Collage: André Liegl

Mitte Januar deckte die Reportage „Das braune Netzwerk“ des Fernsehsenders WDR auf, dass ein Gesellschafter des Darmstädter DAX-Unternehmens Merck seit Jahren in rechtsextremen „Reichsbürger“-Kreisen („Deutsches Kolleg“) verkehrt. Also jenen verschwörungstheoretischen Nazi-Kreisen, die die Bundesrepublik Deutschland als „BRD GmbH unter Okkupation der Alliierten “ bezeichnen, auf einem völkerrechtlichen Fortbestand des „Deutschen Reiches“ beharren und in überwiegenden Teilen die Verbrechen des Holocaust leugnen. Des Weiteren wird Markus Stangenberg-Haverkamp, so der Name des Gesellschafters, in der Reportage vorgeworfen, an einer der geschichtsrevisionistischen „Holocaust-Konferenzen“ im Iran teilgenommen zu haben und enge Kontakte zu NPD-Größen wie Horst Mahler (mehrfach verurteilt wegen Volksverhetzung und Holocaust-Leugnung) zu pflegen.

Nun könnte manch einer einwenden, bei einer Anzahl von rund 130 Gesellschaftern des Großkonzerns Merck sei dies vielleicht nur als entbehrliche Randnotiz und reine Privatangelegenheit zu betrachten. Und das macht Merck auch: „Wir kommentieren generell private Aktivitäten einzelner Aktionäre genauso wenig wie private Aktivitäten von Gesellschaftern unseres Mehrheitsgesellschafters“, erklärte ein Sprecher des Konzerns auf Anfrage des Darmstädter Echo zu den Machenschaften von Markus Stangenberg-Haverkamp. Doch ist jener der Sohn von Frank Stangenberg-Haverkamp, des Vorstandsvorsitzenden der E. Merck KG, also des Gesellschafterrates der Merck KGaA *(Hinweis am Ende des Artikels) – und damit als oberster Repräsentant der Unternehmensfamilie rückblickend bis zu den Firmengründern Friedrich Jacob Merck (1621-1678) und Emanuel Merck (1794-1855) in der bedeutungsvollen Familientradition stehend.

Merck rühmt sich historisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich zu Recht als wesentlichen Teil dieser Stadt: größter Arbeitgeber, größter Steuerzahler, als Förderer für Kultur und Sport unentbehrlich und neben den Lilien, der Mathildenhöhe und der ESA ein weltweites Label für Darmstadt. Daraus erwächst aber auch eine stadthistorische Pflicht zur Wachsamkeit, denn Darmstadt hat eine mehr als unrühmliche NS-Vergangenheit. Noch vor der Machtübernahme erzielte die NSDAP bei der Landtagswahl 1931 bereits 37,1 Prozent der Stimmen Darmstädter Bürger, bei der Reichstagswahl 1933 stieg der Anteil auf 47,4 Prozent. Beide Werte lagen landes- und reichsweit im Vergleich weit über dem Durchschnitt. Darmstadt war – für viele heute überraschend – eine Hochburg der Nazis.

Man kann aber herausstellen, dass die Firma Merck als Chemiekonzern – nach derzeitigem Wissensstand – kein wesentlicher Faktor (wie zum Beispiel die IG Farben) für die NS-Diktatur war. Sie war außerdem in den letzten zwei Jahrzehnten (entgegen manch anderen deutschen Firmen wie BMW und Hugo Boss) sehr aktiv in der Aufarbeitung ihrer NS-Firmenhistorie sowie der Entschädigung ihrer 1.240 Zwangsarbeiter und trat im Februar 2000 auch der deutschen Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ bei. Das zeugt von einem verantwortungsbewussten Umgang mit Geschichte. Umso erstaunlicher, dass sich die Firma Merck nicht deutlich von Markus Stangenberg-Haverkamp distanziert.

