhallen. Mein Blick ist gefesselt von etwas, das sich genau in der Mitte des Raumes befindet: Es ist die marmorne Statue der fünfjährigen Prinzessin Elisabeth, schlafend dargestellt. Ich trete näher heran. Fünf Jahre lang hatte der Berliner Bildhauer Christian Rauch an der Statue gearbeitet, und diesen Zeitaufwand sieht man ihr auch an. Das Mädchen sieht so echt aus, als würde es tatsächlich nur schlafen und als würde es die Augen aufschlagen, kaum dass man es berührte. Zu beiden Seiten des Raumes stehen Büsten, die das schlafende Kind in ihrer Mitte zu bewachen scheinen. Es sind die Großeltern Elisabeths, Ludewig I. von Hessen und bei Rhein (genau, der auf dem „Langen Lui“) und Luise Henriette Karoline von Hessen und bei Rhein. Es fällt mir schwer, den Blick von der Marmor-Elisabeth abzuwenden, doch dann erweckt etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Die Decke ist anders als das von außen eckige Giebeldach kuppelförmig und mit kastenförmigen Vertiefungen, sogenannten „Kassetten“, verziert. Ihr Anblick verzaubert mich einige Minuten lang. Hinter dem Vestibül folgt ein weiterer Raum, in dem es einen Altar und jede Menge Wandtafeln gibt, auf denen die Namen aller im Mausoleum Bestatteten – insgesamt rund zwölf Personen – geschrieben stehen. War jemand verstorben, so fand in diesem Raum die Trauerfeier samt Pastor statt.

Elisabeth selbst liegt nicht im Vestibül, wo ihr Marmordenkmal steht, sondern in der rechten Seitengruft, die wir als Nächstes betreten. In dem kleinen Raum, in dem wir uns wiederfinden, ist es so kalt, dass der Atem vor uns in der Luft steht. Die altersbedingten Gebäudeschäden sind hier deutlich zu erkennen: Die Farbe der kunstvollen Wandmalereien blättert an einigen Stellen ab, und im Sommer kondensiere das Wasser an der Decke und tropfe herunter, berichtet Heiss. Er schiebt ein großes, auf dem Boden liegendes Holzbrett zur Seite und leuchtet mit einer Taschenlampe in das dunkle, rechteckige Loch, das darunter zum Vorschein kommt. Ich gehe in die Knie und blicke hinein. Und wirklich: In der Krypta stehen tatsächlich Särge. Richtige, echte Särge. Sie sehen ganz unterschiedlich aus, weil sie aus so verschiedenen Zeiten kommen. Ein kleiner metallener Sarg ist eindeutig als der von Prinzessin Elisabeth zu erkennen. Ein anderer altertümlicher Sarg war wohl mit einem Tuch bedeckt worden, das nun allerdings schon ziemlich verwittert aussieht. „Ich war einmal unten“, erzählt Heiss, „das ist aber schon lange her und da wurde mir dann auch etwas mulmig zumute.“ Draußen müssen sich meine Augen erst mal wieder ans grelle Tageslicht gewöhnen.

Das Neue Mausoleum

Nachdem unser Tourguide das Tor wieder hinter uns verschlossen hat, schlendern wir durch das Eibenwäldchen, das zwischen dem Alten und dem Neuen Mausoleum liegt. Einst war es gepflanzt worden, um mit immergrünen Bäumen einen dunklen, traurigen Ort zu schaffen. Der Ort hat eine besondere Wirkung auf mich, die schwer in Worte zu fassen ist. Es ist, als würde hier eine Decke der Melancholie über allem liegen. Durch die Zweige der Bäume und auf die Außenwand des Neuen Mausoleums fällt die tief stehende Wintersonne – als wäre ein Scheinwerfer darauf gerichtet. Großherzog Ernst Ludwig hatte es zwischen 1905 und 1910 als Grabmal für seine Eltern und früh verstorbenen Geschwister erbauen lassen. „Der Architekt Karl Hofmann hat das Neue Mausoleum nach dem Vorbild einer Grabkapelle in Ravenna gebaut“, erzählt Heiss. Er zeigt mir ein Foto auf seinem Handy, denn er ist vor ein paar Jahren selbst in die Emilia-Romagna gereist. Und tatsächlich: Die beiden Gebäude sehen wirklich beinahe identisch aus.

