Mitte Juni 2014, gerade hat Deutschland Portugal mit 4:0 vom Platz gefegt. Darmstadt ist Schlaaand. Ganz Darmstadt? Gott sei Dank nicht! Ich schlendere gedankenversunken – wie einst Franz Beckenbauer 1990 nach dem WM-Sieg – durch dieses unscheinbare Waldstückchen auf dem Rücken der Mathildenhöhe, dem Osthang. Der locker ausgelegte Rindenmulch knuspert unter meinen Schritten. Hier und da ragen pinkfarbene Markierungsstäbe aus ihm heraus. An einer Stelle sind es Metallfüße. Sie kündigen das „Atelier BowWow“ an, die bis spätestens Ende Juli aufgebaute Empfangshalle des Osthang Projects, das uns diesen Sommer versüßen wird. Für diese Prognose braucht es kein WM-Orakel.
Ein kniehoher, sich in die wilde Natur einfügende Staketenzaun grenzt das 7.000 Quadratmeter große Gelände ein, das von der Rückseite des Mathildenhöhen-Ausstellungsgebäudes bis hinunter zum Spessartring reicht. Es ist ein superschönes, bislang warum-auch-immer unentdecktes Gelände, das zum Abchillen einlädt. Raffinierte temporäre Bauten werden hier bis Ende Juli von 13 Architekten und Künstlern aus Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Brasilien und Japan in Zusammenarbeit mit 60 Darmstädter Studenten aufgestellt. Geplant sind ein zentraler Platz, eine Veranstaltungshalle, ein Infoturm, ein Café, ein Workshophaus und Schlaf-Kabinen. Die Atmosphäre wird – orakel, orakel – zwischen urbaner Kreativzelle, Hippie-Kommune und Festival-/Party-Areal schwanken. Es wird auf jeden Fall eine einzigartige, besondere Location.
Großartig, dass dieses Architektursommer-Raumschiff in Darmstadt landet – und vielleicht dabei mithilft, dass die ebenso einzigartige Künstlerkolonie Mathildenhöhe in nicht allzu ferner Zukunft zum Weltkulturerbe erklärt wird. Denn der darüber entscheidenden Unesco ist Bürgerbeteiligung ein wichtiges Anliegen. Und beim Osthang Project mitmachen können und sollen alle, die Bock drauf haben. Unter anderem wird es eine allen Interessierten zugängliche Zukunftswerkstatt geben, die die Erkenntnisse des bis Mitte August laufenden Osthang Projects extrahiert und auf ihre Zukunftstauglichkeit prüft. Vielleicht kann ja das ein oder andere Gebäude auch über diesen Sommer hinaus das Stadtbild bereichern.
Die Ziele des Projekts in Architektendeutsch ausgedrückt: „Die Stadt wird als Handlungsraum erprobt, bestehende Strukturen werden in Frage gestellt und schließlich unkonventionelle (wie konventionelle?) Bauweisen direkt vor Ort getestet. Zum 100. Jahrestag der letzten Ausstellung der legendären „Jugendstil-Künstlerkolonie Mathildenhöhe“ entsteht so eine neue temporäre Künstlerkolonie. Über sechs Wochen werden internationale Architektenkollektive, Künstler, Theoretiker und Aktivisten auf die reiche Kultur- und Kreativszene von Stadt und Region treffen. Um das entstehende „kulturelle Cluster“ auch für die Stadt Darmstadt besser nutzen zu können, haben sich bereits diverse lokale Initiatoren und Kulturinstitutionen in das Programm des Osthang Projects eingeschrieben. Im Kontext des historischen Ortes wird durch temporäre Installationen ein Campus entstehen, der den geplanten Diskurs-, Theorie- und Veranstaltungsformaten Raum bietet. Das Osthang Project ist Festival und interdisziplinäre Sommerakademie zugleich, die aktuelle Positionen aus Architektur, experimentellem Bauen, Kunst und Theorie aus der ganzen Welt zusammenführt.“
Das klingt alles etwas theoretisch. Aber praktisch wird das geil! Also, liebe P-Leser: Pilgert raus an den Osthang, lasst Euch inspirieren, chillt, feiert, denkt und gestaltet mit. Dieser Sommer wird süß!
Kultureller Projektraum Osthang
Seit 2008 initiiert der Darmstädter Architektursommer mit künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum Diskurse zur Stadtentwicklung, sowohl innerhalb Darmstadts als auch über die Stadtgrenzen hinaus. Als transdiziplinäre Koproduktion des Architektursommers Rhein-Main mit dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt wird in diesen Sommer das Osthang Project realisiert.
Vom 7. Juli bis 15. August 2014 wird das Osthang Project als temporäre Künstlerkolonie, Festivalcampus, Denkwerkstatt und Sommerakademie das Osthang-Areal der Darmstädter Mathildenhöhe aktivieren. Das Startsignal wird die Summer School im Juli 2014 senden. Dabei wird das Osthang-Areal – über etablierte disziplinäre Grenzen hinweg und unter unterschiedlichsten Blickwinkeln internationaler Architekten und Künstler – zum experimentellen Bauplatz und alternativen Denkraum.
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„Das Blumen“ präsentiert: „Ernstfall Kultur“ im Atombunker
Die Macher des „Blumen“ habe eine neue, wenn auch nur temporäre Wirkungsstätte gefunden: den Atombunker unter dem Karolinenplatz (zwischen Landesmuseum und Staatarchiv, Eingang am Herrngarten-Ausgang). Im Rahmen des „Osthang Projects“ bespielen sie den Bunker, der 1967, zu Zeiten des Kalten Krieges, gebaut wurde und im Notfall 2.000 Menschen Platz bieten sollte. Auf die angst-einflößende Funktion des abgetrennten, unterirdischen Gevierts weisen die hochfahrbaren meterdicken Schwellen hin. Heute parken hier 100 Autos. Von Samstag, 02.08., bis Sonntag, 10.08., wird der „Ernstfall Kultur“ geprobt. Die „Blumen“-Kreativköpfe planen Konzerte, Lesungen und Kunstausstellungen zu veranstalten. Eine Kunstinstallation auf dem Karolinenplatz mit Bunker-Betten und -Bänken im öffentlichen Raum soll auf den geöffneten Kultur-Bunker aufmerksam machen.