Zudem fragen wir (uns und das Unternehmen Merck):

– Verwendet Markus Stangenberg-Haverkamp Erträge aus seiner Gesellschafter-Beteiligung zur Finanzierung rechtsextremer Tätigkeiten?

– Inwieweit belastet die Berichterstattung die Tätigkeit des derzeitigen Vorstandsvorsitzenden Frank Stangenberg-Haverkamp?

– Ist ein Gesellschafter mit offensichtlich rechtsextremer Gesinnung für einen Weltkonzern, der bisher einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geschichte pflegte, auf Dauer tragbar?

– Ist für die anderen rund 130 Gesellschafter ein „Reichsbürger“ und potenzieller Holocaust-Leugner als Mitgesellschafter in ihren Reihen akzeptabel?

Wir denken, es wäre gut, diese Fragen nicht einfach ad acta zu legen. Gerade in Zeiten wie diesen.

 

Update Online-Version des Artikels:

Am Erscheinungstag unserer gedruckten März-Ausgabe, am 28.02.2017, erklärt ein Unternehmenssprecher der Merck KGaA zu unserer Anfrage per E-Mail vom 17.02.2017:

„Wir bei Merck distanzieren uns von jeder Form politischen Extremismus. Wir glauben an die Würde des Menschen, ungeachtet von dessen Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter oder sexueller Identität. Für private Ansichten von Aktionären oder von Gesellschaftern, die dem entgegen laufen, tragen wir keine Verantwortung.

Die Merck-Familie hat ihre Anteile (70%) am Unternehmen in der E. Merck KG gebündelt, sie ist selbst nicht operativ tätig. Diese Gesellschaft ist somit nicht zu verwechseln mit der börsennotierten Merck KGaA, die gemeinhin als Unternehmen „Merck“ bekannt ist.“

Daher könne man als Merck KGaA oben gestellte Fragen nicht beantworten.

 

Drei Tage darauf meldete sich ein Sprecher des Gesellschafterrats per E-Mail. Die Fragen, die sich zum Großteil an Markus Stangenberg-Haverkamp richteten, könne man nicht beantworten, da zu diesem kein Kontakt bestünde und dieser auch nicht mehr an Sitzungen des Gesellschafterrats teilnähme. Der Sprecher betonte, dass die Familiengesellschafter „sich ganz entschieden distanzieren“, als Beleg diene der Beschluss des Familienrates der E. Merck KG vom 03.02.2017: „Die Familie Merck wurde aufgrund von Medienberichten über die politischen Ansichten eines ihrer Mitglieder in einen Zusammenhang mit rechtsradikalen Organisationen in Deutschland gebracht. Der Familienrat der E. Merck KG distanziert sich im Namen der Familie Merck in aller Entschiedenheit von diesen politischen Ansichten und den damit verbundenen Ideologien. Aufbauend auf unserem Selbstverständnis und in Übereinstimmung mit dem Wertekanon unseres Unternehmens treten wir für eine freiheitliche und demokratische Gesellschaftsordnung ein.“

 

Weiterführende Links und Infos:

Artikel im „Vorwärts“ vom 13.01.2017 zu den Aktivitäten des „schrägen Sohns“ von Frank Stangenberg-Haverkamp

 

* In der aktuellen Druckausgabe vom März 2017 bezeichnen wir Frank Stangenberg-Haverkamp, den Vater, etwas missverständlich als „Merck-Vorstandsvorsitzenden“. Richtig ist die Bezeichnung: Vorstandschef im Merck-Gesellschafterrat. Der Konzern Merck, der in verschiedene Geschäfts- und Gesellschafterformen aufgeteilt ist, definiert: „Der Gesellschafterrat ist mit dem Aufsichtsrat einer AG vergleichbar. Er überwacht die Geschäftsführung der Merck KGaA und ist zuständig für die Bestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung der Merck KGaA.“ (Zitat aus einer Pressemitteilung von Merck vom 28.01.2014)