Foto: Nouki Ehlers, nouki.co
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Die über und über mit Verzierungen bedeckte, bronzene Eingangstür sieht aus, als könne man durch sie hindurch geradewegs nach Narnia spazieren. Auch hier vollzieht der Denkmalpfleger wieder ein komplexes Öffnungsritual (den Zauberspruch, der für die Öffnung nötig ist, will er mir allerdings nicht verraten). Wir betreten einen kleinen Raum und sofort entfährt mir ein staunendes „Oh!“. Die Wände und die Decke sind mit unzähligen bunten Glasmosaiksteinen bedeckt. Ein absolut prachtvoller Anblick. An einigen Stellen war der Zustand der Mosaiksteine allerdings so schlecht gewesen, erklärt Heiss, dass sie abgenommen werden mussten, damit sie nicht herunterfallen. Die abgenommenen Steine lagern nun in einer Ecke des Raumes und warten darauf, wieder angebracht zu werden. Der Boden ist mit großen Natursteinplatten bedeckt – teils seien dies Originale aus der Markuskirche in Venedig. Zu beiden Seiten des folgenden Raumes stehen steinerne Sarkophage. Einer von ihnen ist die letzte Ruhestätte der Großherzogin Alice, Tochter der britischen Königin Victoria und Ur-Ur-Großmutter von König Charles. Als ihre Tochter Marie mit nur vier Jahren an Diphterie erkrankte, hatte sich Alice bis zu ihrem Tod um sie gekümmert, sich dabei angesteckt und war wenige Wochen nach ihrer Tochter verstorben. Das Grab von Alice ist mit zwei lebensgroßen Marmorfiguren geschmückt: sie selbst, die kleine Marie schützend in den Armen haltend. Ich schlucke. Ganz schön bewegend. Wir sehen uns noch die anderen Sarkophage an, die hier untergebracht sind, darunter auch der von Großherzog Ludwig IV. und zwei in Kindergröße. Dann verlassen wir das Neue Mausoleum wieder und die Bronzetür fällt hinter uns ins Schloss.

Er würde sich freuen, wenn Gelder zur Verfügung gestellt würden, um beide Mausoleen noch einmal richtig zu restaurieren und von Grund auf zu sanieren, damit sie zukünftig auch vor weiteren Schäden durch Feuchtigkeit geschützt seien, erzählt Nikolaus Heiss. Verhandlungen zwischen dem Landesamt für Denkmalpflege, der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz und der Stadt Darmstadt laufen bereits. Vieles könne im Rahmen einer solchen Grundsanierung auch noch genauer erforscht werden. Denn es gibt noch offene Fragen. Etwa, wozu der „Anhebe-Knauf“ in einer der Bodenplatten im Neuen Museum diene, die normalerweise eine darunterliegende Krypta versiegelten – was hier allerdings nicht der Fall sein könne, da der Knauf an einer Stelle angebracht sei, die keinen Sinn ergebe. Oder, ob es neben den bisher bekannten noch weitere unentdeckte Krypten geben könne.

Ich verarbeitete das eben Gesehene. Dieser Ort, der hier seit fast 200 Jahren einen dornröschenartigen Schlaf schläft, ist nicht unheimlich, wie ich anfangs erwartet hatte, sondern tatsächlich wunderschön. Selbst die Särge unten in der Krypta stehen zu sehen, hat mich tief beeindruckt – auch wenn ich Nikolaus Heiss verstehen kann und nicht unbedingt selbst dort unten hineinsteigen möchte. Wie wunderbar wäre es, wenn alles hier renoviert und der Ort dauerhaft für Besucher:innen geöffnet werden könnte? Es wäre ein Riesengewinn, denn dann könnte man nicht nur den Spaziergang über die Rosenhöhe mit dem Bestaunen kunstvoller Architektur abrunden, sondern auch die zauberhaften Marmorskulpturen, Mosaikmuster und Wandmalereien bewundern – und obendrauf eine gute Portion Stadtgeschichte atmen.