Foto: Nouki

Sie stehen da wie solide Säulen – und scheinen doch jederzeit ins Wanken geraten zu können. Zehn Skulpturen von Tony Cragg haben sich in den Stadtraum eingeschrieben, aufrecht und wachsam, und doch in ständiger Bewegung begriffen.

Was aus der Ferne wie massive, ruhende Formen wirkt, entfaltet sich beim Näherkommen als ein komplexes Spiel von Schichtungen, Drehungen und Auflösungen. Keine Linie kennt Stillstand, keine Fläche bleibt unberührt. Alles ist im Fluss. Craggs Säulen wirken wie eingefrorene Sequenzen eines größeren Prozesses – wie Fragmente eines Zeitstrahls, der in die Zukunft weist und doch seine Vergangenheit in sich trägt. Ihre Bewegung ist nicht geradlinig, sondern voller Abweichungen, Ausschläge, Rückkopplungen. Sie erinnern an das Ringen, das unsere Zeit prägt: das ständige Pendeln zwischen Fortschritt und Rückschritt, Aufbruch und Verharren, Hoffnung und Skepsis. Die Skulpturen scheinen die Kräfte sichtbar zu machen, die an unserer Gegenwart zerren. Sie verdichten das Unsichtbare – politische Verwerfungen, gesellschaftliche Brüche, persönliche Zweifel – zu Formen, die sich in alle Richtungen ausstrecken und zugleich auf sich selbst zurückzufallen scheinen. Dabei behalten sie etwas Standhaftes: ein Bekenntnis dazu, in Bewegung zu bleiben, auch wenn die Richtung ungewiss ist.

Vielleicht erzählen diese Säulen gerade deshalb so viel über die Jetztzeit. Sie sind weder Siegessäulen noch Trümmerhaufen, sondern etwas Drittes: Momentaufnahmen eines Zustands, in dem alles im Werden begriffen ist. Wer sich zwischen ihnen bewegt, gerät selbst in eine Art Strömung – und lernt, die Schönheit in der Unfertigkeit zu sehen.

Kunst im öffentlichen Raum

Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.